Sollten Dir eine geschlechtergerechte Sprache und allgemein die Frauenrechte wichtig sein – das ehrt Dich sehr. Leider konnte ich hier keine Rücksicht darauf nehmen. Denn 1570 gab es noch keine Geschlechtergleichheit. Frauen waren dem Manne untertan, sie mussten gehorchen und funktionieren, sie waren zur Dorfehrbarkeit nicht zugelassen, sie durften viele Handwerksberufe nicht ausüben, bis auf wenige Ausnahmen (die entsprechend darum kämpfen mussten – Elisabeth I. z.B. musste dafür erstmal ihre Geschwister „entsorgen") konnten sie auch nicht regieren. Wenn sie einen Betrieb vom Mann erbten, durften sie ihn weiterführen – solange, bis sie wieder heirateten – was oft gleich von der Gilde „geregelt" wurde. Adlige Frauen wurden verheiratet oder ins Kloster gesteckt, die allerwenigsten hatten die Möglichkeit, sich ihr Leben selbst zu wählen. Dazu brauchte es schon einen sensiblen Mann, eine große Erbschaft oder die seltene Gelegenheit, eine Stellung wie die einer Äbtissin zu bekleiden. Dann hatte die Frau tatsächlich einige Freiheiten, einfach, weil sie nun die „Bestimmerin" war.
Und so wurde die Waise Anna eben als Magd verdingt, ohne gefragt zu werden, geheiratet, ohne gefragt zu werden, Mutter, dann Witwe, ohne gefragt zu werden. Und die Pflicht, ihrem Stiefsohn das kärgliche Erbe zu erhalten, verwehrt ihr beinahe sogar das Lebensglück.
Die Anreden zwischen Männern und Frauen oder das sich berühren oder ... war auch viel komplizierter, als wir uns das heute vorstellen. Wenn ich das auch noch recherchiert und konsequent umgesetzt hätte - hätte ich wahrscheinlich noch nicht mal angefangen, das Buch hochzuladen. Also habe ich hier für alle einen mehr oder weniger modernen Umgang gewählt.
Das Ganze fing natürlich schon früh an. Es gab nämlich auch keine geschlechterübergreifende Erziehung. Als Hannes auf der ersten Reise in Duderstadt die Geschenke kauft, sind es natürlich Haarbänder und Handarbeitszeug für die Mädchen, Murmeln und ein Schnitzmesser für die Jungs. Und allein die Tatsache, DASS er allen Kindern was mitbringt, ist wahrscheinlich in der damaligen Realität einfach nicht vorgekommen.
Es gab im heutigen Sinne gar keine Kindheit. Kinder waren kleine Erwachsene und liefen einfach mit. Sobald sie die Finger rühren konnten, mussten sie das tun, was die Großen taten. Regeln, Moralvorstellungen, Bildung – das alles gab das Leben, in das man hineingeboren war, vor. Freie Berufswahl nach Neigung? Fehlanzeige. Wechsel in eine andere Gesellschaftsschicht? Sowas von Fehlanzeige!
Natürlich versuche ich die ganze Zeit, die Gegebenheiten in meiner Geschichte der damaligen Realität anzupassen. Ich habe irre viel gelesen im Vorfeld, immer und immer wieder gegoogelt zwischendurch. Aber Ab und Zu erlaube ich mir dann künstlerische Freiheit. Wenn Anna sich die Zeit nimmt, mit ihren Kindern spazieren zu gehen und anschließend Sterne zu basteln. Wenn der Pastor sich die Freiheit nimmt, einen Gottesdienst einfach auf den Abend zu schieben. Wenn Freifrau von Lenthe einfach so eine Schule für Stadtkinder und Waisen aufbaut. Wenn ...
Das alles war damals milde gesagt undenkbar. Ich begründe diese Entwicklung damit, dass Annas Mutter so sehr unter der Bevormundung gelitten hat, dass sie dann ihre Tochter davor bewahren wollte. Sollte Anna in die Schule - mussten alle in die Schule. Und der Kontrast zwischen den zwei Leben, den Hannes aushalten muss, ist so stark, dass auch er gar nicht anders kann, als in neuen Bahnen zu denken.
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4.7.2020
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