3. Der Schatz im See (1/2)
Der Geruch der Acrylfarbe, die Oma zusammen mit ihr nach dem Besuch im Weinmuseum gekauft hatte, übertönte den des See sehr, und erweckte Erinnerungen an vergangene Kunststunden. Sie sah sich die Szene von der Bank am Steg aus genau an. Ein Hund tollte im Kiesbett herum, Enten trieben zwischen Schilfblättern umher, in der Ferne schwankten die Masten einiger Segelboote vor und zurück, die im Hafen dümpelten, die tiefstehende Spätnachmittagssonne ließ den Gardasee glitzern, und fast wie flüssiges Silber erscheinen. Dann schweifte ihr Blick zur blanken, weißen Leinwand vor ihr, die auf einer Staffelei stand, welche Lara in den Untiefen des Dachbodens gefunden hatte. Wie um alles in der Welt sollte sie nur diese malerische Szene einfangen? Die Tatsache, dass sie so gut wie völlig ungeübt in Sachen Acrylfarben war, erleichterte die Sache nicht gerade. Trotzdem musste sie sich selbst eingestehen, dass sie sich schon ein wenig professionell fühlte, wie sie so dasaß, mit Palette und Staffelei...
Was wohl die Leute, die auf der Holzpromenade an ihr vorbeipolterten, gerade von ihr dachten?
Sie verscheuchte den Gedanken. Sie hatte sich vorgenommen, nicht mehr darüber nachzudenken, was andere von ihr hielten. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Hier und Jetzt, und fing an, die Farben zu mischen. Nach und nach entstand zu Laras Erstaunen eine gar nicht mal so schlechte Repräsentation der Landschaft, und sie hatte sogar schon aus dem Augenwinkel bemerkt, wie ein Mann versucht hatte, unauffällig ein Foto von der Leinwand zu schießen. Sie streckte sich kurz und ließ die verkrampften Finger knacksen, als sie halbwegs fertig war, und lehnte sich zurück. Die Sonne war mittlerweile schon etwas gesunken, und wenn sie nicht mehr rechtzeitig fertig werden würde, müsste sie wohl morgen wiederkommen. Aufmerksam betrachtete sie das Glitzern der Wellen, das immer nur für den Bruchteil einer Sekunde da war, und sich gleich danach wieder in ein vollkommen anderes Muster verwandelte. Wie um Himmels Willen sollte sie das nur auf die Leinwand bannen?
Da bemerkte sie etwas. Dort wo die kleinen Wellen hereinbrachen und am Land leckten, funkelte es. Sie hätte es gar nicht bemerkt, wäre ihr Blick nicht gerade über diese Stelle hinweggeglitten, denn im nächsten Moment war es auch wieder verschwunden. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, es als bloße Reflektion des Wassers abzutun, doch bei der Erinnerung daran, dass Oma vorhin in einem Gespräch erwähnt hatte, dass ihre Nachbarin mal eine goldene Schiffsglocke am Strand gefunden hatte, verwarf sie ihn sogleich, ließ den Pinsel liegen, und stieg hinab zu der Stelle, wo sie es hatte aufblitzen sehen.
Sie zog Schuhe und Socken aus und watete ins kalte Wasser, das in regelmäßigen Schüben ihre Beine umspielte. Sie suchte die nassen Steine ab, und entdeckte einen mattgoldenen metallischen Gegenstand, der gerade so aus dem Kies hervorglänzte. Etwas enttäuscht musste sie, als sie den Fund mit frierenden Fingern hervorholte, feststellen, dass es sich nicht um den versunkenen Schatz eines Schiffes handelte, sondern um ein mit Seetang umwickeltes Türschloss, in dem ein polierter, altmodischer Schlüssel steckte.
Seltsam. Sie hatte vieles erwartet, aber nicht so etwas. Sie schnipste den Schlick zur Seite und begutachtete den Schatz genauer; er lag schwer und kalt in ihrer Hand, und der Schlüssel schien sich nicht vom Schloss trennen zu lassen, wie Lara nach kurzem Überprüfen mittels unkoordiniertem Herumgerüttle feststellte, aber man konnte ihn gegen den Uhrzeigersinn drehen, auch wenn dies mit einigem knirschendem Widerstand erfolgte, ein Gefühl, von dem sich ihre Nackenhaare aufstellten.
Nachdem sie es lange genug betrachtet hatte, beschloss sie, ihren Fund nachher unbedingt Oma zu zeigen, steckte ihn in die Tasche ihrer kurzen Cargo Hose, und machte sich daran, ihr Kunstwerk zu vollenden.
Es war bereits dunkel, als Lara wieder zurück zur Wohnung ging. Das Gemälde unter den Arm geklemmt sperrte sie die Tür mit dem Schlüssel auf, den ihr Oma gegeben hatte, und der beißend süßliche Geruch der Duftstäbchen schlug ihr entgegen. Daran würde sie sich wohl entweder gewöhnen müssen, oder sie müsste Oma dazu überreden, mit dem Zeug für eine Woche aufzuhören.
Die Staffelei stellte sie schon unten im Laden ab, sie hatte keine Lust das Gestell auch noch die Stufen hoch zu schleppen. Umso mehr freute sie sich darauf, Oma ihr Werk zu zeigen.
Sie ging die Treppe hoch, und setzte schon fast zu einer Begrüßung an, da sah sie, dass Oma gar nicht da war. Statt ihr lag auf dem Sofa ein weißes Stück Papier. Verwundert lehnte sie die Leinwand an den Kühlschrank, und pflückte den Zettel vom Kissen.
Muss zu einer Freundin, stand in feiner Handschrift darauf geschrieben, komme wahrscheinlich spät zurück. Nudeln stehen in der Mikrowelle. Gute Nacht!
Darunter war mit Kugelschreiber eine liebevolle Karikatur einer süßen Katze gezeichnet. Lara schmunzelte. Wie es aussah, hatte sie ihr künstlerisches Talent von ihrer Oma.
Der restliche Abend verlief recht ereignislos. Die Nudeln waren in Ordnung, auch wenn Lara sich zugegebenermaßen im Land der Pasta etwas mehr Besonderes erhofft hatte, und zu ihrem Bedauern hatte Oma weder Netflix, noch einen DVD-Player, doch so konnte sie noch ein Weilchen in ihrem Science Fiction-Roman stöbern, den sie sich mitgenommen hatte. Nach einer dreiviertel Stunde voller Weltraumschlachten, Antimateriepistolen und außerirdischen Maiden in Nöten fiel es ihr jedoch immer schwerer, noch die Augen aufzuhalten, und so begab sie sich nach oben, wo sie sich müde ins Bett fielen ließ. Dass die Matratze eine eklige, türkise Farbe hatte, spielte in der Dunkelheit keine Rolle mehr. Den Klängen der Musik aus ihrem MP3-Player lauschend, dämmerte sie langsam weg, und hieß die wohlwollende Umarmung des Schlafs sehnsüchtig willkommen.
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