Kapitel 5

Im Türrahmen stand ein großer, bärtiger Mann mit einem strengen Gesichtsausdruck und schaute sich in der Hütte um. Ich hatte ihn bereits heute morgen am Tor stehen gesehen.
„Wo ist er?" fragte er mir seiner tiefen, rauen Stimme und uns allen war sofort klar, dass es sich um Nummer 9 handelte. Schnell antwortete ihm 15: „Er sollte trainieren sein."
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren knallte der Mann die Tür zu und wir waren wieder alleine.
„Diese Freundlichkeit übertrifft echt alle Grenzen." spottete 13, obwohl er wusste, dass von uns auch niemand freiwillig in irgendeiner Weise jemandem entgegen kam. Freundlich zu sein war nicht unbedingt unsere Stärke. Nur hier im Team machten wir hin und wieder eine Ausnahme.
"Was hat 9 denn schon wieder angestellt?" fragte ich genervt und schaute zu seinem leeren Bett. 17 antwortete mir mit einem beiläufigen 'Keine Ahnung' und stand dann wieder auf. Sie nahm die Dose mit der Salbe und ging damit zurück zu ihrem Bett, dass neben dem von 15 stand. Es knarzte leise, als sie sich auf das Holz fallen ließ und auch ich legte mich wieder auf den Rücken.
Der stechende Schmerz ließ mich nicht in Ruhe und ich biss mir auf die Lippe, bis sie fast blutete, um keinen Laut von mir zu geben.
Die Anderen machten noch ein mitfühlendes Gesicht, bevor sie sich auch hinlegten. Eigentlich war niemand von uns ein sehr emphatischer Mensch, dennoch kümmerten wir uns immer umeinander. Wir waren ein Team und jeder musste dafür sorgen, dass der andere überlebte. Und auch wenn niemand es zugeben wollte, so mochten wir einander doch mehr, als es uns gestattet war.

Ich schlug meine Augen wieder auf. Seit ein paar Minuten herrschte Stille in der Hütte, doch innerlich begann ich zu schreien. Meine Haut brannte. Die Salbe von 17 war zwar, wie ich wusste, hilfreich, doch selber hatte ich sie noch nie wirklich benötigt. Die anderen meinten, es würde leicht kribbeln, aber nie hätte ich gedacht, dass sie so sehr brennen könnte. Es fühlte sich an, als würde mein Fleisch in Flammen stehen und die Schmerzen wurden mit jedem Augenblick schlimmer.
Mein Atem beschleunigte, Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und ich musste mich so sehr zusammenreißen nicht zu schreien.
Ich wollte die Anderen nicht stören. Jeder von uns hatte Schmerzen gehabt und keinen Ton von sich gegeben. Man litt einfach nur still vor sich hin. So war es bei uns schon seit Jahren gewesen, seit immer.
Doch heute schien es mir nicht so recht zu gelingen. Ich kniff die Augen zusammen und spürte, wie mein Körper anfing zu zittern. Meine Finger krallten sich an das Holz des Bettes und die Muskeln meines Körpers spannten sich an.
Ich wollte dass es aufhört, aber Hilfe wollte ich auch nicht. Ich wollte es alleine überwinden.
Schmerzen waren vergänglich. Etwas was einen nur für eine bestimmte Zeit quälte, aber diese Zeit war dann unerträglich.
Halt durch! Es ist bald vorbei!

Ich wiederholte das wie ein inneres Mantra und kniff dabei die Augen zusammen. Doch es schien kein Ende zu nehmen. Das Brennen auf meiner Haut war so stark, dass es sich anfühlte, als würde ich in flüssiger Lava liegen. Schweiß rann meine Stirn hinunter und meine Lungen schmerzten, als ich unregelmäßig nach Luft schnappte.

„11?" die Stimme von 13 kam mir leiser vor, als normalerweise, doch ich dachte nicht weiter darüber nach. Mein Kopf schmerzte und meine Umgebung begann vor meinen leicht geöffneten Augen ein wenig zu verschwimmen.
Ich hörte Schritte, schnelle Schritte, die immer näher kamen, doch ich hatte nicht die Kraft meinen Schädel zu heben.
„Du glühst ja fast. Was ist denn los?" sein Tonfall war so leise, dass ich ihn kaum hörte.
Ich versuchte ihm mit möglichst fester Stimme zu antworten, doch die Worte, die aus meinem Mund kamen, waren so leise und zitternd, dass sie sich selbst widersprachen: „Mir gehts gut."
Die beständigen Schmerzen drangen durch meinen ganzen Körper und ich zuckte gelegentlich krampfhaft zusammen.
„Lüg uns nicht an! Man sieht wie schlecht es dir geht." rief mir 17 empört, aber dennoch mit Sorge in der Stimme, zu.
Ich merkte, wie 13 mein Oberteil ein Stück nach oben zog und sich dann ruckartig zu 17 drehte.
„Die Haut ist komplett rot. Was ist da los?" seine sonst so ruhige Stimme klang aufgeregt, als er sich über mich beugte und mich mit seinen eisblauen Augen anschaute.
„11, was ist passiert?...Bitte antworte mir!" Ich öffnete meine Mund, doch kein Laut kam hervor. Stattdessen fing mein Körper an noch mehr zu zittern und ich spürte, wie mir immer heißer wurde.
Trotz meiner verschwommenen Sicht, konnte ich erkennen, wie 15 und 17 sich ebenfalls zu mir herunter beugten.
„Wir müssen sie kühlen. 15 hol ein Stück Stoff und einen Eimer Wasser!" forderte 17 den Jungen auf, doch 13 widersprach: „Das wird nichts bringen. Wir müssen sie ans Wasser bringen."
Sie redeten aufgeregt durcheinander und ich vernahm nicht mehr als das Gewirr der Stimmen.
Nach einer gewissen Zeit verstummten sie und 13 griff nach meinem Arm.
„Wir bringen dich jetzt raus. Bitte halte noch etwas durch." sprach er und zog mich hoch. Obwohl ich meine ganze Kraft aufwendete, keine Schmerzen zu zeigen, musste ich aufstöhnen, als er mich aufrichtete. Er stellte mich auf meine schwachen Beine, doch sie zitterten so sehr, dass sie mein Gewicht nicht lange tragen konnten. Ich brach zusammen und hätte mich 13 nicht gehalten, wäre ich auf den harten Steinboden gesackt.
"15, hilf mir mal." meinte 13 und sofort kam er geeilt und griff meinen anderen Arm. Ich hing zwischen ihren Schultern und hatte Mühe den Kopf aufrecht zu halten. Die Umgebung wurde immer undeutlicher und ich versuchte angestrengt wach zu bleiben. Doch ich schaffte es nicht.
Es war als würde ich gegen eine immer näher kommende Dunkelheit ankämpfen. Und diese Dunkelheit verschlang mich langsam.
Auf einen Schlag wich jegliche Kraft aus meinem Körper. Langsam sackte mein Kopf nach unten und alle Mühen, ihn wieder zu heben, scheiterten kläglich.
Ich fühlte mich schlecht. Nicht nur wegen den Schmerzen, die mich plagten, sondern auch, weil ich den Andern zur Last fiel. Im Grunde hasste ich es auf andere angewiesen zu sein oder jedenfalls, dass mir jemand helfen musste. Normalerweise war ich die Person, die den anderen unter die Arme griff, ihnen half oder sie anfeuerte. Doch in diesem Moment, als ich fast mein Bewusstsein verlor, fühlte ich mich schwach und hilflos.

Die Rufe von den anderen drangen an mein Ohr und ich hatte Mühe sie zu verstehen. Die Augen schlug ich immer seltener auf, nur um zu sehen, wo wir uns befanden. Schon längst hatten wir die Hütte hinter uns gelassen und die anderen schleppten mich gerade an der Mauer entlang. Ihr Gang war schnell und zeugte von äußerster Unruhe. Meine Füße schliffen leicht über den Boden, während sie mich über den Hof trugen.
Immer wieder hörte ich die Stimme von 13, der versuchte beruhigende Worte mir zuzusprechen, doch ich konnte kaum die Hälfte verstehen.
Nummer 17 eilte voraus und sie lenkte die anderen in irgendeine Richtung, die ich nicht genau deuten konnte, da ich kaum noch etwas erkannte.
Schon öfters war ich bewusstlos geworden, doch da ging der Übergang von wach zu besinnungslos, immer schneller, als in diesem Moment. Es war, als sollte ich die Schmerzen so lange wie möglich spüren.

Wir hielten an und 15 übergab meinen anderen Arm an 13, der mich dann noch einige Meter trug und dann langsam auf den Boden sinken ließ.
„Bleib bei uns! Wir brauchen dich." sagte er zu mir während ich immer noch angestrengt versuchte wach zu bleiben. Doch ich spürte, wie ich den Kampf verlor. Ich hatte keine Ahnung, was danach passieren würde. Vielleicht wäre das hier mein Ende und ich hätte einen sehr undramatisch Tod, was ich eigentlich nicht gewollt hatte, doch wenn das hier der Weg war, dann wollte ich ihn gehen.
Die kalte Hand von 17 lag auf meiner Schulter, während mich 13 wieder anhob und ein Stück trug. Dann ließ er mich langsam nach unten gleiten und ich spürte eine eisige Kälte an meinen Füßen. Sie kroch langsam durch meinen Körper und schien ihn etwas herunter zu kühlen. Die Nässe des Wasser, in welchem ich mich befand, drang tief in meine Schuhe ein und kühlte meine Sohlen. Dennoch half mir die Kälte im Kampf nicht so wirklich. Die Dunkelheit ließ sich davon nicht unterkriegen und griff mich weiter an. Sie legte sich über meine Augen und ließ meine Lider zuschlagen. Während sie mich weiter überzog konnte ich merken, wie jemand mein Oberteil hochzog und begann meinen Rücken mit Wasser zu begießen.
Ich lag in den starken Armen von 13, den Kopf nach hinten hängend und fühlte mich, als würde ich jeden Moment aus dem Leben scheiden.
Das Letzte was ich noch hörte, bevor mich das undurchdringliche Schwarz bedeckte, waren die besorgten Rufe der Anderen.

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