057 - Trauer - Mo. 26.2.1571
Ich muss nach Hannes Abreise noch einmal eingeschlafen sein. Als ich aufwache, ist es draußen hell, die Kinder spielen leise, mein fabelhafter Jakob hat es geschafft, die Ziegen ein wenig zu melken und Susanna und Peter etwas Milch zu geben. Nun hocken sie zu dritt auf dem Lehmboden und lassen die Murmeln kullern. Und immer, wenn das Peterle eine Murmel in den Mund stecken will, greifen Susanna oder Jakob sofort zu, damit er sie nicht verschluckt. Für einen kurzen Augenblick lasse ich den zauberhaften Moment heute Morgen in meinem dunklen Stallgang noch einmal in meine Gedanken. Ich habe mich so warm und beschützt und geliebt gefühlt.
Dann gebe ich mir einen Ruck. Die Kinder sollen es nicht merken, und mein Leben muss weiter gehen. Ich stehe auf, begrüße meine Kinder, lobe sehr meinen tüchtigen großen Jakob und gehe an mein Tagwerk. Ich spüre, dass die Kinder Hannes vermissen, aber wir spielen und lachen und erzählen auch, was wir Schönes mit ihm erlebt haben. Wenn die Kinder fragen, ob er auch ganz bestimmt wiederkommen wird, sehe ich sie fest an und lüge tapfer.
„Ja, ganz bestimmt. Ihr habt es doch gehört. Er konnte eben nur nicht sagen, wann er kommen wird. Das kann lange dauern, da müssen wir jetzt Geduld haben."
Susanna krabbelt auf meinen Schoß.
„Mutter, ist zwei Tage lange?"
Gott, lass mich dem standhalten!
Als ich meine Kate verlasse, um Wasser vom Brunnen zu holen, begegnet mir mancher freundliche Blick. Die Zuberin gesellt sich zu mir, sie ist auf demselben Weg wie ich.
„Du bist tapfer, Anna. Als du mit 14 hierher kamst und wegen der kranken Bärbel den Haushalt übernehmen musstest, haben wir alle den Kopf geschüttelt. Aber du hast dich immer durchgebissen. Als der Verwalter deinen Jakob aufs Dach gezwungen und so umgebracht hat, haben wir alle die Luft angehalten. Du hast auch das tapfer überstanden. Nun rettest du beherzt einem vollkommen Fremden das Leben und bietest den Angreifern die Stirn. Und vielleicht hast du uns dadurch sogar die Erlösung von Unterdrückung und Ungerechtigkeit verschafft."
Ich lächele sie an und bin ehrlich erleichtert über ihre freundlichen Worte. Ich hatte etwas Sorge, dass die Nachbarn vor allem erzürnt sein könnten, dass wir das Geheimnis so lange für uns behalten haben. Aber da fährt die Zuberin schon fort.
„Ich ... ich möchte dir sagen, dass hier natürlich nun viel darüber geredet worden ist. Aber niemand ist böse, dass nur wenige eingeweiht wurden. Es war sicherer so, ihr habt das ganz richtig gemacht."
Spontan stelle ich meinen Krug ab und nehme sie einmal in die Arme.
„Danke, Gunda. Das bedeutet mir sehr, sehr viel!"
„Du... hast ihn sehr gern, nicht?"
Ach ja... sie ist so eine Herzensgute. Aber neugierig für drei Waschweiber.
„Ja, Gunda. Sehr."
Sie lächelt.
„Aber ich mache mir keine falschen Hoffnungen. Er ist unerreichbar für mich. Dass er mir und uns so dankbar ist, verschafft unserem ganzen Dorf für Jahre Unterstützung und Wohlwollen. Aber erstmal muss er herausfinden, wer er ist. Und tatsächlich unser Lehnsherr sein. Und sich auch sein Recht verschaffen können. Das gilt es nun geduldig abzuwarten."
Wir sind beim Brunnen angekommen. Da das Wetter inzwischen richtig mild geworden ist, ist auch das Wasser nicht mehr gefroren, und es bleibt uns erspart, erstmal mit dem Spitzeisen das Eis aufzuhacken. Wir summen ein fröhliches Lied vor uns hin, während wir Wasser schöpfen. Auch andere Frauen gesellen sich nun zu uns. Ich scheine grade die begehrteste Person im Dorf zu sein. Ich muss leise lachen. Wir werden sehen, wie sehr sie mich mögen, wenn erstmal am Samstag der Hauser hier „ge-haus-t" hat ... Dann treten Gunda Zuber und ich unseren Rückweg an, plaudern über die Kinder und das Wetter und verabschieden uns vor ihrer Hausstür.
Und ich stürze mich zu Hause in die Arbeit, damit ich nicht so viel nachdenke. Meine Tage sind gefüllt mit Geschäftigkeit – Buttermilch ansetzen, buttern, die Tiere versorgen. Mit dem Jakob weitere Buchstaben üben, dem Peterle helfen, weil er unbedingt schon aufstehen will, obwohl ihn seine Beinchen noch gar nicht tragen können, Susannas kleinen Fingern das Nadelbinden zeigen. Waschen, kochen, Kinderkleidung flicken, die beim wilden Spiel zerrissen ist. Über allem liegt Trauer wie feiner Nebel, der sich einfach nicht heben will. Also suche ich weitere Beschäftigung.
Ich gehe auch auf den Hügel zur Müllerin und frage sie, was ich ihr denn nun mal langsam abnehmen kann, weil ihr jetzt alles so schwer fällt. Dankbar lächelt sie mich an.
„Das Buttern ist so mühsam. Das Kleine tritt mich dabei immer, ich soll stille halten!"
Sanft fährt sie sich mit der Hand über den gewölbten Bauch. Also schnappen sich Mathis und Laurenz meine beiden Kleinen.
„Wir wollen üben!"
Und ich erledige für Britt das Buttern. Ich fange die Molke auf und streiche die Butter in den Buttertopf, reinige das Fass und räume ihre Milchkammer gründlich auf. Man sieht, dass sie nur noch die wichtigsten Handgriffe tun kann. Ich sehe, dass Käse angesetzt ist, und erledige gleich auch noch das Salzen und Wenden der Laibe. Dann gehe ich wieder zu ihr auf die Diele.
„Kann ich sonst noch was für dich tun, Britt?"
Sie will sich grade bedanken, da fährt sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht mit der Hand an den Rücken. Ich springe zu ihr, helfe ihr in die Kammer und mache es ihr bequem.
„Leg ganz viel die Beine hoch, hörst du? Dann hat der Rücken nicht so viel Last! Und schick mir sofort einen der Jungen, wenn du mich brauchst!"
Ich will mich zum Gehen wenden, um ihrem Mann Bescheid zu geben, dass sie sich hingelegt hat, da greift sie nach meiner Hand.
„Anna. Ich hab Angst! Holst du mir die Lene?"
Ich beuge mich noch einmal zu ihr runter und drücke sie.
„Sofort, Britt. Sofort!"
Ich bitte die Jungs, weiter nach den Kindern zu sehen, und eile den Hügel hinunter. Ich wünsche Britt das allerbeste und hernach ein gesundes Kind. Aber für mich ist es grade ein Segen, dass mir als nächster Nachbarin die Versorgung ihres Haushalts zufällt, denn ich brauche dringend Ablenkung. Zwei Tage dauert es, bis die Schmerzen nachlassen und Britt wieder aufstehen kann. Aber auch darüber hinaus versorge ich nun noch ihre Männer, ihr Vieh und sorge dafür, dass sie sich wirklich schont. Sie soll bei Kräften sein, wenn das Kind kommt, und ein paar Wochen muss sie noch durchhalten. Britt und Mathes sind ehrlich dankbar. Und ich habe nun wirklich von früh bis spät zu tun und falle abends erschöpft neben meine Kinder auf die Pritsche.
Irgendwann bemerke ich, dass Jakob immerzu verstohlen auf Britts Bauch starrt. Abends auf dem Weg nach Haus frage ich ihn dann danach, und sofort platzt die Frage aus ihm heraus, die ihn offensichtlich schon seit Tagen schwer beschäftigt.
„Mutter, der Nikolaus hat ja gesagt, dass der Osterhas der Britt ein Kind bringt. Ist das jetzt da in dem dicken Bauch?"
Ich muss schmunzeln. Ich habe keine Ahnung, wohin dieses Gespräch wohl führen wird. Der Junge ist einfach so schlau.
„Ich denke schon."
„Und wie hat der Osterhas das Kind da hineinbekommen? Da ist doch keine Tür!"
Jaaaaaaa, das ist eine gute Frage, mein Sohn. Was um Himmels Willen soll ich denn da jetzt antworten???
„Das, mein lieber Jakob, ist sein größtes Geheimnis. Er hat es noch nie einem Menschen verraten. Er zeigt sich uns ja auch nicht. Es ist einfach so. Und wir Menschen müssen auch nicht alles wissen und verstehen."
Jakob sieht seeeeeehr unzufrieden aus mit dieser Antwort. Aber ich habe mir Mühe gegeben, endgültig zu klingen. Sonst weiß ich wirklich nicht mehr weiter. Zum Glück fragt er aber nicht weiter nach.
Ich hangele mich durch die Woche, freue mich an meinen Kindern, wache darüber, dass Britt sich wirklich schont und warte darauf, dass der Pastor mit guten Nachrichten nach Hause kommt. Dass Hannes gut angekommen ist. Dass er schon Hinweise sammeln, sich vielleicht auf den Weg zu Verwandten machen konnte. Jeden Abend, wenn die Kinder schlafen, stehe ich im Dunklen vor meiner kleinen Kate und schaue nach den Sternen. Wir haben das gar nicht verabredet. Ich sehne mich einfach danach, dass Hannes das auch tut und in dem Moment an mich denkt. Diese kleine Hoffnung macht das Warten leichter.
Am Freitag Morgen geht wie immer der Vogt durchs Dorf und regelt, dass mit dem Steuer-Hauser alles glatt und schnell gehen kann. Alle hoffen natürlich, dass das Gewitter ausbleibt, aber wir Verbündeten ahnen mehr. Er wird nicht einfach hinnehmen, dass er Hannes nicht mehr zu Gesicht bekommen wird. Die Hochzeit rückt näher, und damit steigt der Druck für ihn, diesen Mann oder seine Leiche oder zumindest sein Pferd zu finden. Dass der seltsame Knecht und das teure Pferd nun verschwunden sind, wird er nicht einfach so schlucken sondern im Gegenteil sehr genau nachfragen und suchen lassen. Zu dumm, dass beim letzten Mal der Hurtig entdeckt wurde! Hoffentlich ist unser Pastor schnell wieder umgekehrt, dass er dann wieder dabei sein kann. Sonst wird es uns noch härter treffen.
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26.2.2020
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