21.Oktober 2022: Wer hat die Hosen an?



Weg nur weg. Mit diesem Gedanken schob ich die Füße über die Bettkante. Strenggenommen sollte ich Hongjoong danken, dass er mir das Leben gerettet hatte - doch andererseits hätte ohne ihn ja nie Gefahr bestanden. Und sie war nicht gebannt. Die Zeit lief schneller, als ich auf die Beine kam.

Die Aussicht zu sterben war grauenhaft - das hatte ich gerade am eigenen Leib erfahren, doch Hongjoongs Schicksal auf ewig zu teilen erschien mir tausendfach schrecklicher.

Nachdem ich alle Decken von mir geworfen hatte, traf mich die Kälte wie ein eisiger Schwall. Vielleicht war das Feuer auch nur eine lächerliche Attrappe? Doch statt zum Kamin zu wandern, rutschte mein Blick an mir herab. „Wie hast ...?" Ich schnappte nach Luft. Statt meiner Klamotten trug ich ein weißes Seidenhemd mit hohem Kragen, das sich in Stufen wasserfallartig über meinen Körper bis zur Mitte der Oberschenkel ergoss. Ich kannte es. Er selbst hatte es getragen, als er uns nach dem Laderaumtest in der Messe empfangen hatte; als der, der er wirklich war: Piratenkönig Kim Hongjoong. Nur hatte er darunter noch eine schicke Hose angehabt; meine Beine waren nackt!

„Gib mir eine Hose! Sofort!"

„Fehlt da nicht etwas?" Der Piratenkönig hielt die Arme überkreuzt und rührte sich kein Stück, doch in seinem Blick tanzten Ernst und Schalk einen glühenden Walzer.

Ja, und zwar eine Hose du Idiot! Doch durch die zusammengebissenen Zähne presste ich brav das „Bitte!" hervor; keine Zeit wegen Lappalien zu streiten.

„Dein Wunsch sei mir Befehl." Sein Grinsen sprengte die Kajüte; es hatte den Umfang des ganzen Schiffs. Und mit einer seiner kleinen Verbeugungen hob er die Hand, rieb die Fingerkuppen dreimal sanft aneinander und schnippte dann kraftvoll. Schon lagen auf dem Bett eine Hose aus strahlend weißem Leder, ein paar Stiefel vom gleichen Material und ein hellbrauner Gürtel, an dem kleine, mit Edelsteinen besetzte, goldene Ketten hingen. Ich konnte gar nicht anders, als mit der Hand über den Stoff der Hose zugleiten. Die von geschmeidigen Rillen durchzogene Textur war so weich, dass es sich anfühlte, als würde ich durch eine Wolke streichen. Herrlich!

„Freut mich, dass sie dir gefallen." Ich spürte seinen Blick auf mir, während ich die außergewöhnliche Qualität der einzelnen Stücke bestaunte. „Sie passen zu dir."

Okay, dass er auf Extravaganz steht, wusste ich - aber dass er sie nun mit mir teilte? Bedeutete das etwas? Oder interpretierte ich zu viel hinein? Mein Herz jedenfalls nahm bereits Anlauf in die Hose zu hüpfen. Mit einem Räuspern schluckte ich den Impuls vor Freude laut zu quietschen hinunter. „Kapitän Kim Hongjoong, ... könnten Sie sich bitte umdrehen?"

Er blinzelte erstaunt, doch dann senkten sich seine Wimpern wie Schmetterlingsflügel in einer Frühlingsbrise und er folgte meiner Aufforderung anstandslos.

Der Stoff schmiegte sich wie eine zweite Haut um meine Beine, als ich hineinschlüpfte. Ich fummelte gerade den Reißverschluss zurecht, als ich Hongjoongs leises Glucksen vernahm.

„Interessiert dich denn gar nicht, wie du aus den nassen Klamotten rausgekommen bist?"

Erwischt. Punkt für ihn. Nicht einmal im Entferntesten wollte ich darüber nachdenken, geschweige denn sprechen. Erst recht nicht jetzt. Auf gar keinen Fall! Denn meine Gedanken könnten plötzlich verrückt spielen, meine Gefühle Achterbahn fahren, und am Ende würde ich Zeit und Energie mit Dingen vergeuden, die längst geschehen und nicht zu ändern waren.

„Nun. Ich denke, sie hatten ihre Freude, Kapitän." Ich hatte es geschafft, den Gürtel zu schließen und hob den Kopf.

Hongjoong umkreiste mich wie ein Hai seine Beute. „Außerordentlich." Mein Innerstes zog sich halb ängstlich, halb wehmütig zusammen, doch selbst das war jetzt pure Zeitverschwendung.

Wobei... Hatte er nicht eben noch erwähnt, dass die Dinge, die er erschuf, bei Sonnenaufgang wieder verschwinden? Elender ....
Sei's Drum, wenn ich nicht bald etwas unternahm, wäre das dann wohl mein kleinstes Problem.
Also los!

Beim Anziehen hatte ich mich noch am Bettpfosten abgestützt. Nun erschien mir der Weg bis zur Tür beinah unüberwindbar.

Aber ich muss!

„Iliana, bist du sicher?" Ich spürte den Blick des Piratenkönigs, als ich versuchte, den ersten Schritt zu machen. Doch ich konzentrierte mich ganz auf die Bewegung. Meine Knie waren so weich wie Pudding, der noch kocht. Dennoch setzte ich den Fuß nach vorn und den nächsten nach. Erst beim dritten Schritt fiel ich. Hongjoong war sofort da.

Seine Hände schlossen sich um meine Arme und das war bitternötig, denn meine Beine drohten unter mir wegzuschmelzen. Er war so nah, dass der erdige Duft seiner Lederweste in meine Nase zog, als wäre es ein vertrauter, längst vergessener Geruch. Ich starrte auf seine nackte Haut, vom Schein des Feuers in exklusives Gold getunkt. Im Schlitz der Weste schimmerten die schwarzgrauen Linien und Schatten seiner Tattoos. Mein Herz hämmerte gnadenlos. Klar, dass er ausgerechnet jetzt kaum etwas anhatte. Wo zum Teufel war sein Brokatmantel abgeblieben?

„Ich hatte dich damit zugedeckt." Beinahe unschuldig rutschten seine Hände hoch zu meinen Schultern und er deutete rüber zum Bett. Tatsache, zwischen den Leinendecken blitzte es blau.

„Danke", murmelte ich und sah wieder dorthin, wo der Ozean zu Hause ist - in den Tiefen seiner Augen. Ich war mir sicher, dass da am Grund noch Schätze verborgen lagen, deren Bergung sich lohnte.
„Es tut mir so leid", flüstere ich, ohne recht zu wissen, weshalb. „Aber ich muss jetzt gehen. Es tut mir leid."

„Ja, das musst du." Sanft wie die Brandung bei ruhiger See an den Strand schwappt, küsste er meine Stirn. Wieder verstand er meine tiefsten Gedanken besser als ich selbst.

Ich entzog mich seinem Griff und trat einen Schritt zurück. Er stand still, doch die Schatten in seinen Augen sprachen Bände, mehr als Worte es vermocht hätten. Stumm bewegte ich den Kopf, winzige Tränen glitzerten in meinen Augenwinkeln. Kim Hongjoong war der reine Widerspruch; in seiner schwarzen Lederkluft samt Waffengurt hätte er bedrohlich wirken müssen, wie so oft zuvor, und doch war er erschreckend sanft.

Iliana, stop! Lass dich nicht einlullen! Tapfer reckte ich das Kinn. „Nur weil du mich aus dem Wasser gezogen hast, ist es noch nicht zu Ende."

„Nein. Ist es nicht." Er streckte den Arm aus. Seine Finger glitten sanft über meinen Handrücken und hinterließen eine kühle Spur, die meine Haut zum Kribbeln brachte. „Aber ich muss dir was zeigen."

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