Kapitel 10

„Ruhe!" Ich schreckte hoch. Schnell wanderten meine Augen über den Platz und suchten den Besitzer der lauten Stimme. Neben dem Unterstand baute sich der Aufseher vor einigen kleinen Personen auf. Das mussten die Neuankömmlinge sein.
Neugierig sprang ich vom Baum und lief über die Wiese. Ich nahm einen kleinen Umweg, damit sie mich nicht gleich sahen und sich nicht ablenken ließen. Während der Aufseher die Kleinen beinahe anschrie, schlich ich mich von hinten an sie heran. Meine Füße erzeugten kaum einen Laut, als ich mich zum Unterstand schlich. Ich lehnte mich an einen der dicken Pfosten, die das Dach stützen und zog meine Maske nach oben. Als ich noch meine Kapuze über den Kopf zog, verschmolz ich fast mit dem Schatten der hölzernen Säule.
Die dunklen Trainingssachen, die ich mir am Morgen angezogen hatte, spannten sich an, als ich mein Messer aus der Tasche ziehen wollte. Es war wie ein Reflex, der immer einsetzte, wenn ich mich an jemanden heran schlich. Doch ich ließ es in der Tasche. Jetzt würde ich es nicht brauchen. Stattdessen streckte ich meine Arme nach oben und griff einen der dicken Dachbalken. Lautlos zog ich mich daran hoch und baumelte für einen Moment kopfüber in der Luft. Dann schwang ich den Rest meines Körpers hoch und hockte wie ein Adler in seinem Nest auf dem Balken. Der Aufseher hatte mich bemerkt und warf mir einen seltsamen Blick zu.
„Eine Runde laufen. Sofort!" schnauzte er die Kleinen an, die sich sofort in Bewegung setzten. Als sie weg waren, schritt er unter den Balken und sah zu mir hoch. „11! Ich habe eine Aufgabe für dich..."

Einige Momente später kamen die Kleinen leicht schnaufend wieder zurück. Sie stellten sich in einer Reihe auf und blickten zum Aufseher, der vor ihnen auf und ab schritt. „Wir beginnen nun mit dem Training!" Sofort fingen sie an zu tuscheln und waren sichtlich aufgeregt.
„Umdrehen!" schrie der Aufseher, die Kleinen verstummten und führten seine Anweisung aus. Nun blickten sie alle zu den Waffen, die viel zu groß für sie erschienen.
Meine Muskeln spannten sich an und ich mache mich bereit.
„A! Nimm dir ein Schwert!" Der angesprochene Junge erstarrte für einen Moment, tat dann aber wie ihm geheißen. Ich zückte mein Messer und als er fast unter mir war, sprang ich herunter. Eines der Kinder schrie augenblicklich auf und bevor der mit aufgerissenen Augen vor mir stehende Junge in irgendeiner Weise reagieren konnte, hatte ich ihn gepackt und ihm mein Messer an die Kehle gehalten. Die anderen vier standen mit bleichen Gesichtern vor mir und man hätte meinen können, sie würden jeden Moment umkippen.
„Lass den Jungen frei! Nimm dir lieber Einen in deiner Größe!" brüllte der Aufseher und zückte sein Schwert. Ich grinste unter der Maske, als ich sah, wie verängstigt die Kleinen zwischen uns Beiden hin und her schauten.
Ruckartig zog ich mein Messer vom Hals des Jungen, stieß ihn nach vorne und nahm eines der Schwerter auf der Halterung. Ich drehte den glatten, metallenen Griff in meiner Hand und musterte den Aufseher. Er visierte mich mit einem entschlossenen Blick und ich wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Der Junge, der bis vor einigen Augenblicken noch vor mir auf dem Boden lag, rappelte sich auf und stürzte zu den Anderen, deren Gesichter immer noch genauso wenig Farbe mehr hatten wie das Seine.

Ich setzte meinen Körper in Bewegung und sprintete auf den Aufseher zu. Die im Weg stehenden Kinder wichen kreischend zur Seite, als ich mich ihnen näherte, doch ich kümmerte mich nicht um sie, sondern nur um den Aufseher, der mit seinem gezückten Schwert vor mir stand.

Das laute Krachen durchzog die Luft, als die beiden Schwerter aufeinander trafen. Ich zog meine Klinge schnell wieder zurück und duckte mich unter seinem nächsten Hieb hinweg. Als ich mich aufrichtete, lief ich einige Meter zur Seite und ging somit von dem Weg herunter. Der Aufseher schritt ebenfalls auf die leicht feuchte Wiese und griff erneut an. Ein Ruck ging durch meinen ganzen Körper, als ich seinen Schlag parierte und wieder ein paar Schritte nach hinten wich. Während er auf mich zuging, holte ich mit meinem Schwert aus und griff ihn seitlich an. Er wehrte den Schlag leicht ab und schaute mich dabei mit einem enttäuschten Blick an. Er wollte also mehr...

Kaum zog ich das Schwert wieder zurück, stach ich erneut zu und wieder blockte er ab. So langsam kam ich in Fahrt. Mein Kampfgeist erwachte, wie eine kleine Flamme in meinem Inneren, die immer gewaltiger wurde und mit ihren lodernden Armen alles verschlingen konnte. Ich schwang mein Schwert durch die Luft, ließ es auf die Waffe des Aufsehers prallen, blockte seine Schläge ab und griff erneut an. Er hatte mich zuletzt wirklich Trainieren gesehen, als ich noch 13 Jahre alt war und seit dieser Zeit hatte sich mein Kampfstil um einiges verbessert. Dennoch war der Aufseher überlegen. Seine langjährigen Erfahrungen machten ihn zu einem schwierigen Gegner und ich musste mir etwas einfallen lassen, wenn ich gegen ihn gewinnen wollte.

Ein erneuter Schlag auf meine schwache Seite. So langsam kam ich ins Schwitzen. Der Kampf dauerte jetzt bereits einige Minuten und der Aufseher erlaubte keine Pause. Wenn ich hier unbeschadet herauskommen wollte, musste ich mir einen Überraschungsmoment überlegen, mit dem ich ihn verwirren könnte.

Wieder schlug er zu. Dieses Mal rutschte meine Hand unglücklich zur Seite und die Klinge fuhr in meine Haut. Der Schnitt war nicht tief, aber dennoch rann Blut aus der Wunde und saugte sich in dem Handschuh fest. "Gibt auf!" murmelte er, während er triumphierend zusah, wie ich meine verletzte Hand wieder neu positionierte. Doch ich dachte nicht ans Aufgeben. Das war für mich keine Option.

Als ich meine Beine wieder in eine sichere Position brachte, in der man auch gut kämpfen konnte, betrachte mich der Aufseher und machte sich bereit, erneut anzugreifen. Noch während ich meine Füße ausrichtete, schnellte meine Hand zum Messer, dass ich nachdem ich den Jungen bedroht hatte, zurück in meine Tasche gesteckt hatte und warf es auf ihn. Er versuchte sich wegzudrehen, aber es kam zu schnell und streifte seinen Bauch, der durch den Schutz der festen Rüstung keinen Schaden nahm. In diesem Moment schnellte ich nach vorne, schlitterte auf der Seite liegend über den nassen Boden zu ihm und trat dann mit aller Kraft gegen seine Kniekehle. An diesem wunden Punkt brachte ihm seine Schutzkleidung nicht sehr viel und er sackte auf die Knie. Schnell rappelte ich mich auf und drückte den Aufseher, der gerade wieder aufstehen wollte, zu Boden. "Ramm dein Schwert in den Boden!" raunte er mir zu und wie befohlen holte ich aus und stieß die Klinge knapp neben seinem Körper in den Boden. Er schrie kurz gekünstelt auf und sackte dann endgültig zusammen.

Ich atmete schwer, an meiner Hand klebte Blut und die eigentlich schwarze Kleidung war mit braunen Erdklumpen übersät. Allmählich drehte ich mich in Richtung der Kinder und schritt dann langsam auf sie zu. Die fünf starrten mich mit aufgerissenen Augen an und keiner von ihnen bewegte sich auch nur einen Meter. Geschockt und mit zitternden Knien standen sie da und schauten sprachlos auf den am Boden liegenden Aufseher.

Kurz vor ihnen blieb ich stehen und schaute sie der Reihe nach an. Dann streckte ich meine freie Hand, mit der ich nicht das Schwert hielt in ihre Richtung aus. Der am nächsten vor mir stehende Junge zitterte am ganzen Leib, als sich mein Arm langsam näherte. Ein Tropfen Blut tropfte aus dem Handschuh heraus und landete auf dem Boden. Und meine Hand war gerade so nah, dass ich fast seine Haut berührte, als von hinten eine Stimme ertönte. "11! Es reicht!"

Ich nahm meinen Arm wieder runter, drehte mich um und lief zu dem sich hoch drückenden Aufseher. Er nickte mir leicht zu, als ich neben ihm stand und ihm sein Schwert gab, das er bei dem Kampf verloren hatte. Auf dem Boden lag noch mein Messer, das ich kurz abwischte, bevor ich es an seinen Platz zurück steckte. Gemeinsam liefen wir zu den Kleinen. Sie standen mit aufgerissenen Augen da und schauten uns verwirrt an.

"Das ist Nummer 11. Sie ist die erfahrenste Rächerin aus dem Team und seit über sechs Jahren schon dabei." erklärte der Aufseher, als wir vor ihnen standen. Ich zog meine Kapuze vom Kopf und nahm die Maske ab. An der Überraschung in ihren Augen konnte ich mich kaum sattsehen. Die vier Jungen und das eine Mädchen schienen nicht mit einem jugendlichen Mädchen gerechnet zu haben und keiner von ihnen brachte ein Wort heraus. "Ihr habt gerade gesehen, wozu 11 fähig ist. Das war nur ein Beispiel aus den vielen Fähigkeiten, die hier antrainiert werden. 11 und der Rest des Teams werden in einiger Zeit auch Teile eures Trainings übernehmen, damit ihr euch an ihnen orientieren könnt." Die Kleinen starrten mich erstaunt an und der Aufseher fügte noch ein "Training beendet" hinzu, bevor er den Platz verließ. Während sie ihm noch hinterher schauten, nutzte ich die Möglichkeit und zog mich so leise wie möglich zurück. Ich stand hinter einem der Waffenschränke, als sie sich umdrehten und nach mir Ausschau hielten, doch für heute hatten sie genug gesehen. Außerdem wollte ich wieder zurück zur Hütte und somit zurück in ein wesentlich ruhigeres Umfeld.

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