Kapitel 14: "Du kennst den Grund."
Ich war hin und hergerissen, wusste nicht was ich tun sollte. Was war wohl das Richtige? Ihm helfen und damit mein eigenes Leben riskieren oder gehen und ihn dem Gott des Todes überlassen. Ich könnte einfach wegschauen, doch das würde ich nicht tun. Mit zögernden Schritten setzte ich mich in Bewegung und ging auf seinen Käfig zu. Daryan klammerte sich an den Gitterstäben fest, so als würde er Halt suchen. Sein Kopf war gesenkt, doch als ich näher kam hob er ihn und sah mir direkt in die Augen. Ich sah die pure Verzweiflung in ihnen widergespiegelt und mir zog sich schmerzhaft das Herz in der Brust zusammen. Er glaubte wahrscheinlich, er müsse sterben. Doch wenn er das schon jetzt dachte, hätte er garantiert nicht fliehen können, da er in diesem Zustand nicht weit gekommen wäre. Vielleicht war ihm das bewusst gewesen, als er mich wieder losgelassen hatte.
Ich ging einen Schritt zur Seite und nahm eines der festen, aber relativ dünnen Seile von einem der Haken an der Wand. Ich würde mich ihm nicht schutzlos ausliefern, so dumm war ich sicherlich nicht noch einmal. Als ich wieder vor seine Tür trat steckte ich den Schlüssel, den ich bereits die ganze Zeit in der linken Hand umklammert hielt, ins Schloss, drehte ihn aber nicht herum.
"Pharanee, was hast du vor Liebes?", hörte ich die Stimme meines Vaters deutlich hinter mir und ich wusste, dass er näher gekommen war.
"Ich helfe ihm." Langsam drehte ich mich ein Stück weit zu ihm. "Aber dafür brauche ich zuerst deine Hilfe."
Verwirrt runzelte Vater die eh schon faltige Stirn, bevor er entschlossen nickte und mir das Seil abnahm. Er verstand. Auch ohne irgendeine Erklärung.
Endlich drehte ich den Schlüssel herum und öffnete langsam die Tür, wobei Daryan von dieser hinab rutschte und auf dem Boden aufschlug. Jetzt konnten wir nur noch hoffen, dass er wirklich so entkräftet war, wie er aussah. Ansonsten könnte das hier nicht gut ausgehen. Ich sah zu meinem Vater, der in den Käfig trat und neben Daryan in die Hocke ging, um ihn an einem Arm zu packen und ein Stück weit durch den Käfig zu ziehen. Schnell betrat ich ebenfalls die Zelle, nahm seinen anderen Arm und half Vater ihn zu der Wand zu ziehen, an welcher ein großer Ring in der Mitte befestigt war. Ich war ehrlich überrascht, dass sich Daryan nicht wehrte, als ihm das Seil um beide Handgelenke gelegt und an dem Ring in der Wand befestigt wurde. Es sah schmerzhaft aus, wie seine Arme so unnatürlich nach oben gestreckt hingen, doch das war im Moment die einzige Möglichkeit sicher zu sein, dass er uns nicht angreifen würde, auch wenn mein Herz vor Angst noch immer schnell gegen meine Rippen schlug.
Ohne meinen Blick von seinem kläglichen Anblick abzuwenden griff ich nach meiner Umhängetasche und zog sie zu mir, um eine kleine Phiole mit Mondblumensaft, sowie frische Verbände herauszusuchen. Seine Wunde durfte sich nur nicht entzünden und gegen die Schmerzen würde der Saft helfen.
Behutsam legte ich Daryan die Hand in den Nacken um seinen zur Seite gekippten Kopf etwas anzuheben, doch zog sie sofort erschrocken zurück, als ein leises Knurren aus seiner Kehle drang.
"Vater kannst du bitte seinen Kopf aufrecht halten?" Ich sah bittend zu ihm, bis er die Hände an Daryans Kopf legte und diesen anhob. Zum ersten Mal konnte ich die spitz zulaufenden Eckzähne zwischen seinen leicht geöffneten Lippen richtig erkennen und stellte mir vor, wie er damit jemanden das Fleisch von den Knochen reißen konnte. Brutal und erbarmungslos.
Doch bevor ich meine Gedanken weiter ausführen konnte, riss mich ein leises unterdrücktes Wimmern zurück in die Realität. Seine grünen Augen sahen mich flehend an und ich hob zögernd die Hand um sein Kinn festzuhalten, sodass ich ihm die zuvor geöffnete Phiole an die Lippen setzen und ihm den Inhalt zwischen diese laufen lassen konnte. Er verzog bei dem bitteren Geschmack das Gesicht und ich drückte seinen Kiefer zusammen, sodass er den Mund nicht öffnen konnte um den Saft wieder auszuspucken.
"Wenn du so ein Theater machst lass' ich dich hier liegen.", zischte ich warnend und löste meinen Griff wieder, um die leere Phiole zurück in meine Tasche fallen zu lassen.
"Was war das?!" Er sah mich noch immer an und schaffte es sogar den Kopf eigenständig zu halten, nachdem Vater diesen losgelassen hatte.
"Etwas gegen die Schmerzen." Sacht löste ich den Knoten des Verbandes um seine Brust und wickelte eine Stoffbahn nach der anderen von dieser.
Vater ging, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Fesseln um Daryans Handgelenke ihn an Ort und Stelle hielten, was bei seinem Zustand nicht verwunderlich war, meine Angst allerdings kaum zähmen konnte. Ohne Umschweife legte ich die blutigen Verbände zur Seite und beugte mich etwas über ihn um die neue Stoffbahn um seinen geschundenen Oberkörper wickeln zu können.
"Früher habe ich schneller geheilt...", murmelte er. Sein Blick galt meinen Fingern, die schwach zitternd einen Knoten an der Seite seines Brustkorbes banden.
"Keiner kann schneller heilen. So etwas braucht seine Zeit.", entgegnete ich, als ich meine Hände an einem Tuch abwischte, bevor ich einen halbvollen Wasserbeutel aus Leder aus meiner Tasche zog, den Holzverschluss öffnete und ihn in Daryans Richtung hob. "Möchtest du?" Unsicher schaute ich ihm in die Augen und führte ihm schließlich nach seinem zustimmenden Nicken den Wasserbeutel an die Lippen und flößte ihm das Wasser ein, welches er gierig schluckte.
"Danke.", keuchte er etwas atemlos, als ich den leeren Behälter zurückzog und wieder in meiner Tasche verstaute. "Würdest du mir jetzt bitte noch die Fesseln abnehmen?"
Empört schaute ich ihn an. "Du kannst froh sein, dass ich dich nicht verpfiffen habe! Also sei gefälligst nicht so dreist." Er schien trotz seines kläglichen Zustands belustigt zu sein, doch ich fuhr fort. "Und überhaupt. Warum sollte ich dir die Fesseln abnehmen, nachdem du mich angegriffen hast?"
Sein schiefes Lächeln brachte mich weiter in Rage und ich ballte die Hände zu Fäusten.
"Kluges Mädchen...", flüsterte er mit vor Honig triefender Stimme und verpasste mir damit den Rest. Mit wütend verzerrtertem Gesicht hob ich die Hand und verpasste ihm eine Backpfeife. Sofort sprang ich auf und klammerte die Hände in den Stoff meines Umhangs um ihn nicht erneut zu schlagen. Was erlaubte er sich überhaupt?
Langsam drehte er den Kopf wieder gerade und sah mich von unten an, als er hauchte: "Böses Mädchen..." Er schenkte mir ein Lächeln, das verführerischer nicht hätte sein können.
"Steck dir dein 'Mädchen' sonst wo hin." Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust, konnte aber nicht verhindern, dass mir die Röte in die Wangen stieg. "Und jetzt will ich eine Erklärung." Er sah mich berechnend und mit leicht schief gelegtem Kopf an, was mich einen Schritt zurücktreten ließ.
"Du kennst den Grund." Sacht schloss er die Augen und lehnte den Kopf auf die Seite, ließ mich zurück mit dem schmerzlichen Gefühl der Leere.
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