Kapitel 1 - Begegnungen
Es ist Sommeranfang und ungewöhnlich heiß. Der Himmel ist wolkenlos blau. Die Menschen, die es gewagt haben, sich aus ihren Häusern zu trauen, werden erbarmungslos von den Sonnenstrahlen gejagt. Nicht einmal die Vögel scheinen Lust zu haben, ihre Lieder in die Welt hinaus zu zwitschern. All das geht Yumeko durch den Kopf, als sie durch den Park zu ihrer Wohnung läuft.
„Puh! Am liebsten würde ich jetzt meine Füße irgendwo ins Wasser strecken, aber hier gibt es ja keinen Springbrunnen, geschweige denn einen See oder Bach! Ein Königreich für einen kleinen Bach!"
Ein paar Jungs, an denen sie vorbeikommt, beäugen sie leicht interessiert. Es stört sie kaum. Ganz im Gegenteil. Sie weiß, dass sie es sich leisten kann, den Blazer der Schuluniform locker um ihre Hüften zu knoten. Mit ihrer schlanken Figur, der rotbraunen Lockenmähne und den jadegrünen Augen ist sie zwar nicht zum Topmodel geschaffen (was nicht zuletzt an ihrer geringen Körpergröße von 1,60 m liegt, dass sie aber niemals zugeben würde...), aber den Jungs kann sie durchaus den Kopf verdrehen. Nur leider hat sie keinen Freund, niemand konnte bisher ihren Anforderungen genügen. Sie möchte eben nicht irgendeinen Jungen zum Freund. Er muss etwas ganz Besonderes sein, Charakter haben und vor allen Dingen sollte er wissen, wie man sich einer Frau gegenüber richtig verhält. Schließlich hasst sie es, wenn ein Junge nur mit ihr zusammen sein will, um herauszufinden, ob alle Haare an ihrem Körper rotbraun sind. Bis dahin träumt sie eben nur von ihrem „Traumprinzen". Und in eben diesen Tagträumen versunken achtet sie nicht mehr auf den Weg. Als ihr klar wird, dass sie gar nicht mehr unterwegs zu ihrer Wohnung ist, schreckt sie auf.
„Das gibt es doch gar nicht! Seit wann verläuft hier ein Bach? Hier war doch noch nie einer."
Aber als wollte er sie verhöhnen, sprudelt und gluckert vor ihr fröhlich ein kleiner Bach zwischen den Bäumen. Als sie näher herantritt – sie muss träumen! – erblickt sie glasklares Wasser. Man kann jeden einzelnen Kiesel auf dem Grund sehen. Als sie sich bückt, um eine Hand ins Wasser zu halten, sieht sie sogar einige Fische erschreckt davon stieben.
Erstaunt sieht sie sich um. Am Ufer des Baches wächst sattes grünes Gras und die Bäume, die ein Stück vom Bach entfernt stehen, wispern im Wind, so als wollten sie Yumeko dazu einladen, sich an den Bach zu setzen, die Füße ins Wasser zu strecken und die sanften Sonnenstrahlen im Gesicht zu spüren. Moment mal! Sanfte Sonnenstrahlen? Gerade eben brannte ihr doch noch die Sonne unbarmherzig ins Gesicht
Träumt sie jetzt schon beim Laufen? Oder ist sie wegen des heißen Wetters zusammen gebrochen und liegt jetzt irgendwo auf dem Boden und dies hier ist die Vorstufe zum Paradies?Sie muss irgendwie herausfinden, wo zum Teufel sie hier gelandet ist! Nur wie?
Sie blickt sich jetzt genauer um, vielleicht kann sie ja irgendwo etwas entdecken, das ihr weiterhilft. Aber auch nach einem zweiten Rundumblick ist sie nicht schlauer. Nun ja, dann folgt sie eben dem Bachlauf. Er wird sie schon irgendwo hinführen, wo sie mehr über diesen seltsamen Ort herausfinden kann. So läuft die junge Frau den Bach entlang, genießt die leichte Brise, die ihr Gesicht streichelt, hört die Bäume rauschen und kommt sich immer mehr wie in einem Traum vor.
„Es ist wirklich schön hier."
Eigentlich sollte man sich bei so einem tollen Wetter ins Gras legen und in der Sonne dösen. Bei diesem Gedanken muss sie unwillkürlich schmunzeln – unter normalen Umständen hätte sie genau das wahrscheinlich auch getan. Nur leider ist das hier ja kein normaler Umstand. Stattdessen wandert sie durch eine ihr total fremde Umgebung und weiß nicht einmal wohin sie eigentlich läuft.
Nach einer Weile hat sich ihre Umgebung immer noch nicht merklich verändert. Neben ihr gluckert immer noch der Bach und die Sonne kitzelt sie weiterhin an der Nase. Zumindest ist sie sich jetzt sicher, dass sie nicht mehr im Park ist, denn am Bach wachsen stellenweise Pflanzen, die sie noch nie gesehen hat. Und wenn ihr das nicht schon Beweis genug wäre, dann bräuchte sie nur das azurblaue Himmelsfirmament genauer untersuchen. Denn dann würde ihr auffallen, dass Sonne und Mond sich den Himmel gemeinsam zur selben Zeit teilen, was eigentlich völlig unmöglich ist.
Doch, was war das?
Als sie um eine Biegung kommt, sieht sie in einigen Metern entfernt etwas Großes Schwarzes unter einem Baum auf dem Boden liegen. Könnte dies ein Mensch sein? Vor Aufregung und Freude, dass sie vielleicht jemanden gefunden hat, der ihr weiterhelfen kann, rennt sie los.
Beim Näherkommen sieht sie, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelt. Er liegt am Boden auf einer Art schwarzer Decke.
„Hallo! Entschuldigung, ich glaube, ich habe mich verirrt! Können sie mir sagen, wo ich hier bin„ , ruft sie während sie die letzten Meter hinter sich lässt. Doch nichts rührt sich.
Sie sieht jetzt, dass es sich tatsächlich um einen Mann handelt. Er trägt eine schwarze Hose sowie ein dünnes schwarzes Shirt ohne Ärmel.
„Hallo? Sie da!"
Er bewegt sich noch immer nicht.
„Er wird doch nicht tot sein...?"
Erschrocken geht sie neben ihm auf die Knie, um ihn näher zu untersuchen. Der Mann liegt auf der Seite, das Gesicht ihr zugewandt. Seine Brust schmückt eine wunderschöne Brosche. Sie glitzert in der Sonne, als bestünde sie aus reinem Licht. Beim näheren Betrachten sieht sie, dass die Brosche aus drei Flügelpaaren besteht, die durch einen in der Mitte eingefassten blauen Edelstein alle miteinander verbunden sind. Die seltsame schwarze Decke, auf der er liegt, sind lediglich seine langen seidenschwarzen Haare.
Wahnsinn! Noch nie hat Yumeko einen Mann gesehen, der so lange Haare hat! Ob sie ihm bis zu den Knöcheln reichen, wenn er aufrecht steht? Sie ist ganz fasziniert. Seine Augen sind geschlossen und sein Gesicht ist ganz entspannt. Doch sein Brustkorb bewegt sich langsam in regelmäßigen Abständen.
„Gott sei Dank! Er schläft nur..."
Aber es ist trotzdem seltsam, dass er ihr Rufen nicht gehört hat. Fasziniert wandert ihr Blick wieder zu seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, die so wunderschön und alterslos sind. Ganz so wie bei einem Model.
„Oder einem Engel!"
Sie kichert bei dieser Vorstellung. Nein, das ist er ganz bestimmt nicht. Es gibt ja keine Engel. Aber wenn dann könnte er glatt einer sein. Wieder muss sie lächeln. Sie kann nicht anders, als den Fremden noch länger beim Schlafen zu betrachten. Welche Augenfarbe mag er wohl haben? Verträumt blickt sie den Mann weiter an.
„Schluss jetzt!"
Was tut sie hier eigentlich? Schon peinlich genug, wie sie sich benimmt. Nicht auszudenken, wenn der schöne Mann plötzlich aufwachen sollte und sie ihn immer noch so anstarrt. Dann würde es bestimmt erst recht peinlich für sie werden. Entschlossen greift Yumeko an seine Schulter, um ihn wachzurütteln. Doch plötzlich geht ihre Hand durch seinen Körper hindurch, als wäre Yumeko ein Geist.
„Was zum...!!"
Angst übermannt sie. Was geht hier vor? Voller Panik stürzt sie zurück, krabbelt ein Stück von ihm weg und betrachtet angsterfüllt ihre Hand. Da! Ihre Hand ist tatsächlich ein wenig durchsichtig. Nicht viel, nur gerade so, dass die Sonne noch als kleiner heller Punkt zu erkennen ist.
Durch ihre Hand hindurch!
Was ist mit ihr passiert? Angespannt sieht sie an sich herunter. Ihr ganzer Körper sowie ihre Sachen sind leicht durchsichtig! Aber vorhin hatte sie doch noch die Hand ins Wasser gehalten und da hatte sie das nicht bemerkt. Was passiert nur mit ihr? Löst sie sich etwa auf? Tausende solcher Gedanken wirbeln ihr durch den Kopf, alle total durcheinander. Sie ist völlig verwirrt. Sie kann nur auf ihre Hände starren, wird ihr kleiner Finger nicht noch ein wenig durchsichtiger?
"STOP!... Ganz ruhig! Beruhige dich!"
Sie atmet tief durch. Sie kennt doch dieses Phänomen. Sie ist erbost, dass sie nicht schon früher darauf gekommen ist: Dies hier muss eine ihrer Visionen sein, die sie in letzter Zeit schon so oft hatte. Doch weiß sie auch, dass es diesmal anders ist.
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