Kapitel 1: "Manchmal fühlte ich mich genau wie sie."
Das war früher...Damals war ich sechs Jahre alt. Doch jetzt war ich achtzehn und kauerte noch immer vor den Käfigen der Löwen. Sie sahen noch immer traurig aus, aber Vater wollte es nicht zugeben. "Aus dem Weg Pharanee." Hastig sprang ich auf, als die kratzige Stimme des Wärters ertönte. Leise klappernd nahm er den großen Schlüsselbund von seinem Gürtel und schloss den Käfig zu einem kräftigen Löwen mit im Licht des Sonnenuntergangs golden schimmerndem Fell auf. Er hatte bis jetzt erst zweimal gekämpft und wurde beim letzen Mal schwer verletzt, doch Vater interessierte nur das Geld. Wie immer. Der Löwe gab ein animalisches Brüllen von sich als der Wärter ihm eine Eisenkette umschlang und aus dem hölzernen Käfig zerrte. Die Raubkatze wehrte sich, doch die Tiere schienen genau zu wissen, wen sie nicht angreifen durften, denn selbst als der bullige Mann die Kette enger um den Hals des Löwen schlang, ging er nicht auf ihn los, wie man es eigentlich erwartet hätte. Doch die Tiere verweilten schon ihr gesamtes Leben in Gefangenschaft. Manchmal fühlte ich mich genau wie sie. Eingesperrt in einen Käfig. Nur für einen einzigen Grund aufgezogen. Auch wenn ein Kampf in der Arena etwas anderes war als eine Verlobung mit einem dieser reichen Männer. Vater sagte, es würde unserer Familie Ehre bringen. Doch ich war nicht begeistert.
Der Gong ertönte und riss mich aus meinen Gedanken. Der Kampf begann. Schnell eilte ich barfuß über den mit feinem Wüstensand überzogenen Boden aus der steinernen, aber zu allen vier Seiten offenen Halle durch unser kleines Haus hindurch zur Straße, auf der mir sogleich einige Handelswägen entgegenkamen. Eigentlich wollte ich bei den Kämpfen nicht zuschauen, aber Vater verlangte es. Zudem gehörten die Löwen zu meiner Familie und man lässt seine Familie nicht im Stich. Wenigstens konnte ich ihnen danach helfen, auch wenn ich sie nicht vor dem Unheil beschützen konnte. Mit flatterndem Kleid rannte ich weiter durch die Gassen bis ich schließlich bei der Arena ankam, die sich wie ein Koloss aus Stein vor mir erstreckte. Es waren bereits massig Leute versammelt, wie ich aus den lauten Stimmen schließen konnte, weshalb ich mich beeilte ins Innere zu gelangen. Mein Vater wartete bereits an der untersten Reihe der Tribüne und beobachtete das Schauspiel gespannt. Ich konnte nur hoffen, dass Feriz dieses Mal gegen einen seiner Art und nicht gegen einen dieser schein-mutigen Krieger kämpfen musste. Krallen und Zähne gegen Speer und Schwert war nicht gerecht. Die meisten Männer, die sich gegen ein Raubtier stellten waren entweder heldenhaft oder dumm. Oder eben beides zusammen. Doch ich konnte erleichtert ausatmen als ich sah, wie Feriz sich mit einem anderen Löwen in der Arena maß. Es war wie immer: Sie gingen aufeinander los, wie als hätte es ihnen jemand befohlen. Wie von Sinnen wurde gekratzt und gebissen. Und am Ende gab es schließlich einen Sieger. Dieses Mal war das Glück nicht auf Feriz' Seite. Er ging nach einigen Prankenhieben und Bissattacken des anderen zu Boden und blieb dort liegen. Wahrscheinlich war er noch zu geschwächt vom letzten Mal. Ich musste an mich halten nicht über eine der schmalen Treppen nach unten zu rennen und zu ihm zu gehen. Die Miene meines Vaters verriet nichts. Keine Regung, kein Gefühl. Das war zu viel. Ich rannte los und nach wenigen Schritten stand ich bereits auf dem weichen rot gefleckten Boden der Arena. Alle Blicke richteten sich auf mich, das konnte ich so sicher spüren wie das warme Blut unter meinen Füßen, als ich neben Feriz auf die Knie fiel und seinen Kopf sanft streichelte. Mir war es egal, dass der andere Löwe noch immer neben uns stand. Und aus irgendeinem Grund schien es ihm auch egal zu sein, dass ich hier war. Er drehte eine Runde mit stolz erhobenem Kopf, bevor er von einem der Wärter weggeführt wurde. Feriz gab einen kläglichen Laut von sich, bevor er mir von mehreren Männern entrissen und durch den Sand geschliffen wurde. "Nein! Ihr tut ihm weh!", schrie ich ihnen hinterher, doch ein weiterer Mann hielt mich fest als ich ihnen hinterhereilen wollte. "Lass mich los!" Ich versuchte mich dem eisernen Griff zu entwinden, doch vergebens. "Pharanee, bist du noch ganz bei Sinnen?!" Deutlich verärgert kam mein Vater zu mir nach unten und packte mich grob am Arm, woraufhin ich hinter ihm herstolperte als er loslief. "Vater..." Ich wollte noch etwas erwidern, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. "...verzeih.", war schließlich das einzige, was ich herausbrachte bevor ich ihm mit gesenktem Kopf hinterherlief.
Es war schon spät als ich trotz der Hitze in die Schafsfelle gekuschelt einschlief. Alles um mich herum begann sich zu beruhigen. Selbst die Löwen brüllten einmal nicht, auch wenn ich beinahe Wand an Wand mit ihnen schlief. Es war wie als hätte sich ein Tuch der Stille über allem ausgebreitet und alle in ein Reich der Ruhe und Geborgenheit gelockt. Doch der Schein trügt. Nichts und niemand kann hier geborgen sein.
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