Kapitel 10
Roy fluchte schon den verdammten, ganzen Tag.
Ob in Gedanken, oder vor seinen verwirrten Kollegen.
"Verdammt!" John zuckte erschrocken zusammen und musterte seinen Kollegen mit einem tadelnden Blick.
"Mensch, Chef! Wie lange wollen Sie das Fluch-Programm denn noch durchziehen?", fragte er genervt.
Doch Nicols war viel zu sehr in seinen Gedanken vertieft, so dass er nur vor sich hermurmelte: "Wie konnte das passieren?"
John verdehte die Augen und klärte Roy ironischerweise auf.
"Böser Mann/Frau/Kind/Individuum.
Tollwütige Hunde/Bestien/Köter.
Penetrant riechendes Krankenhaus/Leichenhalle/Psychiatrie.
Entführung von Jane Hold/Projektbeteiligte/Opfer."
Die Ironie triefte förmlich aus John Sheppards Mund. Endlich schien Roy Notiz von seinem Kollegen zu nehmen und entschuldigte sich.
"Ich bin einfach ein wenig gestresst wegen diesem Heckmeck, den wir nur wegen so einem blöden Racheplan auf uns nehmen müssen. Wieso müssen alle immer so nachtragend sein? Wir müssen's immer ausbaden."
Roy schaute John an und sah, wie sich dessen Mundwinkel immer mehr gen Decke hoben. Schließlich brach er in schallendes Gelächter aus und klopfte Nicols freundschaftlich auf die Schulter.
"Chef, ich glaube Sie haben sich den falschen Beruf ausgesucht! Dafür sind wir Polizisten schließlich da! Rachepläne ausbaden!"
Kommentarlos wanderte Roy wieder gedankenversunken im Besprechungsraum auf und ab, in dem er sich mit John 'beraten' hatte.
Beraten in dem Sinne, dass Roy geflucht und John versucht hatte, ihn davon abzuhalten.
Wieso hatte es sich der Schatten anders überlegt? Wieso hat er Jane entführt und nicht direkt getötet? Irgendwas läuft da gewaltig schief!
Er wurde das Gefühl nicht los, dass er etwas wirklich wichtiges noch nicht wusste.
Plötzlich wurde die Tür zum Besprechungsraum ruckartig aufgerissen und Juan Sánchez, ebenfalls Polizist, stürmte hinein.
"Chef! Wir haben einen Hinweis, der sehr wahrscheinlich zum 'Schatten-Fall' passt", rief er aufgeregt.
Sánchez' Aufregung färbte sich auf Roy ab und er fragte ihn sofort nach dem Hinweis aus.
"Gestohlener Wagen eines Mannes etwa zweieinhalb Stunden von hier. Eine Tankstelle an der Autobahn."
Fest entschlossen rief Nicols: "Das ist er!"
Sofort stürmte er aus dem Besprechungsraum, so dass Sheppard Schwierigkeiten hatte ihm zu folgen.
Roy nahm noch fünf Kollegen, einschließlich John, mit und fuhr dann direkt zur Tankstelle.
Der alte Mann regte sich die ganze Zeit über die Diebe seines gestohlenen Wagens auf. Nicols hatte Mühe ihm zu entlocken, wie die Diebe aussahen. Dem Alten fiel nicht mehr so viel ein, aber was er beschrieb genügte. Zwei Personen. Eine in Schwarz gehüllt, die andere in zivil.
"Das sind sie! Hundertprozentig!", rief Roy.
Er winkte seine Kollegen zu sich, die etwa sieben Meter entfernt an ihre Wagen gelehnt standen.
"Was gibt's, Chef?", fragte sein Kollege Brown.
"Laut der Beschreibung des Opfers handelt es sich ganz sicher um die gesuchten Personen des 'Schatten-Falls'", klärte Roy seine Kollegen auf.
"Wissen Sie, wo lang die Täter gefahren sind?", fragte er den Alten. Dieser deutete mit faltigem und zitterndem Finger gen Süden.
Die Wagenkolonne, die aus drei Polizeiwagen bestand, raste die Autobahn entlang. Roy hatte sich sofort nach der Befragung des Alten einfach in Richtung Süden aufgemacht und seine Kollegen folgten ihm treu, obwohl sie seine Tat als sehr fragwürdig betrachteten. Sie hatten schließlich viel zu wenig Hinweise, wo sich momentan Der Schatten aufhielt. Roy sagte einfach nur: "Er macht sich auf dem Weg zu Grayson!"
Keine viertel Stunde nachdem sie losgefahren waren, meldete sich das Revier. Es war nun etwa halb eins.
"Chef! Wir haben von einem Supermarkt etwa hundertzwanzig Kilometer südlich von der Tankstelle einen Anruf bekommen. Der Passant habe zwei auffällige Menschen gesehen, auf die die Beschreibung aus den Nachrichten passt. Die eine sei normal gekleidet und wahrscheinlich eine Frau, die andere sei in Schwarz gekleidet und habe eine Kapuze ins Gesicht gezogen."
Mit einem triumphierenden Lächeln schaute Roy John an, der jedoch nur geräuschvoll ausatmete.
"Ich hab's Ihnen ja gesagt!", sagte Roy. John nuschelte nur: "Jap, Sie haben's mir ja gesagt."
Eine gute Stunde später parkten die drei Polizeiwagen auf dem monströsen Parkplatz des nicht gerade kleinen Supermarktes.
Aufgeregt ging Roy mit John in den Markt um den Zeugen zu befragen, während die anderen vier Polizisten in ihren Autos warteten.
Der Supermarkt war brechend voll. Roy und John hatten Mühe sich durch die Menge zu quetschen und zu der Tür zu gelangen, auf der 'Privat' in blauen Lettern geschrieben stand.
Sheppard klopfte zweimal und wartete. Lautes Rumpeln war auf der anderen Seite zu hören bevor zwei Minuten später die Tür von einem Mann in den fünfzigern geöffnet wurde.
"Sie wünschen?", nuschelte er ein wenig verschlafen.
"UPD", stellte sich Nicols vor. "Mein Name ist Nicols und das ist mein Kollege Sheppard."
Augenblicklich schien der Mann hellwach und zeigte stolz sein typisches Geschäfts-Lächeln.
"Oh! Polizei?! Bitte, wie kann ich Ihnen helfen. Karl Albrecht mein Name", stellte er sich vor und öffnete einladend die Tür. Sheppard wollte gerade Karls Einladung annehmen, da hielt ihn Roy zurück.
"Es tut uns leid, aber wir haben nicht viel Zeit."
Auf der Stelle verblasste Karls Lächeln und genervt fragte er: "Na schön! Und was wollen Sie jetzt?"
John räusperte sich und erzählte von dem Zeugen.
Lange Zeit starrte Karl die Polizisten an, bevor er endlich eine Regung zeigte und sagte: "Da kann ich nicht weiterhelfen, aber so viel ich weiß hat eine meiner Angestellten was gesehen. Mandy Boxton. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu arbeiten!" Und mit diesen Worten schlug Karl die Tür vor John und Roy zu.
"Unhöflicher Mensch!", gab Sheppard murmelnd von sich. "Ich gehe hier nie wieder einkaufen!"
Nicols schlug vor Mandys Kollegen zu fragen, wo sie sich wohl gerade aufhielt.
Eine ältere Dame, die eine hellblaue Arbeitskleidung mit dem Supermarkt Logo trug, stand vor dem Kühlregal und sortierte Joghurts ein.
Roy Nicols räusperte sich. Die Frau drehte sich um und legte ihre Stirn in Falten. Gedankenverloren wischte sie sich die vom Kondenswasser feuchten Hände an ihrer Hose ab.
"Suchen Sie etwas?", fragte sie und bemühte sich sichtlich freundlich zu klingen.
Erneut zeigte Nicols seine Marke und die Dame schien ein wenig irritiert. "Also... Wenn es um das Sixpack Bier geht, was ich letzte Woche eingesteckt habe. Ich habe Ihrem Kollegen schon gesagt, dass ich nichts klauen wollte. Die Dame an der Kasse muss einen Fehler gemacht haben", versuchte sie sich nervös rauszureden. Ein leichter Schweißfilm hatte sich auf ihrer Stirn gebildet und sie knetete sichtlich aufgeregt ihre Hände.
Ohne eine Mine zu verziehen beruhigte Roy sie. "Nein, es geht nicht um geklautes Bier." Sofort stoppte die Frau mit dem Kneten ihrer Hände und schaute die beiden Polizisten ein wenig genervt an.
"Es geht um Ihre Kollegin Mandy Boxton. Wissen Sie, wo wir sie finden können?", fragte John für Roy.
"Mandy hat Pause. Sie werden sie wahrscheinlich in der Raucherecke finden." Und mit diesen Worten widmete sich die Dame wieder ihren Joghurts, als wären die beiden Polizisten nie dagewesen.
Kopfschüttelnd über diese merkwürdige Angestellte und noch merkwürdigeren Chef gingen John und Roy die Raucherecke suchen.
Schließlich fanden die beiden diese berüchtigte Ecke. Der Rauchgeruch hing schon davor in der Luft. Im Gegensatz zu Roy war John diesen Rauch nicht gewöhnt und fing sofort an zu Husten. Stirnrunzelnd betrachtete Nicols seinen Kollegen und bot ihm sogar an zu warten, während er Mandy sprach. Doch Sheppard erwiderte mit einem heftigen Kopf*Hust*Schütteln.
Schulterzuckend ging Roy auf die Glastür, auf der eine fette Zigarette abgebildet war zu und öffnete. Augenblicklich verstärkte sich der Rauch so sehr, dass das Atmen schier unmöglich war und Johns Lunge zog sich schmerzhaft zusammen. Mit verzerrtem Gesicht trat er, gefolgt von Roy ein.
Der Raum war kaum vier Quadratmeter groß und recht düster. Eine Frau war der einzige Besucher und lehnte an einer schon leicht grauen, vom Rauch gestrichene Wand. Ein kleines, rechteckiges Fenster schmückte die nackte Wand. Stumm starrte die noch jüngere Frau aus dem winzigen Fenster und rauchte vor sich her. Ihre Besucher schien sie gekonnt zu ignorieren. "Guten Tag. Nicols un Sheppard unsere Namen", begann sich Roy vorzustellen und zeigte wie gewohnt seine Marke. Doch die Frau nahm immer noch keine Notiz von den beiden Polizisten.
"Wir suchen eine gewisse Mandy Boxton. Sind wir bei Ihnen richtig?"
Endlich regte sich die Frau und musterte die beiden Beamten. Zögerlich nickte sie.
"Sie sollen heute Mittag zwei Personen in diesem Supermarkt gesehen haben, die ganz so aussahen, wie die gesuchten Personen in den Nachrichten. Können Sie uns dazu etwas sagen?"
Zuerst reagierte Mandy nicht. Schließlich aber drückte sie die Kippe an der Wand aus und öffnete kurz einen Spalt breit das Fenster. Dann schippste sie den verbliebenen Stummel aus dem Fenster.
"Na ja. Ich hatte Vormittags Dienst und war an einer der ersten Kassen. Ich saß also in der Nähe des Kiosks und habe dort zufälligerweise ein wenig die Nachrichten mitgehört. Etwa eine knappe halbe Stunde später sah ich plötzlich zwei Personen, die der Beschreibung der Gesuchten sehr ähnelten." Roy unterbrach sie kurz. "Wie sahen sie denn genau aus?"
Nachdenklich schaute Misses Boxton an die Decke bevor sie weiterredete. "Nun, die Beschreibung in den Nachrichten war eigentlich sehr präzise. Die auffälligere Gestalt war in Schwarz gekleidet.
Die andere in normaler Straßenkleidung. Ich meine sie hatte schulterlange blonde Haare, genau wie in den Nachrichten. Mehr konnte ich nicht erkennen."
Roy atmete geräuschvoll aus und flüsterte: "Das sind sie!"
"Sie haben aber nicht zufälligerweise gesehen, was sie anschließend gemacht haben?", fragte John weiter.
Mandy schüttelte den Kopf.
Gerade wollte Sheppard etwas sagen, da klingelte plötzlich Nicols Handy.
Leicht überrascht griff Roy in seine schwarze Jacke und holte ein klingelndes Gerät aus der Innentasche. Nach einem kurzen Blick auf das Display hob er ab. Dabei entfernte er sich einen Schritt von seinem stummen Kollegen und der leicht neben der Spur stehenden Mandy und drehte ihnen den Rücken zu.
John wusste nicht ganz, was er jetzt tun sollte, wippte mit seinen Schuhen auf und ab und schaute mal entschuldigend zu Misses Boxton und dann wieder auf den kahlen Boden. Mandy selbst schien ebenfalls ein wenig hilflos.
Sheppard hörte, wie Roy aufgeregt in sein Handy sprach, verstand aber nichts eindeutiges.
Nach gefühlten Stunden, um genau zu sein eine Minute und zweiundvierzig Sekunden, legte Roy auf und steckte das Handy zurück. Er drehte sich wieder seiner Zeugin zu.
"Vielen Dank Misses Boxton. Leider müssen mein Kollege und ich uns jetzt entschuldigen. Falls Ihnen dennoch noch irgendetwas einfällt, bezüglich den Gesuchten, dann melden Sie sich bitte bei der Polizei. Schönen Tag noch!" Und mit diesen Worten verschwand Roy durch die Tür, gefolgt von dem leicht verwirrten John.
Als sie sich wieder im Markt befanden, ging Nicols zielstrebig Richtung Ausgang.
Sheppard hielt es nicht länger aus.
"Nun sagen Sie schon, Chef! Wer hat Sie angerufen?", drängte er Roy.
Dieser klärte endlich seinen Kollegen auf, doch dennoch verlangsamten sich seine Schritte nicht.
"Die Kollegen am Revier haben mehr herausgefunden. Endlich wissen wir jetzt, wo sich Grayson, der Kopf des Projektes, aufhält. Ohne Frage ist 'Der Schatten' auf dem Weg zu ihm, um sich zu rächen. Heißt: Ihn töten."
"Und wir machen jetzt eine Hetzjagd?! Na toll. Und ich hatte mich heute so sehr auf meinen Feierabend gefreut, den ich mir ja jetzt wohl abschminken kann", jammerte John.
Die beiden Polizisten näherten sich ihren Wagen. John immer noch leicht verzweifelt, doch Roy schmunzelte.
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