027 - gemeinsam unterwegs - MO. 11.12.1570

Wenig später brechen wir gemeinsam Richtung Duderstadt auf. Die Pferde sind ausgeruht, wir sind satt und aufgewärmt. Darum kommen wir gut vorwärts. Der Pastor lässt sich von Klaas kutschieren, ich reite neben der Kutsche her. Als die Dämmerung schon ziemlich weit fortgeschritten ist, erreichen wir den Gasthof, in dem Pastor Crüger immer einkehrt, wenn er auf der Reise zwischen Duderstadt und Lütgenhusen ist. Ein Stallknecht kommt uns schon im Tor entgegen und übernimmt die Kutsche, Klaas nimmt unser aller Gepäck und geht mit dem Pastor ins Gasthaus, um Zimmer für uns zu bestellen. Schmunzelnd sehe ich hinter ihm her, bevor ich mit Hurtig in den Stall gehe. Wir hatten viel Spaß am Samstag Abend, als Klaas geübt hat, sich wie der Bursche eines hohen Herrn zu benehmen und mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Zielstrebigkeit zwei Zimmer zu ordern. Erst irgendwann mitten in der Nacht ist mir dann bewusst geworden, wie selbstverständlich mir selbst das alles war.     Aber woher ich das alles weiß, kann ich immernoch nicht erkennen.     Ich versorge zügig mein geliebtes Pferd und folge dann den beiden anderen ins Gasthaus.

Klaas hat seine Sache offensichtlich gut gemacht, denn der Wirt hat uns nicht nur seine beiden besten Zimmer sondern auch einen separates Speisezimmer neben dem Schankraum zur Verfügung gestellt. Bei meinem Eintreten kommt er mir sofort mit Bücklingen entgegen und lädt mich mit sehr viel Hochachtung und Zuvorkommenheit in unseren Privatraum ein. Dort wird eine Magd grade damit fertig, ein gemütliches Feuer gegen die Kälte anzufachen. Dann macht sie einen tiefen Knicks und bittet mich, ihr zu folgen, damit sie mir mein Zimmer zeigen kann.

Wir steigen eine knarzende Holzstiege hinauf und begegnen oben im Flur meinen beiden Reisegefährten. Sofort übernimmt Klaas, verbeugt sich vor mir und bringt mich in meine Kammer, wo ebenfalls inzwischen ein Feuer im Kamin flackert. Als die Magd wieder die Stiege hinuntergeknarzt ist, verabreden wir jedoch, dass der Pastor das Einzelzimmer haben soll und Klaas und ich uns das Zimmer mit den zwei einzelnen Betten teilen werden. Wir sortieren unser Gepäck, ich ordne meine Kleidung vor dem Spiegel überm Waschtisch, und dann steigen wir zu Dritt hinunter, um das inzwischen bereitgestellte, umfangreiche Mahl zu genießen. Der Wirt geht zum Glück davon aus, dass Klaas uns anderen aufwarten wird, und lässt uns darum allein.

Erst, nachdem wir uns satt gegessen haben und jeder einen Becher warmen Würzweines in der Hand halten, kann Klaas nun endlich berichten, was er heute früh an dem Grenzwäldchen erlebt hat.
„Ich bin problemlos zu dem Baum am Bach gekommen und hinauf geklettert. Direkt, nachdem ich den Käuzchenruf nachgemacht hatte und Deine Antwort gekommen war, habe ich dann begonnen, im hohen Bogen Steine in das Unterholz im Wäldchen zu werfen. Ich hab auch mal einen Stamm erwischt und dabei ein lautes Klacken gehört. Kurz danach fing das Rufen an. Der Zöllner ist wie erhofft gerannt gekommen und hat angefangen, im Unterholz nach mir zu suchen. Also hab ich einfach weiter geworfen. Schließlich hat der Mann gedroht zu schießen, falls der Schmuggler sich nicht ergibt. Das konnte ich natürlich nicht. Also hat er geschossen. Es sah von oben recht lustig aus, denn der Mann hat geschlottert vor Angst und darum planlos ins Gebüsch geballert.
Und dann habe ich die zweite Stimme gehört. Du hast ja schon berichtet, Hannes, wie nah der Thüringer dir gewesen ist. Und ich hatte das befürchtet. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob wir dich hier treffen würden. Oder ob Du geschnappt und am nächsten Baum aufgeknüpft worden bist. In dem Lärm und Durcheinander, das die beiden Männer im Wäldchen veranstaltet haben, war es für mich einfach, von meinem Baum herunter und durch den Wald nach Hause zu gelangen. Ich hab mich beim Pastor aufgewärmt, und dann sind wir losgefahren. Ich konnte aber noch den Vogt informieren, was gewesen ist, damit er richtig reagieren kann, falls dort im Dorf nach 'dem Schmuggler' gesucht werden sollte.
An der Grenze wurde es dann ungemütlich, weil die Zöllner alarmiert und misstrauisch geworden waren. Sie haben uns und den ganzen Wagen förmlich auseinander genommen, um irgendwas zu finden. Half ihnen natürlich nichts. Also mussten sie uns den Passierschein geben und uns ziehen lassen. Das ist im Dorf manchmal echt lästig. Tatsächlich sind wir alle lammfromm. Aber das Dorf liegt so günstig zur Grenze, dass immer alle annehmen, wenn tatsächlich was ist, dass es von uns ausgehen muss. Aber Vogt Drebber ist nun gewarnt und kann das Dorf informieren."

Siedend heiß durchfährt es mich. „Frau Adam! Wenn das Dorf durchsucht wird – was ist dann mit meinen zurückgebliebenen Habseligkeiten auf dem Dachboden? Da ist unter anderem ein Beutel mit ziemlich viel Geld geblieben! Nicht, dass sie deswegen Schwierigkeiten bekommt."
Aber Klaas beruhigt mich. „Anna Adam ist eine wirklich schlaue Frau. Sie wird wissen, wie sie das alles verbirgt, bis wir wieder da sind."

Und er beendet seine Erzählung. „Jedenfalls sind wir dann ein Stück diesseits der Grenze noch einem Karren mit Thüringer Zöllnern und einem überaus grimmigen und entschlossenen Kommandanten begegnet. Der wollte auch nochmal auf uns losgehen, weil wir ja von der Grenze kamen, aber mit dem Passierschein musste er uns weiterfahren lassen. Woher die allerdings davon wussten, ist mir schleierhaft."

Das kann ich nun wiederum beantworten. „Der Thüringer, dem ich fast in die Arme gelaufen wäre, hat nach dem Vorfall am Wäldchen beschlossen, seinen Kommandanten zu benachrichtigen. Er ist hingeritten, und die Reaktion darauf war dieser Trupp. Er selbst ist zur Grenze zurück über das Dorf, das ich umritten habe. Und ich weiß das, weil sie sich direkt vor der Scheune unterhalten und dann getrennt haben."

Der Pastor erzählt uns dann einiges über seinen Bruder, über Duderstadt, über den Markt und über sein Erbe.
„Mein Bruder ist Gildenmeister der Schreiner- und Zimmermannsgilde in Duderstadt, wie es schon der Vater vor ihm war. Er hat ein stattliches Haus am Pferdeteich, einer entzückende Frau und drei Kinder. Wir haben uns immer nahe gestanden. Ich freue mich richtig auf ihn. Ihm können wir alles anvertrauen."
Ich lausche dem Pastor, um ja alles zu behalten, was er erzählt. Immerhin muss ich ja von da gekommen sein, wenn ich ins Dorf zurückkehre, es ist also nicht verkehrt, wenn ich ein bisschen was weiß. Allerdings lassen wir es heute nicht spät werden. Wir haben ja die ganze Woche immer spät abends zum Planen zusammengesessen und sind heute extrem früh raus in die Kälte. Darum freuen wir uns jetzt alle auf unsere angewärmten Betten. Als Klaas und ich die Nachtkerze gelöscht haben und ich mich in die weichen Federdecken sinken lasse, weiß ich plötzlich mit Sicherheit: Ich habe in meinem früheren Leben ganz bestimmt nicht auf einem zugigen Dachboden geschlafen – eher in einem so weichen Bett wie diesem. Es tut ausgesprochen gut!

DI. 12.12.1570

Am folgenden Morgen hetzen wir nicht. Wir stehen gemächlich auf, frühstücken ausgiebig und gemütlich und brechen erst wieder auf zur Weiterreise, als die Sonne aufgegangen und es nicht mehr ganz so bitterkalt ist. Ich behalte auch zunächst noch die Kleidung des Edelmannes an, weil das einfach wärmer ist. Die Sonne kann sich heute deutlich mehr durch den Nebel kämpfen, dadurch ist es etwas angenehmer. Erst in einem Wald kurz vor Duderstadt verwandele ich mich in den Knecht Hannes.

Je mehr wir uns der Stadt nähern, desto lebhafter wird der Verkehr auf der Landstraße. Händler und Kunden von Nah und Fern streben der Stadt zu, um noch einen Teil des Marktes zu erleben und gute Geschäfte zu machen. Als wir schließlich das Neutor in der nördlichen Stadtmauer passiert haben, müssen wir fast aufpassen, uns nicht auseinander treiben zu lassen. Ich habe ziemlich Mühe, der Kutsche im Gewühl zu folgen, und Hurtig mag solches Gedränge sowieso nicht. Aber ein paar Straßen weiter biegen wir in eine Seitenstraße ab, die uns zum Westertor bringt. Dort, ganz in der Nähe, wohnt des Pastors Bruder.

Johann Crüger fängt zu strahlen an, als er das imposante Wohnhaus mit der Kutschenremise und die daneben liegende Zimmermannswerkstatt sehen kann. Ich springe von Hurtig und betätige den Klopfer am Tor. Sigurd Crüger empfängt seinen Bruder mit heller Freude.
„Bruderherz! Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr kommen, weil du in deinem Dorf so viel verdienst, dass du auf die Erbschaft nicht angewiesen bist. Kommt herein, kommt herein, ihr seid willkommen!"
Beide Brüder müssen lachen. Der Gildenmeister winkt einen Knecht heran, der den Karren in den Hof kutschiert und dort die beiden Pferde in den kleinen Stall bringt. Einen anderen scheucht er sofort auf, um den Pächter des geerbten Gutes zu benachrichtigen, dass er morgen gebraucht werden wird. Unser Gepäck wird uns abgenommen, und dann bringt er uns ins Haus.
„Gerlinde! Komm schnell, wir haben Besuch!"
Sigurd Crüger ist ein lauter, fröhlicher Mann und passt hervorragend zu seinem humorvollen, freundlichen Bruder.

Bald schon sitzen wir an einem wärmenden Kaminfeuer, die Hausfrau verwöhnt uns und drei kleine Kinder wuseln um uns herum, glücklich, dass sie ihren Onkel mal sehen können. Da Johann Crüger darauf bestanden hat, dass wir nicht zum Gesinde des Hauses in die Küche verbannt werden sollen, speisen wir bald darauf gemeinsam mit Sigurd, Johann und Gerlinde Crüger und den drei Kindern. Ich sehe Klaas an, dass er sich etwas unwohl fühlt und sich erst gewöhnen muss, in so einer feinen Stube zu speisen. Ich dagegen muss mir nun angewöhnen, NICHT zu speisen, als sei ich die feine Stube gewohnt.

Als dann die Hausfrau die Kinder ins Bett bringt, gehen wir Männer in die Stube von Sigurd Crüger, wo dessen wachsende Neugierde endlich befriedigt wird. Pastor Crüger berichtet dort der Reihe nach, wer wir sind, wie ich ins Dorf gekommen bin, wie diese Reise zu Stande gekommen ist und was wir hier in Duderstadt erreichen wollen. Wir tragen gemeinsam zusammen, was sich an Informationen über mich inzwischen aus dem Nebel in meinem Kopf herauskristallisiert hat. Der angesehene Gildenmeister ist auf einmal ganz ernsthaft geworden, hört gut zu und behandelt nach all den Erzählungen mich und auch den Klaas mit deutlich mehr Hochachtung.
„Verzeiht, dass ich Euch zum Gesinde verbannen wollte. Nun verstehe ich. Noch einmal: ihr seid willkommen. Ich will gerne mithelfen, dass ihr alle Geschäfte hier schnell erledigen könnt."

 Als wir müde von den zwei Reisetagen in unsere Zimmer geführt werden, können wir uns wieder über angewärmte, weiche Betten freuen.

.............................................................

27.1.2020

Sigurd Crüger:

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top