2. Im Esoterikgeschäft des Grauens (1/2)


Die Tür wurde wider Erwarten nicht von Oma, sondern von einer untersetzen schwarzhaarigen Frau mit olivfarbener Haut, die einen Wischmopp der Hand hielt, geöffnet. Wobei geöffnet zu viel gesagt gewesen wäre, sie stand nur eine Hand breit offen. Bevor Lara auch nur etwas sagen konnte, speiste sie die Frau mit einem schnell dahin gemurmelten Schwall Italienisch ab, deutete mit einer schwer beringten Hand auf ein kleines Schild an der Wand, auf dem CLOSED stand, und wollte die Tür schon wieder schließen, da reagierte Lara geistergegenwärtig, und schob ihren Fuß in den Spalt. Verdutzt sah die Putzfrau sie aus ihren leicht hervorquellenden Augen an. „Scusi, ich, ähm, me, my name is Lara...I come to visit my grandmother, äh, nonna?" Sie deutete während ihres dahingestotterten Gemischs aus Englisch, Deutsch und Italienisch abwechselnd auf sich, ihren Trolley und nach hinten im Laden, wo sie Oma vermutete.

Kurz sah sie die Frau nur an, dann prustete sie los: „Die Signora Haasmann ist gerade am Markt, Einkaufen. Sie sollte in ein paar Minuten zurück sein, du kannst währenddessen oben warten!"

Sie deutete hinter sich, und öffnete die Tür, um Lara durchzulassen. Peinlich berührt wegen der voreingenommenen Annahme, die Frau wäre des Deutschen nicht mächtig, ging sie an der Italienerin vorbei in das Esoterikgeschäft, wobei eine Glocke über Tür bimmelte. Die Beleuchtung war schwach, es gab nur ein paar orangefarbene Lampen an der Decke, die mit ihrem gedämmten Licht eine mystische Atmosphäre verbreiten sollten, und ein enorm starker Geruch nach Kräutern und Ölen vernebelte ihre Sinne. Er schien von ein paar Duftstäbchen hinten rechts in Raum auszugehen, die auf dem Tresen standen. Eine große, staubige Vitrine und mehrere Regale mit allem erdenklichen und nicht erdenklichen Magiezeug trennten sie von der Treppe links neben dem Tresen, die anscheinend nach oben führte. Doch bevor sie sich auf den Weg nach oben machte, ließ sie noch kurz ihren Blick über all die spirituellen Ausstellungsstücke schweifen; Pendel, Kristallkugeln auf purpurnen Samtkissen, Anhänger mit keltischen Runen, Kräuter, Kerzen, Tierschädel mit dunklen Gravuren; orientalische Statuen, ein Stapel Ouija-Bretter, mit Mandalas bestickte Tücher, Zauberstäbe...

In einem der Regale konnte Lara sogar einen Ständer mit Halsketten erkennen, die ihrer zum Verwechseln ähnlich sahen, und in der Vitrine befand sich ein Kartenhaus aus Tarot-Karten, das mit Sekundenkleber befestigt worden war.

Alles in allem war sie sich nicht sicher, was sie von dem Ganzen halten sollte. Zum einen fand sie Magie und Zauberei wahnsinnig interessant, solang sie in der Welt der Bücher und Filme blieb. Zum anderen musste eine Frau, die dachte, man könnte anhand der Rillen in der Handfläche vorhersagen, wie viele Kinder man mal haben würde, wie sie heißen würden und wann sie stubenrein sein würden, doch ziemlich einen an der Klatsche haben, oder?

Bevor sie den Gedanken zu Ende denken konnte, merkte sie wieder den stechenden Gestank der Kräuter, und beschloss, schleunigst die Flucht nach oben in die Wohnung zu ergreifen.

Schon im Treppengang merkte sie, dass sich der Wohnraum deutlich von dem Verkaufsbereich unterschied. Abgesehen von ein paar Traumfängern, die hier und da herumhangen, war nichts davon zu erkennen, dass hier eine Frau wohnte, die an Flaschengeister und Heinzelmännchen glaubte. Alles wirkte viel steriler, die Dielen waren glatt und glänzten, im Gegensatz zu dem knarzenden Boden unten, und helles Sonnenlicht ließ alles viel freundlicher wirken.

Die Wände wurden geschmückt von impressionistischen Acrylgemälden, die Bardolino und Venedig zeigten, und einige italienische und deutsche Bücher lagen herum, keines davon beschäftigte sich dem Anschein nach mit Magie.

Neben einem großen Flachbildfernseher befand sich hinten rechts in einer Nische eine lebensgroße, römisch anmutende, weiße Frauenstatue, welche das Mädchen, trotz umfangreichen Wissens über römische Mythologie keiner bestimmten Gottheit zuordnen konnte.

Im ersten Stock schienen sich Ess- und Schlafzimmer nebst Küche und Bad zu befinden, wobei alles bis auf letzteres sich in einem großen Raum befand. Neben ihr führte die Treppe weiter in den zweiten Stock, doch Lara war zu müde, um jetzt das restliche Haus zu erkunden.

Sie schmiss sich auf das große, kuschlig aussehende, weinrote Sofa, und wollte gerade ihr Buch aus dem Rucksack holen, da siegte ihre Neugier um die Statue über ihre Lust zu lesen. Fachmännisch ließ sie den Blick über die Details der Figur schweifen. Hm, auf dem Sockel stand kein Name. Aphrodite konnte es nicht sein, die wäre nackt gewesen, Artemis hätte Pfeil und Bogen dabeigehabt, Hera einen Pfau. Doch dieser Figur schienen jegliche Attribute zu fehlen. Sie war nur in eine schlichte Toga gehüllt, und – warte. Nein, das hatte sie sich nur eingebildet, oder? Die Statue hatte nicht gerade wirklich geblinzelt? War sie tatsächlich schon so müde, dass sie halluzinierte?

Verwundert und auch leicht verängstigt trat sie an die weiße Frauengestalt heran, hob schützend leicht die Hand.

Da geschah das Unfassbare; die Figur riss den Kopf herum, öffnete fauchend den fleischig-roten Mund, um die Zähne zu fletschen, sprang vom Sockel und erhob die Hände zu schrecklichen Krallen, bereit, das Mädchen zu zerfleischen. In Todesangst stieß sie den wohl schrillsten Schrei ihres Lebens aus, stolperte zurück und fiel auf das Sofa. Das war es also. So würde es enden. Gefressen von einer Mörderstatue. Sie schloss die Augen, wartete darauf, spitze Zähne auf ihrer Haut zu spüren, doch nichts geschah. Stille. Warte, doch. Das Monster kicherte. Freute es sich über so leichte Beute? Zaghaft öffnete sie die Augenlider. Fast schon prustend vor Lachen stand dort vor ihr – Oma. Mit weißer Schminke im Gesicht. Das hätte sie sich ja auch denken können. Schon immer hatte sie Leuten gerne Streiche gespielt, schmerzhaft erinnerte sie sich an die Gummimaus in ihrer Geburtstagtorte zurück.

„Oma!", keuchte sie, noch ganz außer Atem, „du-wie- was sollte das?"

Eigentlich wollte sie wütend auf sie sein, doch irgendwie drängelte sich unter den Ausdrücken des Entsetzens ein Kichern hervor, welches zu einem Lachen anschwoll, und mit dem ihrer Großmutter zu einem wurde.

...

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