03| Angucken-Schnüffeln-Trinken
Der Ort der Party war schnell gefunden. Als wir auf den Campus hinaus getreten waren, musste man nur noch der Musik folgen und wurde wenig später vom orangen Flackern des Feuers empfangen. Hinter dem Universitätsgebäude befand sich eine große Wiese mit einer Feuerstelle in der Mitte. Der Rand der Grünfläche wurde vereinzelt von Bäumen gesäumt. Um das Feuer hatte sich bereits eine ganze Horde Menschen verteilt, während eine weitere Gruppe sich um eine provisorische Bar versammelt hatte, die nichts anderes als einen Tisch mit zahlreichen Flaschen und Zapfanlagen darstellte.
Heather hatte sich auf dem Weg bei Maisie und mir eingehakt und zog uns zielstrebig auf die barähnliche Konstruktion zu. Etwas abgerackert kamen wir zum Stehen. „So Mädels. Wo fangen wir an?" Heather nahm eine Flasche vom Tisch und beäugte sie kritisch. Sie murmelte eine ganze Reihe unverständliches Zeugs in ihren nicht vorhandenen Bart und stellte sie wieder an ihren Platz zurück. Anschließend angelte sie sich eine zweite von etwas weiter hinten und drehte sie neugierig in der Luft hin und her. Während Maisie und ich das Schauspiel amüsiert beobachteten, schraubte Heather die Flasche unvermittelt auf und schnupperte daran wie ein Drogenspürhund. Als auch dieser Schritt der Qualitätskontrolle nicht auszureichen schien, setzte sie die Glasflasche kurzerhand an ihren Lippen an und kippte deren Inhalt in ihren Mund.
„Heather!", rief Maisie entrüstet. Diese schien sie gekonnt zu ignorieren, stellte die Flasche ab und holte sich die nächste. Auch hier wiederholte sie die angucken-schnüffeln-trinken Prozedur und verzog das Gesicht, als sie diese vollendet hatte. Angewidert tauschte sie das Getränk in ihren Händen aus und begann von Neuem. „Willst du jetzt eigentlich alle Flaschen ansabbern oder was genau hast du vor?", fragte ich sie und zog eine Augenbraue in die Höhe. Sie stoppte ihren Schnüffelvorgang und sah zu mir auf. „Ich muss die Spreu vom Weizen trennen. Für die Elite gibt es schließlich nur das Beste", gab sie mit so einer Überzeugung in der Stimme zurück, dass mir die Spucke fehlte. Es war nur fraglich, ob sie nach der Menge Alkohol, die sie durch ihre Kostproben aufnahm, immer noch Wert auf Qualität setzen würde.
„Kann man euch irgendwie behilflich sein?", ertönte eine bekannte Stimme hinter mir, die mich den Kopf drehen ließ. Henry kam zusammen mit einem blonden Typen auf uns zu geschlendert und grinste in Heathers Richtung, die gerade an einer neuen Flasche schnüffelte. Amüsiert hob er die Augenbraue. Der Blonde neben ihm schaute fragend in Heathers Richtung und wollte gerade zum Sprechen ansetzten, doch ich kam ihm zuvor. „Das ist Heather. Einfach nicht hinterfragen, es gibt keine logische Begründung." Etwas verdattert blickte er mich an und seine Augen weiteten sich abrupt, als Heather die nächste Flasche ansetzte. „Ist sie dicht?", fragte der Typ. „Nö das ist ihr Normalzustand."
Grinsend wendete ich mich wieder Heather zu, die bereits die nächste Flasche nehmen wollte, wäre Henry nicht dazwischengegangen. Entschieden nahm er ihr nächstes Opfer und stellte es auf den Tisch zurück. Anschließend griff er nach einer Flasche etwas weiter rechts und drückte sie Heather in die Hand. „Nimm das. Das schmeckt." Wie einem Hund tätschelte er ihr den Kopf und gesellte sich wieder zu uns. „Lou, Maisie, das ist Nathan. Nathan das sind Maisie und Lou", stellte er uns wild gestikulierend dem Blondie vor, der immer noch etwas verstört auf Heather blickte. Tja, es kam halt nicht jeder sofort mit ihrer etwas anderen Art klar.
Als er sich wieder gefangen hatte, ließ er den Blick erst über mich, dann über Maisie wandern, die etwas planlos neben mir stand. „Hey." Er kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf und schaute sich unsicher um. Langsam konnte ich einen angenehmen Geruch wahrnehmen, der vom Feuer zu kommen schien. Ich setzte ein schnelles Lächeln auf, ehe ich mich wieder Heather zuwandte. „Da du erfolgreich gewesen bist, können wir uns ja zum Feuer begeben oder? Es riecht nach Würstchen und ich brauch unbedingt auch eins." Ohne auf eine Antwort zu warten, zog ich sie hinter mir her auf das Feuer zu, während der Würstchengeruch immer stärker wurde und mir das Wasser im Mund zusammenlief. Als Maisie uns bemerkte, schloss sie kurzerhand zu uns auf.
Am Feuer angekommen, setzte ich Heather mit ihrer Flasche auf dem Schoß auf einem als Bank fungierenden Baumstamm ab. Während Maisie sich neben sie setzte, folgte ich dem Geruch des Himmels und fand mich wenig später neben einem Grill wieder. Die Frage nach dem Nutzen eines Grills direkt neben einem Lagerfeuer sparte ich mir. Wahrscheinlich wollten sie verhindern, dass sturzbetrunkene Menschen bei dem Versuch sich ein Würstchen zu braten ins Feuer torkelten. Sollte mir recht sein. Ich war die letzte Person auf dieser Erde, die ein mundfertig gebratenes Würstchen ablehnen würde.
Hinter dem schwarzen Grill stand ein Typ, der gerade beschäftigt damit war, die Würstchen umzudrehen, ohne sie in die Glut fallen zu lassen. Ich stellte mich fordernd vor ihn, nahm mir eins der Brötchen aus dem neben mir stehenden Korb und hielt es ihm provokant vor seine Nase. Als er mich bemerkte verzog er sein Gesicht zu einem Schmunzeln und legte mit einer Würstchenzange eines der begehrten Lieblinge in mein Brötchen.
Als ich nach einiger Zeit immer noch keine Anstalten machte, ihm mein Brötchen aus dem Gesicht zu ziehen, musste er grinsen und legte ein weiteres Würstchen darauf. „Ist die Madame denn damit zufrieden?", neckte er mich. Seine blauen Augen blitzten mich amüsant an. Ich verzog das Gesicht und tat so, als müsste ich angestrengt überlegen. Mein Gegenüber quittierte dies nur mit einem Lächeln, das seine Grübchen zum Vorschein brachte, die die Sommersprossen auf seiner Nase perfekt ergänzten.
Soweit ich das beurteilen konnte, war er keiner der Neuankömmlinge, denn er sah schon etwas älter aus. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass er jetzt den Grillheini spielen durfte. Der heiße Grilldunst vermischte sich mit der schwülen Sommerluft und stieg ihm ungehindert ins Gesicht, sodass einige seiner hellbraunen Locken an seiner Stirn klebten, was seinem Aussehen keinesfalls schadete. Generell lagen seine Haare ungeordnet auf seinem Kopf, sodass man den Drang bekam, sie einmal kräftig durch zu wuscheln. Seinen sportlichen Oberkörper bedeckte ein hellblaues Shirt, das die Farbe seiner Augen widerspiegelte.
Als seine Augen amüsiert aufblitzten, wurde mir bewusst, dass ich ihn angestarrt hatte. Etwas verdattert sammelte ich mich kurz, zog ihm meine Würstchen aus dem Gesicht und machte mich auf den Weg zurück zu Heather und Maisie. „Man sieht sich!", rief mir der Würstchenboy hinterher, während ich dem Lagerfeuer immer näher kam und sich mir unbewusst ein Lächeln auf die Lippen schlich.
Schnaufend ließ ich mich neben Heather fallen und biss genüsslich in mein Brötchen. Die Würstchen schmeckten genauso lecker, wie sie gerochen hatten. Innerlich sprach ich dem Würstchenboy meinen Dank aus. „Schmeckt's?", fragte Maisie, während sie sich auf ihren Knien abstützte. Als Antwort nickte ich nur und nahm einen weiteren Bissen. Heather hatte derweil bereits eine ganze Menge des Flascheninhalts in sich befördert und grinste mich dümmlich an. Das konnte ja heiter werden. Heather ignorierend wand ich mich erneut Maisie zu. „Was studiert du eigentlich?", fragte ich sie, kurz bevor ich erneut abbiss. „Medizin. Und du?" Als ich ihre Antwort vernahm, erhellte sich mein Gesicht urplötzlich und ich fing an bis über beide Ohren zu grinsen. „Ich auch!" Es war eine Erleichterung, dass Maisie ebenfalls Medizin studierte. Es fühlte sich gut an zu wissen, dass man nicht komplett allein auf sich gestellt war und jemanden haben würde, der das Gleiche durchmacht wie man selbst. Jemanden, der meine Probleme verstehen könnte und mit dem ich zusammen Hausaufgaben und Projekte absolvieren konnte. Ein weiterer Pluspunkt war natürlich, dass ich Maisie wirklich mochte und sehr gut mit ihr auskam.
„Das ist ja cool!" Maisie lächelte mich glücklich an und in genau diesem Moment wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war nicht nur die Tatsache, dass ich mit einer Freundin das gleiche Studienfach teilte. Nein, es war weitaus mehr als das. Dies war nur das i-Tüpfelchen. Zum einen hatte ich unwahrscheinlich schnell Freunde gefunden. Nicht irgendwelche möchte-gern Fakefreunde - wahre Freunde. Natürlich kannte ich sie erst seit ein paar Stunden, doch mir war bereits jetzt bewusst, dass wir uns auf derselben Wellenlänge befanden. Es mochten nur wenige Augenblicke sein, doch es fühlte sich an, als würde ich sie schon mein halbes Leben lang kennen. Seltsam, ich weiß, aber so war es nun mal.
Die anfängliche Unsicherheit, die mich bei dem Gedanken, auf eigenen Beinen zu stehen, gepackt hatte, war wie weggeblasen. Ja, ich fühlte mich freier und dennoch geborgener als je zuvor. Natürlich klang es paradox, doch es war ein anderes Gefühl von Geborgenheit. Meine Familie und Heimat verschafften mir stets eine sichere und komfortable Umgebung - das stand außer Frage - doch das war anders. Hier befand ich mich unter weitestgehend Gleichgesinnten, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatten, die einen verstehen konnten. Mir war bewusst, dass ich nicht einmal einen Bruchteil der Leute um mich herum je gesehen hatte, geschweige denn kannte, dennoch breitete sich ein wohliges Gefühl von Gemeinschaft in meiner Brust aus, als ich die lachenden Menschen um mich herum sah, die sich unterhielten und einfach nur glücklich waren.
Mir wurde bewusst, dass es richtig war das Risiko einzugehen, meinen Traum zu leben. Hätte ich es nicht gewagt, einen Rückzieher gemacht und wäre in meiner Komfortzone und Heimat bei meinen Freunden und meiner Familie geblieben, wie würde mein Leben dann aussehen? Wäre ich glücklich geworden? Hätte ich es mir je verzeihen können? Klar, ich war nie dumm oder schwer von Begriff gewesen. Womöglich hätte ich einen akzeptablen Job gefunden, einen hübschen Mann geheiratet, Kinder zur Welt gebracht und wäre im Kreise meiner Lieben gestorben. Doch so war ich nicht. So war ich nie gewesen. Nie hatte ich vor kleinen Hürden zurückgeschreckt und bei dem kleinsten Hindernis aufgegeben. Ich hatte sie mir vorgenommen, nach Lösungen gesucht und Alternativen gefunden. Sie stellten für mich keine Behinderung, sondern eine Möglichkeit dar, in der die Alternative sich manchmal als der bessere Weg entpuppte.
Der Weg, den ich gewählt hatte, war nicht der einfachere, doch der bessere. Das Studium auf dem Weg zum Beruf; statt einer Hürde, sah ich die Möglichkeit. Ich sah die Möglichkeit mich weiterzubilden, als Mensch zu finden, mich vorzubereiten. Es war nötig über die Theorie zu verfügen, wenn man sich in die Praxis stürzen wollte. Und ich war bereit dafür. Ich war bereit, den steilen Berg zu erklimmen, an dessen Gipfel sich mein Traum befand. Ich wollte fähig dazu sein, Menschen zu helfen und nicht einfach sinnlos daneben stehen und sie beim Sterben zu beobachten, denn das war mein schlimmster Albtraum: Nutz- und Hilflos danebenzustehen, während Personen starben, die ich liebte. Und nicht nur mir wollte ich dieses Elend ersparen. Nicht nur meinen Liebsten wollte ich helfen. Ich strebte danach allen Menschen helfen zu können, die meine Hilfe benötigen. Denn jeder Mensch hatte es verdient zu leben und wenn man mir die Chance gewährte, dann wollte ich dieses Leben schenken. Koste es, was es wolle.
___________________
So, hier ist auch schon Kapitel Nummer 3.
Bis jetzt ist zwar noch nicht wirklich viel passiert, aber ich wollte, dass ihr erstmal die Charaktere, insbesondere unsere Protagonistin Eloise kennenlernt, bevor wir uns ins Geschehen stürzen, damit das Ganze nicht so oberflächlich bleibt.
Da in den ersten Kapiteln nicht wirklich viel passiert, habe ich beschlossen dieses heute schon hochzuladen und nicht erst bis Freitag zu warten. Außerdem habe ich gerade Zeit, bzw. nehme ich sie mir, und kann deshalb etwas mehr schreiben.
Wie ich gemerkt habe, scheint Heather aktuell euer Lieblingscharakter zu sein, was mich wirklich sehr freut, da ich ihre verrückte Art auch sehr mag und es besonders Spaß macht ihrer Person Leben einzuhauchen.
Das nächste Kapitel kommt dann am Freitag.
Lg JewelMind
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top