Kapitel 7

Wir liefen den Gang entlang, vorbei an den ganzen Gemälden und hin zu der Treppe, die uns nach unten führte. Keiner sprach ein Wort, nur das dumpfe Geräusch unserer Schritte war zu hören.
Ich war die Erste, die unten an der Tür ankam und so war es meine Aufgabe sie für die Anderen zu öffnen. Meine Muskeln spannten sich an, als ich den geschliffenen Holzgriff packte und daran zog. Es schien, als hätte die Eingangstür ihr Gewicht verdoppelt und ich hatte Mühe sie aufzuziehen.
Schließlich sprang die Tür doch auf und ein kühler Windstoß wehte uns entgegen. Einer nach dem anderen schritt in die eisige Kälter der Nacht hinaus.
Als auch ich mich durch den Spalt drückte, knallte die Tür augenblicklich hinter mir zu und ich entfernte mich sicherheitshalber einige Schritte von ihr. Dann blickte ich auf den Hof. Ein leichter Dunst hüllte sich um die Mauern und nur vereinzelt schienen die Laternen, der Männer, die das Tor bewachten durch den undurchdringlichen Nebel.
Ich blieb noch einen Moment stehen und ließ den Wind mein Gesicht streifen, bis auch ich dann schließlich loslief.

Die anderen saßen schon auf ihren Betten als ich durch die Tür trat und mich auf den Weg zu meinem eigenen machte. Trotz der Fackel in der Hütte war es schwierig alles zu erkennen, weshalb ich froh war, als ich das Holz des Hockers an meinem Bein spürte. Mit meinen Finger tastete ich nach der Bettkante und fuhr dann langsam auf dem rauen Material entlang, bis ich die obere Ecke erreichte.
Ich beugte mich nach unten und stützte mich auf die Latten, während ich meine Zähne tief in meine Lippe grub. Mein Oberkörper schmerzte weiterhin und selbst kleine Bewegungen verursachten ein stechendes Gefühl unter meiner Haut.
Wenigsten brennt sie nicht mehr.
Seufzend ließ ich mich auf dem Bett nieder und streifte die dunklen Lederschuhe von meinen Füßen. Ich streckte meine Zehen und bewegte sie etwas, bis sie sich nicht mehr so zusammengequetscht anfühlten.
Dann begann ich auch die übrigen Kleidungsstücke abzunehmen und gegen eine lockere Hose und ein weites Oberteil einzutauschen. Diese hatten ausnahmsweise eine graue Färbung und das war auch eigentlich das einzige, etwas Buntere, dass ich besaß.
Bevor ich mich ganz hinlegte, zog ich das Stoffband aus meinen geflochtenen langen, dunkelbraunen Haaren, mit dem ich sie den Tag lang an meinem Kopf zusammengehalten hatte. Schließlich ließ ich mich auf dem mit Stroh gefüllten Kissen nieder und zog die Stoffdecke über meine erschöpfen Glieder.
Daraufhin schloss ich meine Augen und versuchte zur Ruhe zu kommen. Im hinteren Teil der Hütte kramte noch irgendjemand herum und als sich schließlich auch das Geräusch gelegt hatte, kehrte vollkommene Stille ein.
"Wacht morgen wieder auf." flüsterte 15 noch leise und drehte sich dann hörbar auf die andere Seite um. 9 murmelte etwas unverständliches, was ich schon nicht mehr wirklich mitbekam, da mich der Schlaf rasch übermannte.

Mitten in der Nacht schreckte ich auf. Mein Herz raste, während ich in die Dunkelheit hinein horchte. Eben hatte ich ein lärmendes Geräusch wahrgenommen, doch ich konnte mich nicht entsinnen, ob es meinen Träumen entsprungen war oder ob es hier in der Wirklichkeit erzeugt wurde.
Leise knarzte mein Bett als ich mich aussetzte und unter meinem Kopfkissen nach dem Messer tastete. Ich hatte die Todbringende Waffe für unangenehme Zwischenfälle darunter versteckt und dies schien ein solcher Fall zu sein. In dem Moment, in dem ich das kühle, glatte Metall zu fassen bekam, zog ich es hervor und erhob mich von meinem Bett. Die Kälte des Bodens durchzog meine Füße und kroch an meiner Haut entlang. Aber die leichte Gänsehaut sollte mich nicht stoppen. Langsam und möglichst lautlos schlich ich zur Tür. Den Weg dorthin kannte ich auswendig und so kam ich trotz der Dunkelheit schnell an meinem Ziel an. Vorsichtig legte ich mein Ohr an das Holz der Tür und lauschte angestrengt. Es war nichts, außer der schallenden Rufen einer Eule zu hören. Dennoch wartete ich noch einige Minuten, bevor ich mich wieder umdrehte und zu meinem Bett zurück ging.

Als ich meine Füße wieder unter die Decke steckte und meine Augen schloss, wollte mein Körper jedoch keine Ruhe finden. Meine Sinne liefen auf Hochtouren und ich meinte von überall her Geräusche wahrzunehmen. Nach einiger Zeit konnte ich es kaum noch aushalten und ich zog mir die Decke über den Kopf. Das Messer ruhte friedlich unter meinem Kopfkissen, aber dennoch konnte ich mich nicht entspannen. Seufzend schlug ich die Decke wieder zurück und setzte mich erneut auf. Eine Welle des Schmerzes durchzog erneut meinen Körper. Dennoch lehnte ich mich an die harte Wand. Von den Betten der Anderen konnte ich ein regelmäßiges Atmen vernehmen und gelegentlich drehte sich jemand im Schlaf. Alle fanden Ruhe, nur mich schien sie zu umgehen und wollte mich einfach nicht erfassen. Es war wie ein Fluch.

Meine Augen starrten in den stockfinsteren Raum der Hütte und ich fing an über Dinge nachzudenken, über die ich noch nie vorher nachgedachte hatte, da sich irgendwie nie der richtige Moment dazu ergab. Doch in diesem Augenblick, in dem ich nur mit meinen Gedanken alleine war, sprudelten ein Dutzend Fragen durch meinen Kopf.

Was wäre passiert, wenn ich nicht in jenem Waisenhaus aufgewachsen wäre? Hätte ich vielleicht eine Familie bekommen? Oder was wäre aus mir geworden, wäre ich nicht zur Festung gekommen? Dann wäre das alles hier nie passiert. Ich hätte die anderen nie kennengelernt und wäre nie in diese außergewöhnliche Gemeinschaft hineingeraten.
Vielleicht wäre ich von jemanden mitgenommen worden oder hätte sogar einen Namen bekommen. Einen richtigen Namen. Nicht nur eine diahingeworfene Zahl, die so wenig über mich aussagte. Ja einen richtigen Namen, das war etwas, wovon hier jeder nur träumen konnte.
Denn ein echter Name würde nie von den Anderen akzeptiert werden. Wir hatten Nummern. Nummern die nur eines über uns aussagten: Wie gut wir waren. Und noch nicht mal seine Nummer behielt man für sein Leben.
Alles was ich besaß, gehörte mir nicht, nicht einmal das, was einem Namen am nächsten kam. Die Nummer, die man für einen Zeitraum von 5 Jahren zugeteilt bekam, hielt einem nur immer wieder vor Augen, wie gut man an diesem einen Tag in den Prüfungen abgeschnitten hatte. Diese Prüfungen die bereits über 2 Jahre her waren und an die wir jeden Tag erinnert wurden, wenn irgendjemand mit uns sprach.
Aber um ehrlich zu sein fand ich meine Nummer schön. Sie war einfach und man konnte sie sich gut merken. Dennoch hätte ich gerne einen echten Namen gehabt, der etwas über meine Persönlichkeit aussagte.

Wenn ich jedoch genauer darüber nachdachte, waren die Nummer aber vielleicht doch ganz passend. Sie beschrieben das was wir sein sollten. Jeder von uns hatte eine Persönlichkeit, die jedoch von dem, was wir zu sein haben sollten, immer überdeckt wurde. Vielleicht hatten wir nichts anderes verdient, als eine Nummer zu tragen. Vielleicht waren wir nicht mehr. Nur eine einzelne Nummer, zwischen so vielen anderen.
Es gab schon viele vor uns. Vermutlich würde es auch noch in der Zukunft so viele nach uns geben, die dann das Vermächtnis weitertrugen. Wir waren nur ein Sandkorn unter vielen, die in einer großen Sanduhr hinunterfielen. Wir waren vergänglich, doch die Sache für die wir ausgebildet wurden, für die wir kämpften, für die wir töteten, war größer als jeder einzelne von uns. Ein Mittel waren wir, mehr nicht. Wie Schachfiguren, die auf einem Spielfeld hin und her geschoben wurden, aber selbst keinen Einfluss auf das Spiel nehmen konnten. Sie dienten lediglich dem Kampf. Aber sie entschieden schließlich doch, wer gewann.
Manchmal fragte ich mich, was passieren würde, wenn ich diese Fäden, mit denen ich gesteuert wurde, durchtrennen würde und meine eigenen Entscheidungen treffen könnte. Wenn ich aus meiner Rolle als Schachfigur schlüpfen und dann frei seinen würde.
Die Antwort kannte ich eigentlich. Sie wurde uns vom Captain schon einige Male vor Augen gehalten.
Kurz gesagt war es der sichere Tod, der einen dann unausweichlich einholen würde. Aussteiger oder Verräter, wie der Captain sie nannte, wurden gejagt und dann vor den Augen aller hingerichtet. Somit wäre mein Schicksal besiegelt, wenn ich auch nur einen Befehl missachtete. Ich war hier also gefangen. Jedenfalls so lange, wie ich dem Team noch von Nutzen war.

Ich ließ mich seufzend wieder auf den Rücken fallen und schloss meine Augen. Schlafen war das Sinnvollste, was ich in diesem Moment machen konnte. Deshalb versuchte ich meinen Atem zu regulieren und meinen Körper dazu zubringen, herunterzufahren.
Erst nach längerer Zeit fand ich Ruhe, nachdem ich eine Gefühlte Ewigkeit noch wach gelegen hatte. Schließlich schlief ich doch ein und sank in einen unruhigen Halbschlaf.

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