Kapitel 5
Jennifer Shape, alias Jane Hold. Ledig, keine Kinder, bald tot.
Sie war es, die mir vor Ewigkeiten den 'Namen' Der Schatten gegeben hatte. Theoretisch gesehen müsste ich ihr dafür danken, aber das sah ich erst gar nicht ein. Stattdessen dankte ich ihr auf meine Art und Weise.
Ich würde sie von dieser grauenhaften, düsteren, skrupellosen und stinkenden Welt befreien.
Lauft, spornte ich die Hundemeute in meinen Gedanken an.
Ich saß kniend auf dem Waldboden.
Zwar konnte ich durch meine Augen nichts sehen, da meine Pupillen unter meine Lider gerutscht waren, aber ich sah dafür viel mehr durch die Augen der Hunde.
Ich hatte mal von Facettenaugen gelesen, die zum Beispiel eine Fliege besaß. Sie konnte in einer Sekunde zirka zweihundertfünfzig Bilder wahrnehmen. Der Mensch nur ungefähr sechzig. Verarbeiten jedoch nur etwas über zwanzig.
Genauso fühlte es sich gerade an. Etwa zweihundert Hundeaugen, die so viele Bilder an mein Gehirn schickten, dass ich mal überall und plötzlich nirgendwo war. Man konnte dieses Gefühl gar nicht genau beschreiben.
Lauft! Lauft so schnell euch eure Beine tragen, forderte ich die Hunde erneut auf. Knurrend und Zähne fletschend rannten sie auf Jennifers Häuschen zu.
Ich fühlte puren Hass in mich aufsteigen, der sich automatisch auf die Hunde übertrug. Wir waren ein Kollektiv, mit einem kleinen Unterschied: Ich war das Gehirn und die Hunde meine Sklaven. Jedoch fühlte es sich mehr so an, als wären diese ganzen Tiere wie meine Arme. Sie führten alles aus, was ich wollte.
Ich entdeckte einen Mann, der sich bei Jennifer aufhielt. Er starrte aus dem Fenster und ich bemerkte seinen sowohl irritierten, als auch ängstlichen Blick. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte er mich bereits bemerkt.
Der kleine Wald, in dem ich stand, legte einen dunklen Schatten um mich und da es schon recht spät und schon Anfang Oktober war, war es dunkel. Trotzdem konnte der Mann mich sehen. Anscheinend hatte ich die normalen Menschen unterschätzt, doch dies war nun auch nicht mehr wichtig. Dann hatte er mich halt gesehen. Was änderte das schon?
Länger konnte er jedoch nicht mehr starren, da ich den Hunden augenblicklich befahl, sich gegen die Hintertür zu werfen. Ein Schrei ertönte und mein Mund verzog sich zu einem bösartigen Grinsen, als ich Jennifer durch die Augen der Hunde sah. Sie saß zusammen gesunken und starr vor Schreck auf einem Sessel. Nun sah ich den Mann auch deutlich. Kein Zweifel, er war ein Polizist.
Ich befahl den Hunden noch einen Augenblick zu warten, damit ich Jennifers Blick auf ewig in meinem Gedächtnis brennen konnte. Doch plötzlich griff der Polizist an seinen Hosenbund und holte eine Pistole hervor.
Glock 22, Kaliber 40 S&W, schoss es mir durch den Kopf.
Ich verlor nicht länger Zeit und befahl den Hunden sich auf Jennifer zu stürzen. Die ersten versuchten es, doch kamen nicht weit, als der Polizist es tatsächlich wagte auf meine Sklaven zu schießen. Ich spürte es, als manche starben. Ein brennendes Stechen zog sich durch meinen Kopf bei jedem gefallenen Hund. Nach zirka fünf Toten, befahl ich ein paar Hunden, sich auf den Mann zu werfen, die restlichen jedoch auf Jennifer.
Nur noch ein weiteres Stechen spürte ich, als ich siegessicher einen Schrei des Mannes hörte. Seine Glock 22 verlor sich in der Menge der pelzigen Meute. Nun konnte ich mich voll und ganz auf Jennifer konzentrieren.
Die Hunde attackierten sie gerade mit Bissen und scharfen Krallen, als ich merkte, wie der Polizist vergeblich versuchte Jennifer zu beschützen.
Zwar war mein Ziel ja nicht einen Polizisten umzubringen, aber ich bezeichnete so etwas als Kollateralschaden. Genau wie bei Raymonds Assistentin.
Gerade als ich merkte, wie Jennifer langsam aber sicher starb, hörte ich das Entsichern einer Waffe nahe meines Kopfes.
Zwar konzentrierte ich mich auf die Hunde, aber ich konnte dennoch hören, was sich um mich abspielte.
"Stopp!", hörte ich eine weibliche, entschlossene, aber dennoch verunsicherte Stimme.
Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, doch als die Stimme mir drohte mich zu erschießen, stoppte ich tatsächlich. Zwar waren die Hunde noch in meiner Gewalt, doch ohne die nötigte Konzentration schaffte ich es gerade mal sie vor dem Abhauen zu hindern.
Meine Pupillen rutschten unter den Lidern hervor und ich sah wieder durch meine Augen.
Langsam drehte ich mich mit gespielt erhobenen Händen um.
Ich schaute in das Gesicht einer Frau Anfang vierzig, mit schulterlangen braunen Haaren und strahlend blauen Augen. Mit etwas Konzentration schaffte ich es an der Oberfläche ihrer Gedanken zu kratzen.
Shanon Holland, einundvierzig Jahre alt, ledig, siebzehn Jährige Tochter, Verwirrung, Angst.
Bei dem Gefühl Angst fing ich teuflisch zu Grinsen an.
"Sie schießen dich nicht etwa auf eine Minderjährige, oder Miss Holland?", fragte ich abfällig. Sie riss ihre Augen verwundert auf und ich merkte, wie ihre Hand zitterte, mit der sie die Pistole hielt. Sie setzte zu einer Antwort an, doch ich war schneller.
"Was würde nur ihre Tochter Dina dazu sagen?"
Erschrocken über meine Antwort wich sie einen halben Schritt zurück und ihre Reaktion bewirkte bei mir nur, dass sich ein noch breiteres Grinsen auf meine Lippen zauberte.
"Was bist du?", fragte sie mich kaum hörbar. Ich konnte es nicht fassen. Hatte sie gerade ernsthaft gefragt, was ich bin? Ich fing böse zu lachen an und nahm meine Hände runter. Attackiert schrie sie: "Hände wieder hoch!" Jedoch dachte ich gar nicht daran und starrte stattdessen auf ihre Pistole. Zwar benötigte ich nun etwas Konzentration für das, was ich vorhatte, aber dennoch blieben die Hunde in Jennifers Haus ruhig.
Plötzlich schaute Shanon ganz verblüfft und ungläubig auf ihre Waffe, die immer schwerer und schwerer wurde.
"Was zum...?", begann sie, doch sie kam nicht mehr weit, da plötzlich alles sehr schnell geschah. Shanon versuchte ihren rechten Arm mit ihrem linken zu stützen, versagte jedoch. Ein Schuss löste sich und augenblicklich fiel die Pistole dumpf auf den Waldboden.
Auf einmal war meine Konzentration völlig weg und ich sah den Grund dafür, als ich nach unten blickte. Ein Loch war direkt über meinem Herzen aus dem langsam Blut heraus trat. Was noch schlimmer war: Es war kein Durchschuss, das bedeutete, dass ich mir die Kugel so schnell wie möglich selbst heraus holen musste. Zwar blutete es dafür nicht so stark und die Kugel diente jetzt eher als Korken, aber sie nachher herauszubekommen war äußerst unangenehm.
Geschockt starrte mich Shanon an und fing an zu stottern. Nur mit halben Auge sah ich, wie die Hunde wieder Herr über sich waren. Sie jaulten und blickten verwirrt um sich. Eine Hand erschien, die sich an der Fensterbank abstützte und ich erkannte den Polizisten, der nun aus dem Fenster starrte.
Ich taumelte nach hinten und stützte mich an einen Baum ab.
Ich war so langsam. Zu langsam.
Ein Hund nach dem anderen rannte aus Jennifers Haus. Ich schaffte es auch nicht sie wieder unter meiner Kontrolle zu bekommen.
"Nein!", brüllte ich aus voller Kehle.
Dieser Schrei holte Shanon aus ihrer Starre und ich sah auch, wie der Polizist Jennifer hochhob.
"Nein!", brüllte ich nochmals, jedoch deutlich geschwächt. Langsam ging Shanon auf mich zu und hob beschwichtigend ihre Hände.
Sie war deutlich überfordert mit dieser Situation. Ich war mir sicher, dass sie nicht vorgehabt hatte mich anzuschießen.
Plötzlich hörte ich Alarmsirenen von einigen Polizeiwagen. Sowohl Shanon, als auch ich horchten auf. "Verdammt!", fluchte ich und Shanons Aufmerksamkeit galt wieder mir.
Sie stand jetzt höchstens einen Meter von mir entfernt.
Noch ein bisschen näher, dachte ich und bereitete mich vor. Das, was ich nun vor hatte, war nicht ohne.
Shanon wollte gerade etwas sagen, als ich meine blutverschmierte Hand an ihre Schläfe legte. Erschrocken über meine Reaktion versuchte sie zurückzuweichen, doch sie konnte nichts tun. Meine Pupillen rutschten unter meine Lider und schon war ich in ihrem Gehirn.
In das Gehirn eines Menschen einzudringen war viel schwieriger als in das eines Tieres. Während ein Tier hauptsächlich von Instinkten vereinnahmt wurde und nur Wünsche hatte wie essen, trinken und Nachkommen erzeugen, besaß ein Mensch viel komplexere Gedankenstrukturen. Stimmen prasselten auf mich ein. Shanons Gedanken waren wirr und es dauerte ein wenig, bis ich sie ordnen konnte. Nun konnte ich beginnen. Meine Befehle, die ich in ihr Gehirn pflanzte, waren wie Viren. Sie hefteten sich an alles was sie fanden und vereinnahmten ihr ganzes Sein.
Ich veränderte ebenso ihre Erinnerungen und Gefühle. Shanons Augen wurden immer trüber und sie wurde mehr und mehr meine Sklavin. Ein Roboter, eine Marionette.
Langsam verschwand ich aus ihren Gedanken und nahm meine Hand, die von trockenem Blut überzogen war, von ihrer Schläfe. Meine Pupillen rutschten wieder an die gewohnte Stelle.
Sofort spürte ich wieder den Schmerz in meiner Schulter. Das Einschussloch war beinahe schon geschlossen. Wahrscheinlich musste ich die Wunde wieder öffnen um die Kugel herauszuholen.
Shanon blinzelte ein paar Mal und schaute sich um. Als sie mich erblickte, bildete sich ein zaghaftes Lächeln auf ihren Lippen.
"Und jetzt, tue es!", flüsterte ich beschwörend in Shanons Ohr.
Diese nickte mechanisch und hob die nun leichte Pistole vom Boden. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich den Blick des Polizisten mit Jennifer auf dem Arm. Gleichzeitig hörte ich Türen, die zugeschlagen wurden.
Die Polizei war da.
"Nun geh', Gebieter!", sagte Shanon panisch, doch ihre Stimme klang seltsam monoton. Ich lächelte sie an und lief in den Wald hinein. Nach etwa fünf Minuten hörte ich die ersten Schüsse und wildes, bestialisches Geschrei. Shanon schoss unentwegt um sich, genau so, wie ich es ihr in ihre Gedanke gepflanzt hatte. Schließlich fand ich nach weiteren zehn Minuten einen Eingang in die Welt unter den Füßen der Menschen. Ich tastete mich an der Tunnelwand entlang und langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Schließlich konnte ich problemlos sehen.
Als ich endlich in einer meiner vielen Unterschlüpfe ankam, kramte ich sofort ein Messer aus meinem Stiefel, das ich immer mit mir hatte. Die Wunde war nun komplett geschlossen und die Kugel steckte noch immer tief in meinem Fleisch.
Ich schnappte mir ein altes T-Shirt und setzte mich auf den Boden.
Das würde jetzt sehr schmerzhaft werden, das war mir bewusst. Ich atmete noch einmal tief ein und aus, als ich mir das Messer in meine Schulter rammte. Ein brennender Schmerz ließ meinen Körper erzittern und meine Gedanken wurden vernebelt. Die Welt verschwamm langsam um mich. Zum Glück hatte ich so viel Adrenalin in meinem Körper, dass der Schmerz etwas abgemildert wurde.
Keuchend stocherte ich mit dem Messer in meiner Wunde, kniff fest die Augen zu und biss die Zähne zusammen. Blut lief meine, sowieso schon rote, Hand hinab.
Da ertastete ich die Kugel und mit einem Ruck war sowohl das Messer, als auch die Kugel aus meiner Schulter. Mit einem lauten Klirren fiel mir das spitze, tödliche Gerät aus der Hand.
Es war nicht das erste mal, dass ich eine Kugel aus meinem Körper holte, doch jedes mal waren die Schmerzen scheußlich.
Die Welt wurde immer verschwommener und ich konnte spüren, wie mir langsam das Bewusstsein entglitt. Schnell band ich das T-Shirt um meine Schulter, damit sich die Wunde schneller verschloss.
Doch kurz bevor ich in Ohnmacht fiel, schoss mir ein Wort von Shanon durch den Kopf.
Gebieter - Gefiehl mir.
Mit einem Lächeln im Gesicht schlief ich auf dem kalten Boden ein.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top