8. Das Juckhand-Dilemma (1/2)
Das Wasser in der Schale war eiskalt, aber klar. Lara wusch sich damit die Hände, und spritzte sich danach noch etwas davon ins Gesicht.
Sie hatte zwar geahnt, dass es hier kein WCs mit Spülung geben würde, war aber doch überrascht gewesen, als sie das Plumpsklo in der engen Kammer erblickt hatte.
Reflexartig griff sie nach dem Seifenspender, doch ihre Finger glitten ins Leere. Verflixt, gab es denn in dieser Welt keine Hygienevorkehrungen?
Sie sah sich im ganzen Raum um, doch sie entdeckte nicht einmal eine Steinseife. Jedoch stand ein schlichtes Schälchen mit einem sandfarbenen Pulver neben dem Wasserbottich.
Als sie ihren Kopf darüber beugte und daran roch, merkte sie, dass es wie die Minzbonbons roch, die ihre beste Freundin Emilia immer vor Schulbeginn lutschte.
War das etwa die Seife in dieser Welt? Sie zuckte mit den Schultern. Schaden konnte es sicher nicht.
Sie nahm sich eine Prise, streute sie auf ihre Handinnenfläche, und spürte, wie es sich kribbelnd mit dem Restwasser vermengte und auflöste.
Ein Handtuch gab es auch nicht, also wischte sie sich die Hände an der Hose ab.
Sie öffnete die Tür, und blickte prompt in das Gesicht von Felix, dem Puschkat-Jungen, der sich an die Wand ihr gegenüber lehnte.
„Bin schon fertig, du kannst.", sagte sie knapp, machte sich auf den Weg, um wieder zum großen Saal zu ihrer Oma zu gehen, doch er hielt sie an der Schulter fest.
„Du darfst gerade nicht in den großen Saal, dort ist gerade eine Audienz", sagte er, und ließ sie los, „und ich muss auch nicht aufs Klo. Die Protektorin hat mich angewiesen, dir zur Seite zu stehen, und dir alle deine Fragen zu beantworten."
„Soso", antwortete sie, und kratzte sich am Handrücken.
Der Junge legte leicht den Kopf schief. „Ist irgendwas?"
„Nein, nein, nur...", sie sah nach unten.
„Oh verdammt!", schrie sie.
„Was ist los?", rief Felix, und sie zeigte ihm ihre Hände.
Auf der gesamten Haut zwischen den Fingerspitzen und dem Handgelenk hatten sich knallrote Pusteln gebildet, die leicht pulsierten. Es sah aus, als hätte sie ihre Hände in ein Hornissennest getaucht.
„Ich habe mir nur die Hände mit diesem Pulver gewaschen, und jetzt...", rief sie mit panischer Stimme. „Das brennt!"
Felix stürmte zum Bad, riss die Tür auf, und sah das Schälchen neben dem Bottich.
Mit geweiteten Augen sah er sie an. „Warum hast du dir das auf die Hände getan?"
„Ich weiß nicht, ich dachte... Was machen wir jetzt?"
Tränen stiegen ihr in die Augen, während Felix sich grübelnd das Fell zerzauste, wobei ihm fast der kegelförmige Hut vom Kopf fiel.
Dann griff er in seine Umhängetasche, und zog eine Phiole mit dem grünen Pulver hervor, welches Lara schon vor einigen Minuten eingenommen hatte.
„Hier, nimm die ganze Phiole", meinte er.
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, und nahm den kleinen Glasbehälter mit ihrer geschwollenen Hand entgegen. Sie schlang den Inhalt herunter, bevor er sich mit ihrer Spucke vermischen konnte, und musste husten, als die trockenen Körner in ihre Atemwege gelangten.
Besorgt sah Felix sie an, als sie mit hochrotem Kopf aufhörte zu husten.
„Und?"
Sie betastete ihr Hände. Sie fühlten sich noch immer juckend und geschwollen an, doch aus den Hornissenstichen waren Ameisenbisse geworden. Das war aber nur ein schwacher Trost.
„Es ist besser, aber nicht ganz weg. Hast du sonst kein Mittel?"
Er schien zu überlegen, und verschiedene Möglichkeiten abzuwägen. Schließlich schien er eine Entscheidung zu treffen.
„Ich nicht, aber ich kenne jemanden, der eines haben könnte. Komm mit!"
Mit diesen Worten rannte er los, und riss im Laufen ein dekoratives, etwa handbreites Stoffband von einer Ritterrüstung, die bedrohlich schwankte. Er war es ihr zu, und sie fing es auf.
„Und wickle dir das hier ums Gesicht!"
Sie folgte seiner Anweisung so gut sie konnte, während sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten.
Er war ein verdammt guter Läufer, das musste sie ihm lassen.
Sie eilte ihm hinterher, stolperte eine Wendeltreppe hinab, durchquerte einen, von bunten Blumen überquellenden Innenhof, und ein Tor, vor dem zwei Wachen mit grünen Schweinenasen standen.
Sie wäre unglaublich gerne stehen geblieben, um alle diese Eindrücke auf sich wirken zu lassen, doch sie musste mit Felix schritthalten. Der wartete gerade auf sie, während sie an den Wachen vorbeihuschte, auf einer gepflasterten Straße, die von bunten Häusern gesäumt wurde.
„Und wohin jetzt?", schnaufte sie, während sie vehement versuchte, sich nicht an den Händen zu kratzen.
„Einfach mir nach", antwortete er, und rannte mit einer fast schon beleidigend einfachen Leichtigkeit weiter.
Er verschwand in einer Gasse, aus der Lara einige Einheimische entgegenkamen, die sie verwundert anstarrten. Kein Wunder, schließlich war sie vermummt, und überragte die meisten um einen halben Kopf.
Zudem erkannte sie, als sie sich kurz umdrehte, dass das Gebäude, aus dem sie gerade gestürmt war, ein mehrere Stockwerke hoher, hellgrüner, palastartiger Gebäudekomplex war, der die anderen Häuser genau so klein wirken ließ, wie sie die Barstaks und Puschkats.
Doch für genauere Betrachtung war keine Zeit, und sie huschte Felix hinterher, bevor die Passanten unangenehme Fragen stellen konnten.
Sie fand ihren Begleiter unter einer schmalen Brücke, die zwei Häuser im ersten Stock miteinander verband, während er an eine dunkle, eisenbeschlagene Tür klopfte.
Lara stieß zu ihm, und wollte ihn gerade etwas fragen, da wurde die Tür von innen heraus aufgerissen.
Sie erwartete, ein Gesicht wie das Felix' oder der Wachen zu erblicken, doch niemand war hinter der Tür. Sie schien wie von einem Windstoß aufgefegt worden zu sein.
Beunruhigt schaute Lara zu Felix, aber der schien diese Situation gewohnt zu sein.
„Keine Sorge", sagte er mit gesenkter Stimme zu ihr, „er macht gerne einen auf... wie heißt das nochmal, wenn man gerne übertreibt?"
„Melodramatisch?", bot sie an.
„Genau das.", nickte Felix und trat ein.
Innen war es dunkel, da die runden Fenster mit schmutzigen Lappen verhängt waren.
Daher konnte man gut einige Lichtpunkte sehen, die zu kleinen Häufchen geballt in der Finsternis umherzutanzen schienen. Schemenhaft konnte sie in ihrem Schimmer die Umrisse einiger Gläser, Tiegel, Töpfe und Krüge erkennen.
Ein Geruch stieg ihr in die Nase, der ihr irgendwie vertraut vorkam. Er erinnerte sie an das erste Mal, als sie Omas Esoterikgeschäft betreten hatte. Süßlich, aber gleichzeitig auch herb, mit einer Note, die sie nicht zuordnen konnte. Es war fast wie...
„Heda! Wir haben geschlossen!"
Die barsche Stimme war so laut, dass Lara kurz erschrocken aufschrie. Sie kam aus der hinteren Ecke des Raumes, in die fast kein Licht drang.
Sie hätte fast ein zweites Mal geschrien, als plötzlich eine giftgrüne Flamme in derselben Richtung aufloderte, und ein wahrhaft scheußliches Gesicht beleuchtete.
Die eh schon übergroßen Glubschaugen starrten sie durch eine wobbelige Brille zum zehnfachen vergrößert stechend an, und der Mund war weit genug geöffnet, um eine Reihe kleiner spitzer Zähne zu entblößen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top