Kapitel 4

Als ich mich auf Runas Rücken schwang und sie auf den Wald zuschritt, lag ein Geruch in der Luft, den man nicht wirklich beschreiben konnte. Irgendwie war es Rauch vermischt mit dem Odor des Todes. Die brennenden Leichname der Wächter hatte ich dicht neben der Mauer gestapelt. Ich konnte sehen, wie die Flammen langsam die leblosen Körper verzehrten und in einiger Zeit würde hier nicht mehr viel zusehen sein.

Als die Bäume meinen Blick zu dem Feuer unterbrachen, schüttelte ich alle Gedanken, die in meinem Kopf umherschwirrten ab und trieb Runa an, schneller zu laufen. Schon bald war die Stadt nicht mehr zu sehen und ich versuchte auch nicht mehr so sehr über das Geschehene nachzudenken, doch das Bild der brennenden Körper hatte in mir Erinnerung hervorgerufen, die ich versuchte immer und immer wieder zu unterdrücken. Vor meinem inneren Auge sah ich aber weiterhin, wie die Person, die mich zu dem Mensch gemacht hatte, der ich heute war, in Flammen aufging.
Nein! Hör auf daran zu denken! Es ist über sechs Jahre her!

Krampfhaft versuchte ich an etwas anderes zu denken, um nicht weiter auf die Vergangenheit mit Nummer 5 zurückzublicken. Doch es gelang mir einfach nicht. Mein Kopf schien gerade jetzt die Schublade mit Erinnerungen, die ich eigentlich vergessen wollte, auszuschütten. Ich erinnerte mich an die Zeit vor dem allem, obwohl es eigentlich nie eine Zeit davor gab. Ich erinnerte mich an die sechs Jahre im Waisenhaus und an all die schmerzhaften Erfahrungen, die ich dort gesammelt hatte. Ich erinnerte mich daran, wie sie mir als kleines Kind beibrachten, zu kämpfen, zu töten. Ich erinnerte mich auch daran, wie ich in die Festung gebracht wurde und Nummer 5 mir während meiner Ausbildung immer an meiner Seite gestanden hatte. Früher, da übernahm jeder Rächer eine Zeit lang die Ausbildung eines Jüngeren und ich hatte das Glück, dass ich Nummer 5 bekam. Sie hatte eine strenge, aber auch liebevolle Art und brachte mir so viele Sachen bei. Durch sie schaffte ich meine erste Ausbildung und wurde später auch als jüngstes Mitglied ins Team aufgenommen.
Doch ich musste mich auch an den einen Tag erinnern, als ich gerade wartete, dass sie von ihrem Antrag zurückkam, als sie mit einer blutenden Wunde im Bauch durch das Tor humpelte. Sie brach in der Mitte des Hofes zusammen und mit ihr meine gesamte Welt, als ich auf sie zu rannte und feststellen musste, dass sie tot war. Der Captain hat danach für sie eine Feuerbestattung abgehalten, was zeigte, wie bedeutend sie für das Team war. Und seitdem hatte ich versucht, Personen nie so nah an mein Herz zu lassen, damit ich diesen Schmerz nicht wieder spüren musste.

Ich war froh, als ich endlich die hohen Mauern der Festung sah, da sie mich auf andere Gedanken brachten. Dennoch konnte ich fühlen, wie die Freiheit die mich umgab mit jedem Meter kleiner wurde. Als ich dann vor dem eisernen Tor stand, war sie ganz verschwunden. Die beiden Männer, die davor standen schauten mich erwartungsvoll an und ich murmelte schnell den Code. Sie klopften an die Tür und teilten dem Mann, der daraufhin sein Gesicht durch einen schmalen Spalt streckte irgendetwas undeutliches mit. Wenig später hörte ich das metallene Quietschen der aufgehenden Tore. Langsam lief Runa hindurch und als wir im Hof ankamen, schwang ich mich von ihrem Rücken. "Gut gemacht." raunte ich ihr ins Ohr und klopfte ihr den Hals, bevor ich sie in Richtung Stall führte und dort von dem ledernen Sattel befreite. Bevor ich ging füllte ich ihr Wasser wieder auf und schmiss etwas Heu in die Box.

Als ich dann wieder auf den Hof trat, merkte ich, dass die Sonne bereits ihren höchsten Stand hinter sich gelassen hatte und ich mich mit der Berichterstattung beeilen sollte. Deshalb lief ich schnell zum Haupthaus und drückte die schweren Türen auf. Während ich die Treppe hinauf stapfte, merkte ich einen schmerzenden Druck in meinem Bauch, der sich bis in meinen Rücken zog und den ich bisher schon versucht hatte auszublenden. Ich hinkte leicht, als ich mich auf das Zimmer vom Captain zubewegte und erhielt dafür einen schrägen Blick von den Männern, die vor der Tür Wache hielten.
Als ich mich vor sie stellte, klopfe einer der Beiden an das Holz und als aus dem Inneren ein "Herein" ertönte, öffnete er auch die Tür. Im Vorbeigehen nickte ich ihm leicht zu und zog noch schnell meine Maske vom Gesicht, die ich vorher vergessen hatte abzunehmen. Mit gesenktem Kopf lief ich in die Nähe des großen Tisches und blieb dann stehen. "Sprich!" sagte der Captain knapp und ich räusperte mich kaum hörbar. Mit möglichst fester Stimme berichtete ich ihm dann von meiner Mission und nachdem ich dann geendet hatte, war für einen Moment Stille. Dann hörte ich wie der Stuhl über den Boden kratze, als der Captain ihn zurückschob.
Er ging am Kamin vorbei und stellte sich vor mich hin. Als er mir seine ausgestreckte Hand entgegenhielt holte ich schnell das Papier hervor, auf dem mir genaueres über meinen Auftrag übermittelt worden war. Er nahm das vergilbte Papier entgegen und schritt damit dann zum Feuer. Schnell warf er einen flüchtigen Blick auf das Pergament und nickte leicht. Mit einer langsamen Handbewegung ließ er die Rolle in das Feuer sinken und die gierigen Flammen verzehrten es im Nu.
„Geh!" rief er mir zu und nach einer tiefen Verbeugung zog ich mich in Richtung Tür zurück. Erst als sie hinter mir wieder ins Schloss fiel, atmete ich erleichtert auf. Während ich meinen Weg nach draußen antrat, spürte ich wieder das Stechen in meinem Bauch, das ich bisher versucht hatte zu ignorieren. Obwohl es schmerzte versuchte ich meinen Gang zu beschleunigen und kam so recht schnell an der unteren Tür an.
Hinter mir knallte sie zu und sofort schauten mich mindestens sieben Männer eindringlich an. Sie hassten mich, so viel war klar, doch dieser Hass beruhte auf Gegenseitigkeit.

Ich lief schräg über den Hof auf die kleine Hütte, die nahe der Mauer stand, zu und öffnete die hölzerne Tür. Das Gerede verstummte und alle Augen ruhten auf mir. Eine unangenehme Stille füllte den Raum, die nach kurzer Zeit von einer zarten, fröhlichen Stimme unterbrochen wurde. „Willkommen zurück. Wir haben uns schon gefragt, wo du bleibst." Ich schaute zu Nummer 17, einem etwas kleinerem, blonden Mädchen mit knallgrünen Augen. Sie hatten die Farbe des frischen Mooses, das zur Sommerzeit in der Sonne glitzere. Ihre schulterlangen Haaren waren wie immer zusammengebunden, damit sie nicht im Gesicht störten.
Schmunzelnd ging ich zu ihr und legte meine rechte Hand auf ihre Schulter. „Ich brauchte einfach noch etwas Ruhe, bevor ich wieder zu euch komme." neckte ich und sie schnappte Augenblicklich nach Luft. „Also 11, das sagt man doch nicht!" zeterte sie in einem übertrieben aufgeregten Ton und schlug mir scherzhaft in den Bauch. Sie traf die bereits schmerzende Stelle und ich zuckte zusammen. Ich biss mir auf die Lippe und richte mich wieder kerzengerade auf. 17's besorgter Blick ruhte auf mir und auch die anderen Beiden, die bisher noch nichts gesagt hatten schauten mich überrascht an.
„Alter du hast aber nen Schlag drauf, 17." meinte Nummer 15, ein kräftiger Junge, mit rotbraunen Locken, die so widerspenstig waren, dass schon einige Bürsten an ihnen zu Bruch gegangen waren. Er erinnerte mich etwas an ein Eichhörnchen, dessen struppiges Fell länger nicht geputzt wurde.
„11 verzieht bei mir nie eine Miene." fügte er hinzu.
„Dein Schlag ist ja auch lächerlich." spottete Nummer 13. Er war etwas älter als die Anderen und fiel besonders durch seine hellblonden Haare auf, die beinah schon einen Weiß-Ton erreichten. Sie waren kürzer als die von 15 und sahen auch um einiges gepflegter aus. Außerdem harmonierten sie mit seinem etwas spitzer zu laufenden Gesicht und den blauen Augen, die so klar waren, wie die spiegelglatte Oberfläche eines ruhigen Sees.

„Ich hab doch überhaupt nicht so fest geschlagen!" meckerte 17 die Beiden an und drehte sich dann wieder zu mir. Ich wendete mich von ihr ab, um nicht länger den besorgten Blick auf mir spüren zu müssen, doch es schien, als würde er sich trotzdem durch meinen Rücken bohren können. "Was ist los?" fragte sie und lief mir hinterher. Ich versuchte ihr aus dem Weg zu gehen, doch sie ließ sich einfach nicht abschütteln. Gerade legte ich meinen Bogen auf den Hocker neben dem Bett und streifte den Köcher ab, als sie sich vor mich drängelte und vorwurfsvoll ansah. Auch 13 und 15 waren aufgestanden und kamen zu uns gelaufen. „Wir sind ein Team! Wenn etwas nicht stimmt, dann musst du uns das sagen!" Sie war außer sich und blickte mich prüfend an. Ihre Augen verengten sich, aber gleichzeitig hob sie ihre linke Augenbraue. Das tat sie immer, wenn sie glaubte, dass jemand lügen würde und sie die Wahrheit erfahren wollte.
„Es ist alles gut." antwortete ich laut und schob sie beiseite. Während ich alle möglichen Waffen aus den Taschen meiner Kleidung heraus suchte, wurde ich genauestens von den Dreien beobachtet. Erst nach einiger Zeit wandten sie sich von mir ab und gingen zurück zu ihren Betten. Meins stand etwas abseits und so hatte ich ein wenig Ruhe, musste nicht immer ihrem Getuschel lauschen.
Ich zog vorsichtig meinen dunklen Mantel aus und versuchte dabei meinen Bauch nicht zu belasten. Als ich mir dann mein Oberteil abstreifte, kratzte der raue Stoff über meine Haut. Obwohl er sehr dehnbar war, scheuerte er mir immer wieder den Rücke auf und hinterließ sichtbare Wunden. In diesem Moment jedoch, schien er sich fest um meinen Brustkorb zu schnüren und schnitt schon beinah in meine Haut ein.
Doch das war nicht mein einziges Problem. Der Kampf schien besonders meinen oberen Körper lädiert zu haben. Die Schmerzen zogen sich bis in den Rücken. Ich drehte mich so gut es ging nach hinten, um einzuschätzen, wie stark die Verletzungen waren.
Mein halber Rücken schimmerte in einen leichten Blauton und vereinzelte Wunden rundeten den Lock noch ab. Ich machte mir dann überhaupt nicht mehr die Mühe noch meinen Bauch zu begutachten, sondern zog direkt ein frisches Oberteil, das ich mir extra aufs Bett gelegt hatte über. Es war etwas weicher und der leichte Stoff schmiegte sich an meine Haut.
Danach wechselte ich noch rasch die etwas verdreckte Hose und verstaute dann die pechschwarze Auftrags-Kleidung in der Kist unter meinem Bett. Als ich mich wieder aufrichtete, schaute ich kurz zu den Anderen hinüber und ihre seltsamen Blicke waren Grund genug, mich wieder umdrehten. Langsam ließ ich meinen müden und zugleich schmerzenden Körper aufs Bett gleiten und atmete dann erleichtert auf. Ich hatte meine Augen nur für wenige Augenblicke geschlossen, als ich auch schon wieder Schritte auf mich zu kommen hörte. Doch erst als mich 17 aufforderte mich aufzusetzen, schlug ich wieder meine Augen auf. Sie stand neben meinem Bett und beugte sich zu mir nach vorne. In ihrer Hand trug sie eine kleine Dose, welche ihre selbstgemachte Salbe beinhaltete.
Seufzend richtete ich mich auf und zog das Oberteil so weit hoch, dass sie ein Blick auf meinen Bauch werfen konnte. Geschockt schaute sie mich an, bevor sie schließlich anfing sie kalte Salbe auf meiner Haut zu verteilen. Ich biss die Zähne zusammen und wartete ab, bis sie fertig war. Dann drehte ich mich um und sie wiederholte das Ganze noch auf meinem Rücken. Das fettige Gemisch schien recht schnell einzuziehen, aber der Geruch nach fauler Milch blieb noch etwas länger an mir haften.
Als sie fertig war, stellte sie die Dose auf den Hocker, der mir eher als Nachtschrank diente und ließ sich neben mich aufs Bett fallen.
„Respekt... Wie hast du das denn wieder geschafft?" fragte 13 nach einer längeren Zeit der Stille.
„Wächter." antwortete ich knapp und die anderen nickten. Sie alle konnten diese Männer nicht leiden, denn sie hatten in der Vergangenheit viele gute Teammitglieder verunstalteten und beiseite geräumt. Auf der anderen Seite hatten wir auch eine Vielzahl von ihnen umgebracht und diese Zahl hatte sich heute um vier erhöht.
Nummer 17 öffnete gerade den Mund um etwas zu sagen, als die Tür aufflog und ein kühler Wind in die Hütte wehte.

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