041 - die unbekannte Gefahr - Di. 2.1.1571

Das neue Jahr ist angebrochen. Der Winter hält das ganze Land in seinen eisigen Klauen. Noch reichen die Vorräte, es gibt genug Futter für all unser Vieh, alle im Dorf sind gesund. Hat mal einer einen Schnupfen, wird sogleich die Lene geholt und bringt die richtigen Kräuter mit. Ich danke Gott täglich für die Bewahrung auf der Reise und für das Leben meiner kleinen Tochter. Ich bete um Vergebung für die Hartherzigkeit des Verwalters und für unsere Blindheit für die Gefahr, in die wir die Kinder gebracht haben. Ich danke für den Wirt in Gieboldehusen und den Bauern in Rhumaspring. Und ich bitte darum, dass wir beiden Männern recht bald ihr Eigentum zurückbringen und uns gebührend bedanken können.

Jorge heizt recht gut ein, damit meine klamme Kate bald wieder etwas Wärme hat, und am nächsten Morgen ziehe ich mit meinen Kindern und meinem Knecht Hannes zurück in die Adamskate. Erneut richten wir uns ein. Da finden die Kinder die selbstgefertigten Sterne auf dem Tisch.
„Mutter, die haben wir ja ganz vergessen!"
Ich überlege schnell. „Nein, Jakob. Die haben wir nicht vergessen. Wir mussten uns nur erst ums Sannchen kümmern. Und die Weihnachtszeit ist ja auch noch nicht vorbei. Erst Anfang Februar ists vorbei, und bis dahin sind es noch fünf Wochen. Komm, wir stellen den großen Stern vors Haus!"
Und so schmücken wir nun endlich unsere Haustür, stellen den großen Stern vor die Hecke und suchen allerlei schöne Plätze, wo wir im Haus die kleinen Sterne aufhängen können. Bald schon baumeln sie von der Wand, von Hannes Bodenleiter, von der Decke, an der Tür zum Verschlag von Zick und Zack und an vielerlei anderen Stellen im Haus. Wir haben etwas Mühe, den Großen klar zu machen, dass es keine gute Idee ist, die Sterne in Reichweite von Ziegen aufzuhängen, sonst wären nun auch welche bei Zick und Zack drinnen. Aber schließlich sehen die Kinder doch ein, dass die Sterne dort nicht lange leben würden.

Endlich fühlt sich das Leben sorglos an. Allerdings nicht für lange Zeit. Denn nun naht der erste Samstag des Januar. Wir haben keine Ahnung, ob der Steuereintreiber es schaffen wird, bei diesen Straßenverhältnissen in die Dörfer zu kommen und die üblichen Steuern einzutreiben. Aber uns wird allmählich bewusst, dass wir uns nun etwas einfallen lassen müssen, wie wir Hannes als neuen Knecht im Dorf präsentieren können, ohne dass jemand ahnt, wie er in Wahrheit zu uns gekommen ist. Denn immernoch wissen wir nicht, wer er eigentlich ist, woher er in Wahrheit stammt und wer ihm nach dem Leben getrachtet hat. Die Bedrohung, der Bedroher ist irgendwo da draußen. Und er scheint etwas mit dem Steuereintreiber zu tun zu haben, denn der blinde Jasper hat ja die Stimme des einen Knechtes wiedererkannt.

Wieder geht unser Vogt durchs Dorf, entscheidet, wer den Steuersätzen gemäß was zu geben hat, und lässt alles ins entsprechende Haus bringen. Anschließend aber treffen wir uns mal wieder mit den Verbündeten an meiner langen Tafel bei einem Becher heißem Tee. Die Kinder sind bei Irmel. In meiner Diele sitzen der Vogt Drebber, Jorge und Jasper Krumm, der blinde Jasper, Jungbauer Klaas Rand, die alte Lene, Pastor Johann Crüger, Oswald Ferz, Hannes und ich. Brot, Käse und warmes Bier stehen auf dem Tisch.

Der Vogt fasst zusammen, was wir wissen.
„Hannes kam Mitte November zu uns, wurde mitten in der Nacht im Wald überfallen und schwer verwundet. Kurz darauf suchten vier Männer nach ihm. Als er aus dem Fieber aufwachte, träumte er von sich als Hannes, von einem Ludo, den er für seinen Bruder hält, von seinem Pferd Hurtig, auf dem er öfter ritt. Er träumte vom Tod seiner Mutter, von zwei Jungen, die an einem Grab standen. Hurtig, die Kleidung und der volle Beutel lassen darauf schließen, dass Hannes aus gutem Hause stammt, vielleicht sogar von Adel ist. Als kurz darauf mal wieder der Steuereintreiber das Dorf heimsuchte, erkannte Jasper die Stimme eines der Knechte als die Stimme einer der Männer aus der Nacht des Überfalls wieder. Nun frage ich als erstes Euch, Hannes, ob Ihr inzwischen mal wieder etwas geträumt habt."

Aber Hannes schüttelt den Kopf.
„Seit ich offiziell Knecht des Pastors bin und in der Adamskate wohne, habe ich nichts mehr geträumt außer einmal kurz vor unserer Fahrt nach Gieboldehusen. Aber das hattet Ihr bereits in Eurer Aufzählung erwähnt. Ich bin hier glücklich, ich liebe diese drei Kinder von ganzem, ganzem Herzen, ich bin Teil der Dorfgemeinschaft geworden, ich baue mir ein neues Leben auf. Krumm laufen, dumm kucken, lahm sprechen und Dialekt radebrechen wird mir allmählich zur zweiten Natur. Und in mir drin fragt es immer seltener nach dem alten Leben, das sich vor mir selbst verborgen hält."

Der Vogt lächelt.
„Das ist schön, Hannes. Ihr seid auch sehr willkommen hier. Aber es ist auch unangenehm. Denn es fühlt sich für mich immernoch falsch an, Euch von Eurem früheren Leben fernzuhalten. Was auch immer es war – ich hielte es immernoch für weitaus besser, Ihr wüsstet doch, zwischen welchen beiden Leben Ihr Euch da eigentlich entscheidet. Wie auch immer – für das Dorf seid Ihr der Knecht des Pastors. Auch für den Steuereintreiber solltet Ihr der Knecht des Pastors sein, weil das für uns alle am wenigsten Schwierigkeiten bringt. Da stellt sich mir die Frage, ob Ihr nicht zumindest für die Wahrnehmung des Steuereintreibers auch beim Pastor wohnen solltet."

Johann Crüger schaltet sich nun ein.
„Meine Frau und ich haben gestern Abend auch darüber nachgedacht. Die Stimmung im Dorf ist sehr für Euch, Hannes. Alle mögen Euch. Ihr habt in der kurzen Zeit bereits zwei Männer vor einem Sturz bewahrt, Frau Adam und die Kinder heil durch den Schneesturm nach Haus gebracht und nächtelang die fiebernde Susanna spazieren getragen, weil sie es bei niemand außer Euch und Anna ausgehalten hat. Ihr habt Männer wie Frauen hinter Euch. Wir werden also keine Schwierigkeiten haben, dass alle helfen, Euch hier leben zu lassen. Dennoch muss das alles hier für den Steuereintreiber vernünftig und schlüssig aussehen. Darum hat meine Frau vorgeschlagen, nun doch die Dachkammer für Euch herzurichten. Die ist aber eigentlich so unzumutbar, dass Ihr dort natürlich nicht wohnen werdet. Wir wollen nur den Schein wahren können, falls jemand Euren Wohnort wird sehen wollen."
Hannes war bei der Erwähnung der Dachkammer zusammengezuckt, hat sich dann aber gleich wieder entspannt.     Ich glaube ihm nicht, dass er sich so leicht von seinem früheren Leben verabschiedet hat. Er klammert ja fast an mir und meinen Kindern. Ich bin das Bindeglied zum früheren Hannes. Als wäre ich seine einzige Sicherheit in diesem Leben.     Er lässt sich allerdings nichts anmerken.
„Wenn meine Sicherheit hier im Dorf davon abhängt, dass ich einmal im Monat so tue, als würde ich hin und herziehen, dann ist das so. Mein trockenes, dichtes Dachstübchen ist jetzt so gemütlich mit euer aller Hilfe. Da mache ich gerne ab und zu den Aufwand und die Schauspielerei."

Vogt Drebber wiegt bedächtig den Kopf.
„Dennoch bleibt: Ihr seid wahrscheinlich weiterhin in Gefahr, und wir haben keine Ahnung, von welcher Seite diese droht. Also müssen wir Euch so gut wie möglich tarnen, damit niemand im Umfeld dieses Steuereintreibers Euch erkennen kann."
Lene schaltet sich ein.
„Ich könnte ihm die Haare viel heller bleichen. Es gibt allerlei Pflanzen, mit denen das ein Leichtes ist."

Der kleine Jasper ist ein fröhlicher Bursche, und nun hat er in seinem jugendlichen Leichtsinn eine Idee.
„Der Steuerheini geht doch immer zum Vogt und lässt sich alle Listen zeigen. Wenn er da erfährt, dass es einen neuen Dorfbewohner gibt, wird er ihn sehen wollen. Also lassen wir Hannes beim Ferz bei den Schweinen warten. Wenn er antreten muss, lässt er eins frei, tut mit großem Hallo so, als wolle er es wieder einfangen und landet bei der Gelegenheit in einem Misthaufen. Darin hat er doch Übung. Und keiner erkennt ihn mehr."
Jasper grinst breit – bis ihm sein Vater einen wohl gezielten Schlag auf den Hinterkopf gibt.
„Aua!"
Aber bevor Jorge wegen der frechen Bemerkung schimpfen kann, fängt Hannes schallend an zu lachen.
„Das ist eine tolle Idee! Und du und Siegfried, ihr helft mir dann 'gaaaanz zufällig', das Schwein wieder einzufangen. Aber dabei werde ich mich so von Kopf bis Fuß einSAUen..."
Nun müssen alle lachen, denn diesem Wortwitz kann sich keiner mehr entziehen.
„..., dass mich meine eigene Mutter nicht mehr erkennen würde."

Auch mir gefällt die Idee auf Anhieb. Allerdings kann ich mir eine spitze Bemerkung nicht verkneifen.
„Aber dass eines ganz klar ist: ICH werde die eingeSAUten Kleider hinterher NICHT waschen!"
Wieder ertönt allgemeines Gelächter. Es klingt nach einer Lösung, die uns nun alle albern macht.
„Na, hoffentlich trifft dabei die SAU nicht der Schlag, sonst haben wir die SAUerei."
Hannes Augen glitzern vor Freude und Glück. Und der kleine Jasper mischt sich nochmal ein.
„Vielleicht können auch Mathis und Laurenz von ihrem Schneeberg heruntergekraxelt kommen und mithelfen. Die Müllerjungs, Siegfried und ich hocken ja oft beisammen. Nicht, dass uns die Sau sonst tatsächlich entwischt."
Also entscheiden wir, dass in Zukunft, wann immer uns der Steuereintreiber ins Haus steht, der Hannes angeblich unterm Dach des Pastors wohnt. Dass er seine Haare hell gebleicht bekommt. Und dass wir für diesmal eine fröhliche Sauhatz veranstalten werden. Der Siegfried weiß ja eh Bescheid, die Müllerjungs werden mittun, ohne zu wissen, dass es darum geht, den Hannes zu verbergen. Und bis Anfang Februar wird wieder viel Zeit ins Land gehen.

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10.2.2020

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