4. Der Schatz im See (2/2)
Als sie mitten in der Nacht aufwachte, machte sie sich darüber erst keine Gedanken. Das geschah ihr erstens öfter, und zweitens war ihr Gehirn in so einem schlaftrunkenen Zustand sowieso nicht in der Lage, sich über irgendetwas Gedanken zu machen. Oder logische Schlüsse zu ziehen.
Doch als sie nach fünf Minuten nicht wieder eingeschlafen war, begann ihr Hirn langsam, wach zu werden. Das musste sie schleunigst verhindern, ansonsten würde sie die restliche Nacht nicht mehr Ruhe finden können! Lara wusste auch schon den Grund für ihre Schlaflosigkeit; die ungewohnt harte Matratze machte es ihr nicht möglich, sich in einer wirklich bequemen Position hinzulegen. Egal wie oft sie sich umherwälzte und ihre Beine verknotete, die Felsplatte unter ihr schien sie nicht zu mögen.
In diesem vernebelten Zustand kam ihr eine bescheuerte Idee. Sie warf die Decke zurück, und mit ihr auch Oma Warnung in den Wind, setzte sich auf, und ging die knarzenden Stufen hoch ins Dachgeschoss. Unter normalen Umständen wäre sie nie auf die Idee gekommen, in einem rattenverseuchten Sessel auf einem alten, staubigen Dachboden zu schlafen, doch in ihrer schlaftrunkenen Verfassung schien ihr der Sessel eine grandiose Alternative gegenüber ihrem Folterwerkzeug von Bett zu sein. Erleichtert seufzend ließ sie sich in seine phänomenal weichen Polster sinken, und nach einigen Sekunden war sie auch schon wieder ins Reich der Träume entschwunden.
Das zweite Mal wurde sie abrupter geweckt. In ihrer Hosentasche summte eine Riesenhummel. Nein, Riesenhummeln gab es nicht. Mit müden Fingern tastete sie nach ihrem vibrierenden Handy, dass sie ihrer Hosentasche vergessen hatte, weil sie vergessen hatte, sich eine Schlafanzughose anzuziehen. Was sie jedoch auch vergessen hatte, war, dass sie ihr Handy unten zum Laden gelassen hatte, und so ertasteten ihre Fingerspitzen die summende Oberfläche des Schlosses, welches sie gestern im See gefunden hatte. Mit einem Mal war sie hellwach. Das Schloss summte? Schnell holte sie es aus der Tasche, und betrachte es im fahlen Licht des Mondes, der durch das Dachfenster schien.
Warm und bebend lag das Stück Metall in ihrer Handfläche. Was hatte sie da nur gefunden? Hatte sie etwas aus Versehen eine getarnte Bombe mit nach Hause genommen?
Vorsorglich legte sie das Ding vor sich auf den Boden. Dann kam ihr ein wichtiger Gedanke; sie musste das mit ihrem Handy aufnehmen, sonst würde ihr das niemand glauben! Sie wollte schnell nach unten eilen, und war schon fast in der Tür, da ließ sie ein zischender Lichtblitz innehalten. Erschrocken schrie sie kurz auf, fuhr zusammen, und wirbelte herum. War das Ding jetzt tatsächlich in die Luft geflogen? Mitnichten. Das Licht war nicht vom Schloss, sondern aus einem birnenförmigen Loch in der Wand gekommen, aus dem es noch weiter gelblich glimmt. Was zum Teufel war hier los? Verängstigt und mit einem Puls von 120 erkannte sie es plötzlich. Das Loch in der Wand hatte nicht die Form einer Birne. Nein. Das war die Form eines Türschlosses! Am ganzen Leib zitternd streckte sie die Hand nach dem summenden Ding am Boden aus, und, obwohl sie wusste, dass das komplett bescheuert war, nahm sie es, und schaute in das helle Glimmen, welches aus dem Loch kam. Sie konnte keinerlei Lichtquelle ausmachen, es schien nur das leuchtende Gelb darin zu sein.
Als sie den Arm ausstreckte, und das Schloss sich dem Loch näherte, konnte sie eine deutliche Anziehungskraft spüren, und ein seltsames Kribbeln ließ ihre Haare auf dem Arm tanzen. Was war das? War hier Magnetismus im Spiel? Sie spielte kurz damit, testete die Kraft aus, indem sie den Gegenstand vor- und zurückbewegte. Desto näher das Metall dem Glimmen kam, desto stärker zogen sich die beiden an.
Doch plötzlich, Lara hatte es zu nah an die Öffnung in der Wand gehalten, flutschte es aus ihren Fingern und landete mit einem Klacken im Loch, wobei das Licht schlagartig erstickt wurde.
Es passte haargenau. Vergeblich versuchte sie, es wieder herauszuziehen, indem sie am fest verankerten Schlüssel zog. Warum sie das tat, wusste sie nicht so wirklich, aber angesichts dieser unglaublichen Situation lief ihr überfordertes Hirn eh nur auf Sparflamme. Ohne Vorwarnung löste er sich plötzlich, Lara stolperte nach hinten, und konnte gerade noch das Gleichgewicht behalten.
Was nun geschah, übertraf die vorhergegangenen Ereignisse noch in seiner Unglaublichkeit: Aus dem nun frei gewordenen Schlüsselloch fiel ein einzelner Lichtstrahl, der als gelber Punkt auf Laras Bauch landete. Dann breitete sich von diesem Loch ein gleißendes Leuchten in verästelten Flüssen aus, und zog sich rasant über die ganze Wand. Schützend musste sie sich die Hand vor die Augen halten, weil das Licht, das wie die Wurzeln eines Baumes wuchs, so grell war, dass es blendete.
Dann erstarb es mit einem Mal. Das Licht war so schnell wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war. An seiner statt befand sich dort das vierte Unglaubliche, was heute Nacht passierte. Eine Tür. Lara kicherte. Auch wenn es ihr total fehl am Platz vorkam, konnte sie nicht anders. Sie hätte angesichts der epischen Lightshow etwas viel Epischeres, etwas viel Bombastischeres erwartet. Stattdessen war da nur diese Tür.
„Das hätte mir ja eigentlich klar sein müssen", kam es ihr in den Sinn.
„Ich meine, hallo? Schloss, Schlüssel, magisches Loch in der Wand? Also entweder das oder eine alte Kommode."
Die Tür war sehr schlicht. Ein helles Braun, eine geschwungene, aber einfache Türklinke. Sonst sah sie aus, als wäre sie schon immer da gewesen. Eine einfache, alte Tür im Dachboden.
Und sie stand einen Spalt breit offen...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top