Kapitel 8
Der kühle Wind strich um mein Gesicht und ließ ein paar kleine, lose Haarsträhnen in der Luft tanzen. Die Sonne war bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgegangen und ein feuchter Nebel erschwerte zudem noch die Sicht. Dennoch lief ich am Haupthaus vorbei und auf den dahinter liegenden Trainingsplatz, der von der dicken Mauer umschlossen, wie ein großer Kerker ohne Dach aussah.
Mein regelmäßiges Atmen ließ eine kleine Nebelwolke vor mir erscheinen, die sich kurz danach wieder zurückzog. Die kleinen Steine auf dem Weg knirschten unter meinen Sohlen, als ich auf das Gelände trat. Am Eingang stand ein niedriger Unterstand, in dem die meisten Trainingsgeräte aufbewahrt und vor Regen geschützt wurden. Ich ging daran vorbei und beschleunigte meinen Schritt, bis ich in einem gemäßigten Tempo über den steinigen Weg trabte und den Platz auf dem vorgegebenen Pfad umrundete. Mit der Zeit fing mein Herz an immer schneller das Blut durch meinen Körper zu pumpen und nach einer Runde setzte ein leichtes Seitenstechen ein. Trotz dessen umrundete ich den Platz ein zweites Mal, streckte und dehnte meine noch etwas müden Glieder. So langsam ging mein Körper von einer leichenähnlichen Starre ins Bewegliche über und vereinzelt knackte noch irgendeines meiner Gelenke, wenn ich meinen Oberkörper zu allen Seiten drehte.
Als ich dann das Gefühl hatte, dass meine Gliedmaßen nun wieder am Leben waren, lief ich zum Unterstand und griff nach einem Seil, einem Schwert und einer Lanze. Eigentlich hielt sich die Motivation zu trainieren in Grenzen, aber ich wusste nicht, was ich sonst so früh machen sollte. Nochmal zu Bett gehen wollte ich nicht, da ich partout nicht einschlafen konnte. Und Runa wollte ich auch nicht wecken, sie hatte ihren Schlaf mehr als verdient. So ging ich mit den Trainingsgeräten in die Mitte des Platzes und überlegte, wozu ich gerade Lust hatte. Schwertkampf alleine war langweilig und genau so hielt ich es mit der Lanze.
In der Mitte des Geländes stand eine hohe Wand, die uns im Klettern üben sollte und da ich eigentlich sehr gerne dort oben saß und die Aussicht genoss, band ich mir die Waffen mit dem Seil auf den Rücken und begann dann nach oben zu klettern. In den kleinen Vertiefungen und Spalten im Holz fanden meine Finger Halt und so bewegte ich mich Stück für Stück nach oben. Ich kletterte langsamer als sonst, da niemand zuschaute und ich nicht unter Zeitdruck stand.
Als ich die obere Kante zu fassen bekam, zog ich mich daran hoch und setzte mich auf die kleine Plattform, die sich dort befand. Der frische Nebel zog sich nach und nach zurück und mit der Zeit konnte ich den Boden unter mir auch klar erkennen. Ich schloss meine Augen für einen Moment und ließ die kühle Morgenluft in meine Lungen strömen. Der Wind streichelte meine Wangen und ich legte mich langsam auf den Rücken. Ich öffnete meine Augen und schaute in den Himmel, der von Minute zu Minute etwas heller wurde. Die Sonne leistete schon ganze Arbeit, obwohl man sie noch nicht einmal sehen konnte.
Nach einiger Zeit drückte ich mich hoch und nahm die Sachen, die ich vorher schon von meinem Rücken genommen hatte, in die Hand und überlegte, was ich damit nun anstellen könnte. In einiger Entfernung stand eine Zielscheibe und es machte sich gut, eine Lanze dorthin zu werfen. Ich legte das Schwert neben mich auf den harten Plattform Boden und visierte mein Ziel an. Spannung kam in meinen locker herunterhängenden Arm und ich hob die Lanze hoch. Dann schnellte mein Arm nach vorne und die Lanze schraubte sich durch die Luft. Es knackte laut, als sie im Holz stecken blieb und die Stelzen, auf denen die Scheibe ruhte, wankte leicht zur Seite. Fast schwarz.
Ich drehte mich wieder zurück und überlegte für einen Moment das Schwert noch hinterher zu werfen, entschied mich aber schließlich doch dagegen. Die Dinger fliegen sowieso nicht sonderlich gut.
Anstelle dessen band ich es mir wieder um und startete dann meinen Abstieg. Meine Finger waren von der Kälte und dem Festhalten fast vollständig weiß gefärbt, als ich unten ankam. Ich schüttelte sie kurz und nahm dann wieder das Schwert vom Rücken. Gerade hielt ich es in der Hand, als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie sich jemand näherte. Langsam drehte ich meinen Kopf und blickte in das grinsende Gesicht von Nummer 13. Er kam auf mich zu und stellte sich dann kerzengerade vor mich hin, stützte seine Arme in die Seite und blickte mir direkt in die Augen. So stand er eine ganze Zeit da und sagte nicht, bis es mir irgendwann reichte und ich mich an ihm vorbei drängte. Während ich zum Unterstand lief, hörte ich, wie er mir hinterher lief und ich verdrehte genervt meine Augen. Ich legte das Schwert und das Seil zurück an die Stelle, wo ich sie hergenommen hatte und drehte mich dann wieder zurück. 13 stand wie einige Momente zuvor vor mir und schaute mich an. Seine hellen Haare verbargen sich unter einer Mütze, die den selben Schwarzton hatte wie der Rest seiner Kleidung. Erneut drängte ich mich an ihm vorbei, lief zur Zielscheibe, in der immer noch die Lanze steckte und hörte hinter mir wieder die Schritte von 13, der mir wie ein treuer Hund folgte.
Das Holz knackte leise, als ich die Metallspitze herauszog und ein tiefes Loch zurückließ. Einige Holzspäne ragten hervor und ich drückte sie zurück, damit die eh schon demolierte Scheibe nicht noch schlimmer aussah. 13 ignorierend ging ich zum Unterstand zurück und stellte die Lanze in die dafür vorgesehene Halterung. "Was willst du eigentlich?" fragte ich genervt, als ich mich umdrehte. Ich erwarte, dass 13 hinter mir stehen würde und mich mit hochgezogenen Augenbrauen mustern würde, doch da war niemand. Ich schaute mich um und suchte den Platz mit meinen Augen ab, doch ich konnte ihn einfach nirgends entdecken. Schulterzuckend verließ ich den Unterstand und machte mich auf den Weg zur Hütte. Die Sonne war gerade dabei, ihre warmen Strahlen über den Wald zu schicken und mein kaltes Gesicht aufzutauen. Jetzt fing der Tag so richtig an. Jetzt fing die Arbeit so richtig an.
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