085 - Ärmel hochkrempeln - So. 25.3.1571

So früh ich ins Bett gesunken bin, so früh wache ich auch wieder auf. Erste Geräusche sind im Haus zu hören. Das Zimmer, die Geräusche sind mir fremd. Aber das zufriedene Gefühl, angekommen zu sein, die Erinnerung an die vielen kleinen Gespräche mit den Menschen gestern - das fühlt sich absolut richtig an, als ich meine Beine aus dem Bett schwinge und nach Seidel läute. Es wird noch jahrelang unermesslich viel Arbeit kosten, bis ausgeglichen ist, dass der Brudenhusen jeden erwirtschafteten Heller in die überladene Ausstattung des Schlosses, seine Kleidung und seine Bequemlichkeit gesteckt hat.
Ich muss Frau Jansen und Herrn Barkhausen bitten, gemeinsam ein Inventar von Kunstgegenständen und Luxusgütern im Haus zu machen, damit ich dann entscheiden kann, was davon ich verkaufen und von dem Geld etwas Sinnvolles machen kann.

Seidel klopft an und tritt ein. Und er sieht dabei wirklich glücklich aus, dass ich ernst mache und ihn brauchen kann.
„Guten Morgen, Hoheit."
„Guten Morgen, Seidel. Tut mir den Gefallen und lasst das Hoheit weg. In drei Wochen ist es eh vorbei."
„Wie Ihr wünscht, Ho... - hoher Herr."
Ich drehe mich schnell um, damit er mein Schmunzeln nicht sieht. Ich merke, dass ich anfange, mich daran zu gewöhnen, dass ich Gelassenheit entwickle, seit der Druck dahinter beseitigt ist.

Als ich wenig später im Frühstückszimmer erscheine, ist Karl auch schon da.
„Hannes, ich denke, ich sollte mich heute aufmachen zu der geprellten Braut. Aber dafür solltest du ein Schreiben aufsetzen."
„Ja, du hast Recht. Vater und Tochter haben ein Recht darauf, möglichst zügig benachrichtigt zu werden. Wir müssen nur herausfinden, wer sie eigentlich ist und wo sie wohnt. Denn wir wissen ja nur, DASS er heiraten wollte."
„Ich denke, das werden Jansen oder Barkhausen schon wissen."
„Und wie willst du reisen? Mit der Kutsche oder zu Pferde?"
„Ich werde wohl Benjamin mitnehmen und einfach reiten. Konrad wird ja sicher mit der Kutsche bald wieder hier sein, aber dann solltest du ihn zu Hurtig in den Stall schicken."
Wir müssen beide grinsen. Mein heißgeliebtes Pferd Hurtig ist nunmal etwas speziell.

Nach dem Frühstück lassen wir Barkhausen, Hannover und Jansen holen und begeben uns mit ihnen in das Bibliotheks- und Arbeitszimmer.
„Nun, Frau Jansen. Wir haben gestern bei einem Spaziergang durch die Stadt auch Albrecht Bader besucht. Er ist gerne bereit für einige Zeit zurückzukommen und uns zu unterstützen, bis ein jüngerer Verwalter eingearbeitet ist. Er will gleich heute kommen, und er hat darum gebeten, dass er seine alten Räume wieder bekommt. Das sind die drei kleinen Zimmer hinter der Treppe. Ist es möglich, die heute noch wenigstens zum Teil wohnlich für ihn zu machen?"
Almuth Jansen denkt einen Augenblick nach.
„Das ist kein Problem, denn die wurden in der Zwischenzeit nicht genutzt. Wir müssten gründich putzen. Und ... oh, in dem einen Raum hat Anna Adam gewohnt und gearbeitet in den letzten Wochen. Ich werde gleich nachsehen."

Ich wende mich an Jochen Hannover.
„Hannover, könnt Ihr Euch erinnern, wie die Räume genutzt wurden?"
Hannover nickt.
„Eins war die Schlafkammer von Bader und seiner Frau, eins war die Stube. Und eins war sein Arbeitszimmer. Als die Tochter geboren wurde, bekam er ein anderes Arbeitszimmer. Das ist der erste Raum gleich im Anschluss an diese Bibliothek. Am Schluss hat dort der Hauser gearbeitet. Im Grunde war es, als sei der Brudenhusen der Herr und der Hauser der Verwalter ..."

„Gut. Wir müssen hier nicht gleich alles auf den Kopf stellen und alle Räume umgestalten. Das Speisezimmer, dieses Arbeitszimmer, ein paar Schlafräume oben, zwei Zimmer für Bader. Alles andere nehmen wir in Angriff, wenn dafür Zeit und Geld da ist. Aber im Moment ist alles andere wichtiger. Und jetzt habe ich noch eine ganz andere, ziemlich dringende Frage. Brudenhusen wollte heiraten. Wir müssen nun die Braut benachrichtigen. Könnt Ihr mir sagen, wer die Dame war und wo wir sie finden?"
Barkhausen und Jansen zucken zusammen bei der Frage.
„Ein blutjunges Mädchen, das nicht glücklich mit der Entscheidung ihres Vaters war. Sie wird aufatmen. Er ist der Freiherr von Barbis, etwas östlich von hier, ein knapper Tagesritt."
„Ist das heute noch zu schaffen?"
„Ein tüchtiger Reiter kann zu einer annehmbaren Tageszeit dort eintreffen."

Ich fackele nicht lange.
„Gut. Karl, machst du dich bereit? Ich werde sofort einen Brief aufsetzen, damit du zügig loskannst."
Karl steht sofort auf.
„Natürlich. Ich habe Benjamin gestern schon vorgewarnt, dass das heute auf ihn zukommt. Ich gehe ein paar Notwendigkeiten packen."
Und schon ist er zur Tür hinaus. Ich selbst bitte nun Frau Jansen und Herrn Barkhausen darum, im Laufe des Tages mehrere Listen für mich anzufertigen.
„Und Frau Jansen. Darf ich Euch bitten, später mit Maria und Jochen Hannover hier in mein Büro zu kommen? Ich habe eine Frage an Euch."
Etwas verwundert ob meiner Geheimniskrämerei entfernen sich die Drei, um alle neuen Aufträge in Angriff zu nehmen.

Ich wende mich nun zum ersten Mal dem Schreibtisch des Brudenhusen zu. Er sieht sehr alt und wuchtig aus und stammt darum wohl noch aus der Zeit des seligen Herrn von Minnigerode. Ich muss nicht lange suchen, bis ich ordentliches Papier, Tinte und Feder gefunden habe. Ich spitze die Feder an und starre eine Weile auf das leere Blatt.
Wie muss sich dieser Vater nun fühlen? Und wie geht es diesem armen Mädchen damit? Ich hoffe, es wird ihr nicht schaden.

Viel Zeit zum Nachsinnen gönne ich mir nicht. Ich beginne, das Arbeitszimmer des Brudenhusen zu erkunden, Urkunden, Steuerlisten, Korrespondenz, Rechnungen für Luxusgüter, eine Notiz, aus der hervorgeht, wieviel ich unwissentlich zum Erhalt der Schule gezahlt habe, obwohl diese längst geschlossen war - alles ist für mich von Interesse, und ich werde auf diese Weise erschreckend oft fündig. In vollem Umfang werde ich das Ausmaß sicher erst begreifen, wenn der Bader mir Vergleichswerte aus der Zeit der Minnigerodes vorlegen kann, aber es wird mir schon jetzt klar, wie sehr der Brudenhusen das Volk ausgequetscht, um ihr Hab und Gut, ihre Ländereien und ihre Freiheit gebracht hat. Und um wieviel Geld er auch mich nach Strich und Faden betrogen hat.

Ich merke gar nicht, wie die Zeit verfliegt, als dann Almuth Jansen und Ulrich Barkhausen wieder vorsprechen. Sie bringen mir erste umfangreiche Listen über das normale Inventar wie Wäsche, über die Luxusgüter, über die Bediensteten und ihren Verdienst und vieles mehr. Außerdem meldet Frau Jansen, dass die Räume für den alten Verwalter grade soweit fertig wurden, dass sie bewohnbar sind, und dass der Bader nun eingetroffen sei.
„Lasst den Bader erstmal ankommen. Er soll sich einrichten und dann später vorsprechen."

Wiederum verabschiede ich die beiden, um die nächsten Aufträge in Angriff zu nehmen, doch Almuth Jansen bleibt zögerlich stehen.
„Habt Ihr noch eine Frage, Frau Jansen?"
Sie schüttelt den Kopf.
„Herr, alle anderen haben längst gegessen, Ihr ward nur so beschäftigt, dass Euch niemand stören wollte. Aber Ihr solltet nun doch auch etwas zu Euch nehmen. Dann wüsste ich noch gerne, was mit der Arbeit von Anna Adam geschehen soll, die unfertig in der dritten Kammer liegt. Und Seidel fragt, ob er sich derweil mit der Garderobe des Brudenhusen beschäftigen soll. Das meiste wird Euch nicht passen, aber er würde gerne durchsehen, was er wegpacken und was er Euch vorlegen soll."
„Das ist eine gute Idee. Beides. Bringt Ihr mir etwas zu essen hierher? Und Seidel soll ganz nach seinem Ermessen vorgehen. Ich werde einfach am Ende sichten, was er sortiert hat."

Almuth Jansen bleibt immernoch stehen. Ich schaue sie fragend an.
„Herr, wann möchtet Ihr, wann die Hannovers mit mir hierher kommen? Ihr wolltet etwas mit uns besprechen."
Ach ja, richtig. Das Waisenhaus.
"Am besten kommt Ihr, wenn ich fertig mit essen bin. Dann bekommt Bader noch ein wenig Zeit, sich wieder hier einzufinden."
„Ja, Herr. Ihr bekommt sofort ein Mittagssmahl, und danach werden wir erscheinen."

Es macht mir große Freude, dass ich mit den Angestellten hier im Haus so gut auskomme, dass sie so anstellig sind, zügig und genau arbeiten. Kurze Zeit später habe ich ein einfaches, aber leckeres und reichhaltiges Mahl neben mir stehen, während ich mich unablässig weiter durch des Brudenhusens Arbeitszimmer wühle und immer weitere Ungeheuerlichkeiten zu Tage fördere.

.....................................................

25.3.2020

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top