063 - Wände haben Ohren - Sa. 10.3.1571

Mein Kammerdiener Kahn weckt mich am nächsten Morgen mit der Nachricht, der Verwalter habe nachgefragt, wann ich denn abreisen wolle.
Der Halunke lässt wirklich nicht locker.
„Gib ihm keine Antwort. Ich werde jetzt gemütlich den Tag beginnen, möchte hier oben frühstücken und werde ihn dann selbst finden."
Er schickt Ruven zur Küche um ein Frühstück und hilft mir dann, mich anzukleiden.  Draußen scheint die Sonne, ich bin ausgeruht und voller Tatendrang. Mit dem Frühstück trifft auch Benjamin ein, der heute Nacht mit Konrad im Stall geschlafen hat.

„Herr, darf ich Euch eine Beobachtung mitteilen, die ich heute Nacht gemacht habe, als ich auf der Suche nach dem Weg zum Stall war?"
Er hat sofort meine Aufmerksamkeit.
„Ich habe etwas gebraucht, bis ich eine unverschlossene Tür hinaus in den Hof gefunden habe. Als ich draußen eben um eine Ecke biegen wollte, habe ich jemand mit einer hohen Stimme heftig schimpfen gehört. Ich kann nicht viel von dem seltsamen Gespräch verpasst haben. Was ich hörte war folgendes:'Ist der Mann wirklich tot?' - 'Ja, Herr.' - Dann erkläre mir eines, Hauser. Warum kommt heute sein Freund ins Schloss marschiert und behauptet fest, er habe eine schriftliche Einladung zur Taubenjagd erhalten und gedenke, eine Weile zu bleiben und auf seinen Freund zuwarten?' Eine Weile herrschte Schweigen um die Ecke. Dann hörte ich wieder die unangenehme Stimme. 'Dafür wirst du büßen, Halunke! Bring ihn mir. Tot! Ich werde versuchen, diesen hartnäckigen Gast loszuwerden, je eher, desto besser. Aber wenn du diesmal deine Aufgabe nicht vollständig erledigst, dann bist DU tot.' Ich hatte genug gehört und habe mich schnell unter der Treppe zu dieser Seitentür versteckt. Keinen Augenblick zu früh, denn der kleine Dicke mit der hohen Stimme hastete genau durch diese Tür wieder hinein und schimpfte dabei vor sich hin. Ich habe noch gewartet, bis auch die Schritte des anderen verhallt waren. Dann bin ich zum Stall gehuscht."

Kahn ist mitten in diesem Bericht ein Glas klirrend auf dem Boden zerschellt, und ich bin aus meinem Stuhl hochgeschossen. Ich habe keinen Gedanken mehr für Sonnenschein und Frühstück. Ich kann kaum glauben, was ich gehört habe. Aber Benjamin versichert mir, dass er alles richtig behalten habe.
„Das heißt, dass dieser Brudenhusen einen Mann namens Hauser beauftragt hat, Hannes zu ermorden. Seinen eigenen Herrn. Der hat aber Murks gebaut und das dann seinem Herrn lieber verheimlicht. Denn der Verwalter hat aus meiner Bemerkung geschlossen, dass Hannes noch leben muss, und war ehrlich verblüfft und erschrocken darüber. Er hat meine Geschichte mit dem Brief geglaubt. Und der Hauser hat das nicht abgestritten. Und das heißt..."
Mein Kammerdiener hat die Scherben eingesammelt und schaut mich nun mit vor Freude glänzenden Augen an.
„Das heißt, Herr, dass er noch lebt. Irgendwo hier. Er lebt."

Spontan schießen mir die Tränen der Freude in die Augen. Unruhig laufe ich im Raum auf und ab.
„Wir dürfen nichts überstürzen. Der Hauser wird wissen, wie gefährlich es für ihn ist, dass er den Auftrag nicht erfüllt hat. Er wird seitdem intensiv gesucht haben. Hannes muss also gut versteckt sein oder geflohen sein oder treue Verbündete gefunden haben. Oder alles zusammen. Es wird also auch für mich nicht leicht sein, ihn zu finden."
Mein Hirn arbeitet fieberhaft.
„Außerdem wird der Hauser nun selbst noch verstärkt suchen. Und das wird Hannes auch nicht grade aus dem Bau locken. Ich muss also nun erst dafür sorgen, dass ich ein Weilchen bleiben kann, und beobachten, was hier alles so vor sich geht. Ich muss sehr auf unsere Sicherheit bedacht sein, denn dieser Mensch geht offenbar über Leichen. Und ich muss einen Weg finden, Hannes wissen zu lassen, dass ich in der Gegend bin."

Mir platzt bald der Schädel, meine Gedanken überschlagen sich.
„Wir dürfen auf keinen Fall allein sein. Benjamin, geh sogleich wieder in den Stall, damit Konrad nicht allein ist."
Der Wachmann entfernt sich sofort. Ich dagegen kleide mich sorgfältig für einen kleinen Spaziergang, verlasse mein Zimmer, Joseph im Gefolge, schreite in die Halle hinunter und lasse mich von einem herumstehenden Diener zum Brudehusen bringen.

Der scheint sich ein wenig gefasst zu haben, denn er kommt mir aus seinem Arbeitszimmer entgegen, begrüßt mich und fragt mich viel freundlicher als gestern: "Nun, ich hoffe, Ihr hattet eine gute Nacht. Darf ich fragen, wohin Ihr Euch auf der Weiterreise wenden wollt?"
Ich muss mich sehr beherrschen, ihm nicht sofort an den Kragen zu gehen. Stattdessen tue ich ausgeruht und fröhlich.
„Ach, mit der Entscheidung warte ich, was mein Gastgeber so plant. Er wird ja sicher bald hier eintreffen. Und wenn wir keine Lust mehr haben, Tauben zu jagen, dann wollen wir gemeinsam entscheiden, wo wir das Frühjahr verbringen wollen. Das findet sich dann schon. Aber bis Ostern sind wir sicher noch hier."

Der Brudenhusen schnappt nach Luft, doch ich lasse ihn gar nicht zu Wort kommen.
„Ein hübsches Städtchen ist das hier. Ich habe gestern Abend im Dunklen gar nicht viel sehen können. Ich denke, ich werde mir nun die Kirche ansehen und dann bis zum Mittag einen kleinen Spaziergang durch die Stadt machen und ein wenig frische Luft schnappen. Jetzt, wo der leidige Regen endlich aufgehört hat."
Und mit diesen Worten gebe ich meinem Begleiter einen Wink und spaziere gut gelaunt zur großen Eingangstüre hinaus. Auf dem Schlosshof und in Sichtweite des Torhauses bleibt er noch hinter mir, dann schließt er auf, und wir streben zur Stadtkirche.

Die kleine Kirche ist ein Schmuckstück. Ich setze mich still in eine Bank und betrachte den kunstvoll geschnitzten Altar. Und so kann ich ein wenig entspannen und meinen Gedanken freien Lauf lassen. Ich bete für Ludo und Hannes und für den Erfolg meiner Reise. Etwas gestärkt treten wir dann wieder hinaus auf den Platz und laufen gemeinsam durch die Straßen und Gassen.

Joseph ist ein guter Beobachter. Gemeinsam entdecken wir viele kleine Anzeichen, dass die Menschen in dieser Stadt arm sind, dass es ihnen nicht gut geht. Wir begegnen sehr viel Misstrauen. Und er merkt ziemlich schnell, dass wir verfolgt werden. In der Herberge am Markt suchen wir uns einen gemütlichen Platz in einer Ecke der Schankstube, von wo aus mein Mann die Tür beobachten kann. Hinter uns kann sich nun niemand verstecken, weil da die Küche der Schenke liegt, und so sind wir einigermaßen ungestört. Der Verfolger scheint sich jedoch sowieso nicht hereinzutrauen.

Während Joseph an seinem warmen Bier nippt und seine Augen durch den Raum schweifen lässt, schaue ich nachdenklich auf die Tischplatte.
„Und – was denkst du, wie wir jetzt weitermachen?"
Er lenkt seine Aufmerksamkeit auf mich.
„Ich würde gerne zunächst verstehen, warum hier an allen Ecken und Enden so ungewöhnlich viel Geschäftigkeit herrscht. Es liegt was in der Luft. Dann sollten wir herausfinden, ob es noch Bedienstete gibt, die schon zur Zeit der Gräfin da waren – wir sollten nach Verbündeten direkt im Hause suchen. Und wenn die mal so richtig aus dem Nähkästchen geplaudert und ihr Herz ausgeschüttet haben, wissen wir wahrscheinlich viel mehr. Von denen erfahren wir dann nämlich auch, wer die direkten Vertrauten des selbsternannten Herrschers sind. Und vor denen wir uns in Acht nehmen müssen."

Das klingt einleuchtend. Wir brauchen dringend Verbündete – warum also nicht gleich im eigenen Hause danach suchen. Ich will grade etwas erwidern, als sich die Tür zur Küche öffnet, der Schankbursche sie mit dem Ellbogen aufschiebt und sich noch einmal zurück in die Küche wendet.
„Ich habe keine Ahnung, wie sich der olle Brudenhusen das vorstellt. Er quetscht uns alle aus, damit er eine tolle Hochzeit hat, aber dass wir dadurch nicht genug haben, um seine zahleichen Gäste hier im Ort zu bewirten, das ist ihm offensichtlich egal."
Damit wendet sich der Bursche in den Schankraum, schubst mit dem Fuß die Küchentür wieder zu und beginnt, die mitgebrachten Teller und Platten an die anwesenden Gäste zu verteilen.

Joseph und ich schauen uns nicht an. Als der Bursche wieder in der Küche verschwunden ist, murmelt mein Begleiter nur etwas.
"Ach, daher weht der Wind! Der Mann will heiraten, und sein Lehnsherr wäre ihm dabei im Wege gewesen."
Ich spüre blanken Zorn in mir.
„Er versucht allen Ernstes, sich dieses Lehen anzueignen. Er muss größenwahnsinnig sein."

Nachdem wir noch eine Weile durch das Städtchen gebummelt und dabei wie zufällig auch am Waisenhaus und der inzwischen geschlossenen Schule vorbeigekommen sind, wenden wir uns wieder dem Schloss zu. Unser Wachhund hat sich wieder an unsere Fersen geheftet, kann aber leider nichts Verdächtiges erspähen, weil wir wirklich nur bummeln. Zurück in der großen Eingangshalle informiere ich einen älter aussehenden Diener, dass ich wieder da sei und gerne am Mittagsmahl teilnähme. Er schaut mich verschreckt aus trüben Augen an.
„Herr, ich bin gebeten worden, Euch zu informieren, dass der Herr Verwalter leider aushäusig speise, hier werde heute nicht gekocht."
Es ist ihm sichtlich peinlich, dass er mir eine so unverschämte Botschaft ausrichten muss, und ich wittere den ersten Verbündeten.
„Wenn es ihm möglich ist, wäre ich ihm dankbar, wenn meine Begleiter und ich dennoch etwas zu essen bekämen."
Ich schaue ihn freundlich an, was er wohl bemerkt.
„Sehr gern, werter Herr."
Damit verschwindet er in Richtung Küche.

Joseph und ich schauen ihm hinterher, bevor wir uns zur Treppe wenden.
„Na, das kann ja heiter werden."
Kurzerhand bitte ich ihn, auch Benjamin und Konrad aus dem Stall zum Essen zu holen. Ich esse lieber gemeinsam mit meinen Untergebenen als ganz allein. Immerhin sind wir im Moment ganz auf uns gestellt.

Kurz darauf kommen der ältere Diener und zwei Küchenburschen und versorgen uns mit kaltem Braten, Brot, Früchten und Bier. Während wir herzhaft zugreifen, berichten wir den anderen Vier, was wir erlebt und gehört und verstanden haben. Wir beschließen, dass ich mich einfach als penetranter Gast einnisten und den Brudenhusen auf Trab halten werde, während die anderen die Stimmung aufnehmen, die Leute beobachten und mögliche Verbündete suchen. Wir machen aus, dass keiner von uns lange allein sein darf, und hoffen, so an entscheidende Informationen zu kommen, was hier passiert sein könnte oder wo wir suchen müssen.

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3.3.2020

oben ein Landsknecht im 16. Jahrhundert,

unten der Schankraum eines ländlichen Wirtshauses

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