20. Oktober 2022: Es wird kalt
„Wir können nicht alle verrücken." Hannahs grüne Augen waren dunkel vor Verzweiflung. Sie drehte sich um ihre eigene Achse und starrte dabei auf die übermannshohen Türme um uns herum.
„Wir haben wohl keine andere Wahl." Noah krempelte sich entschlossen die Ärmel hoch. Ich hielt mich nicht damit auf, die wohlgeformten Muskeln an seinen Armen zu bewundern, sondern starrte weiter auf die Kisten, wie als hielten sie die Lösung für unser Schlamassel parat.
„Jetzt können wir die Kisten noch verrücken, wenn das Wasser weiter steigt, lassen sie sich nicht mehr so leicht wegschieben. Einige werden dann umhertreiben wie Treibgut." Christian zerrte entschlossen an einer Kiste und Noah half ihm sofort.
Ich bezweifelte, dass es selbst jetzt ohne Wasser leicht sein würde, hielt aber meinen Mund, da ich unsere Chancen nicht kleinreden wollte.
„Ich kann nicht schwimmen." Lisa hatte aufgehört ihren Zopf neu zu flechten und ihre Finger klammerten sich haltsuchend in ihr neues Kunstwerk.
Ich musste schlucken und spürte erneut den dicken Kloß in meinem Hals. Beim Blick in Lisas kornblumenblaue Augen kam mir ein schrecklicher Gedanke. Wollte er uns umbringen?
Aus der Dunkelheit des riesigen Schiffbauchs griff erneut die Angst nach mir. Sie schob ihre eisigen Krallen an meinem Rückgrat nach oben und ließ mich bis zum Haaransatz frösteln. Bevor sie mich mit ihren Klauen vollends zu packen bekam, nahm ich Reißaus. Ich marschierte forschen Schrittes auf die mir nächste Kiste zu. Meine mit Wasser vollgesogenen Turnschuhe erzeugten bei jedem Schritt ein ekelhaft patschendes Geräusch und meine Zehen waren im Nu kaltgefroren.
„Du musst nicht schwimmen Lisa. Wir kommen vorher hier raus." Meine Stimme zitterte zwar leicht, aber ich warf ihr einen Blick zu, von dem ich inständig hoffte, dass er alle Angst und Zweifel verbarg, die ich selbst empfand.
Ich versuchte die Kiste, die nach altem Hundefutter stank, zur Seite zu schieben, doch sie rührte sich keinen Zentimeter. Bäh, wer weiß, mit was sie gefüllt war. Es war zu dunkel, um eine mögliche Beschriftung zu erkennen, aber von dem Gestank ausgehend, tippte ich auf steinaltes Dörrfleisch.
Vor meinem inneren Auge sah ich pflasterdicke Schimmelkulturen, die sich um das getrocknete Fleisch gelegt hatten, fette weiße Maden und Würmer, die sich zu Hunderten hindurchfraßen und die nur durch die dünne Holzplatte von meinen Händen getrennt waren. Mein Magen rebellierte und ich würgte. Doch das unaufhörlich ansteigende Wasser an meinen Füßen machte mir eiskalt deutlich, dass ich keine Wahl hatte. Das war nicht fair! Wir hatten doch gar nichts getan! Es ergab keinen Sinn. Er brachte uns doch nicht hierher, um uns dann hier zwischen alten, vor sich hinrottenden Kisten ertrinken zu lassen, oder etwa doch?
Wieder griff die eiskalte Klaue der Angst nach mir. Die Dunkelheit und der Geruch nach Verwesung verwandelten den Lagerraum in einen Friedhof. Einen Friedhof, auf dem auch wir unser nasses Grab finden und den Würmern als Mahlzeit dienen würden. Aber es war nicht die Zeit, sich nutzlosen Überlegungen hinzugeben. Ich stemmte mich stattdessen mit ganzer Kraft gegen die Kiste. Doch sie rührte sich nicht.
Gerade wollte ich aufgeben, als zwei schmale Hände mit anpackten. Lisa drückte und schob so sehr sie konnte. Ihre Ballerinas waren dunkel vor Nässe und ihre weiße Jeans war bis zu den Waden klatschnass. Ihr Zopf war nur bis zur Hälfte geflochten und dann mit ihrem hellblauen Haargummi achtlos zusammengerafft.
Gemeinsam stemmten wir uns gegen die Kiste. Meine Füße waren eisig kalt und ich stand bis zu den Knöcheln im Wasser. Die Kiste gab ein paar Millimeter nach, blieb dann aber an einer Fußbodendiele hängen. Na toll, fast konnte ich hören, wie die Würmer und Maden in der Kiste uns auslachten.
Gefrustet ließ ich den Kopf hängen und starrte auf das dunkle Wasser, das in sachten Wellen meine Knie umspülte. Wir mussten das Wasser stoppen!
„Wir müssen rausfinden, wo das Wasser herkommt und es aufhalten", sagte ich laut und warf der viel zu schweren Kiste vor meinen Füßen einen resignierten Blick zu.
Christian nickte entschlossen „Ja. Sonst können wir vergessen, hier lebend raus zu kommen."
Lisa neben mir zitterte bei seinen Worten. „Wie sollen wir das anstellen?", fragte sie verunsichert, die Finger in ihrem Haar verschränkt. „Such die Stelle, wo das Wasser herkommt", antwortete ich und sah sie mitfühlend an. Sie presste ihre schmalen dünnen Lippen zu einem festen Strich zusammen und nickte.
Alle suchten jetzt. Außer Bea, die weiter auf ihrer Kiste stand und uns aus zusammengekniffenen Augen zusah. Ich ignorierte sie so gut es ging. Es würde mir nichts bringen, mich jetzt über sie zu ärgern.
„Was, wenn der Ursprung des Wassers hinter irgendwelchen Kisten verborgen ist?", fragte Hannah und zerrte an einem großen Fass, das trotz ihrer Bemühungen keinen Millimeter nachgab. „Die lassen sich ja kaum bewegen!"
Das war ein verdammt guter Einwand.
Hannah zog am Deckel des Fasses und hielt ihn plötzlich in der Hand. Sie stolperte ein paar Schritte rückwärts, konnte sich aber an einer Kiste rechtzeitig festhalten.
„Achtet auf Luftblasen und Strömungen", riet Christian.
„In dem kalten Wasser?" Beas Stimme war einige Oktaven höher als sonst. Es schien, als wagte sie den gleichen Versuch wie ihre Besitzerin: nach oben klettern, um ja nicht nass zu werden. Bea hatte doch gut reden auf ihrer Kiste. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand sie da und blickte argwöhnisch auf das steigende Wasser. Sie schien mit sich zu ringen, ob sie im Trockenen bleiben, oder uns zur Hilfe kommen sollte.
„Noch ein Grund mehr die Quelle des Wassers so schnell wie möglich zu finden", antwortete Christian immernoch gefasst.
Hannah und ich wagten derweil einen Blick in das Fass. Was ich sofort bereute. Es war bis zum Rand mit einer Flüssigkeit gefüllt, die wohl mal Trinkwasser gewesen war. Nun schwammen lauter dünne Würmer, wie Spagetti im Nudeltopf, darin herum. Hannah und ich quiekten und schlugen den Deckel schnell wieder auf das Fass.
Eric wollte sofort wissen, was da drin uns so erschreckt hat. Und auch Lisa und Noah unterbrachen ihre Arbeit.
Nur Christian schien sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Er untersuchte eine Kiste nach der anderen. Die Bereiche, die bereits unter Wasser waren, befühlte er mit seinen langen schmalen Fingern, die von der Kälte schon rötlich verfärbt waren. Manchmal hielt er auch sein Ohr an die Kistenstapel und lauschte, ob er die Quelle des Wassers hören konnte. Sein Vorgehen wirkte abgeklärt und systematisch und dafür bewunderte ich ihn in diesem Moment sehr.
Wir anderen wirkten im Vergleich zu ihm, wie bei einem Picknick aufgescheuchte Wespen, die wild durcheinander fliegen und bei der kleinsten Bedrohung sofort bereit sind zuzustechen.
„Am besten wir teilen uns auf und jeder sucht einen anderen Bereich ab." Ich versuchte, mir ein Beispiel an Christian zu nehmen und planvoller vorzugehen.
„Gute Idee." Noah schenkte mir eines seiner Zahnpastawerbungslächeln, aber ich nickte nur und beeilte mich durch das Wasser, dass mir schon bis zu den Oberschenkeln reichte, zu den Kisten am hintersten Rand des Lagerraumes zu gelangen.
Kurz darauf hatten wir uns alle im ganzen Raum verteilt.
In meiner Ecke war es so dunkel, dass ich die anderen bloß als schemenhafte Gestalten wahrnahm. Die kleine Petroleumlampe war die einzige Lichtquelle und stand zu weit weg. Christian hatte sie bereits höher gestellt, um zu verhindern, dass das steigende Wasser sie auslöschte.
Ich versuchte, systematisch jeden Zentimeter in meinem Bereich abzusuchen. Aber meine Finger waren schon so kalt gefroren, dass es fast unmöglich schien damit etwaige Strömungen zu erfühlen. Es kam mir vor, als hätte ich Eiszapfen an den Händen, die jeden Moment abbrechen könnten. Auch auf mein Gehör war kein Verlass, denn das Blut rauschte in meinen Ohren vor Aufregung. Dennoch zwang ich mich weiterzumachen.
Als das eiskalte Wasser mir schon an den Po schwappte, rief Christian aufgeregt: „Hier! Leute! Ich glaube, hier dahinter ist es!"
Wir stürmten alle zu ihm hin. Das Rauschen des Wassers klang hier lauter, man hörte es brausen und gurgeln. Es rauschte heftiger als das Blut in meinen Ohren.
Trotzdem war nicht zu erkennen, wo genau das Wasser herkam, denn vor uns standen 6 Kisten zu einem Turm übereinandergestapelt, der fast bis zur Decke reichte.
„Das war ja einfach." Bea war noch ein Stück höher geklettert und zeigte uns ein Daumen-hoch-Zeichen zusammen mit einem schiefen Lächeln.
Ich sah sie verständnislos an.
„Dir ist schon klar, dass wir jetzt möglichst schnell diese Kisten da runterholen müssen, um an die Quelle zu kommen?", fragte ich sie in einem ähnlich ätzendem Tonfall, wie sie ihn sonst immer draufhatte. Ihr Blick verriet deutlich, dass sie darüber noch nicht nachgedacht hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihren hübschen Kopf wirklich nur zum Schminken auf den Schultern sitzen.
„Die sehen hundsschwer aus." Lisa klang entmutigt und ich konnte es ihr nachfühlen. Noah und Eric stemmten sich gemeinsam gegen die unterste Kiste.
„Keine Chance", stöhnten sie nach nur wenigen Sekunden.
Nein, so würde es nicht funktionieren.
Da half nur eins.
„Wir müssen von oben her alle einzeln runterholen", sagte ich und blickte zur obersten Kiste hoch. Ich spürte, dass alle mich ansahen. „Wie willst du das anstellen? Hast du irgendwo eine Leiter entdeckt?" Eric klang, als hätte ich vorgeschlagen, hinauffliegen zu wollen.
„Nein. Wir klettern rauf und holen eine Kiste nach der anderen nach unten", erklärte ich, wie als sei es das Einfachste auf der Welt. Lisa, Eric und Bea sahen mich an, als wäre mein Kopf ebenfalls nur zum schminken da. Hannah versuchte mir ein Lächeln zu schenken, was ihr jedoch missglückte.
„Mhm." Noah rieb sich über sein Kinn.
„Sie hat Recht." Christian krempelte sich die Ärmel seines Hoodies bis zum Ellenbogen hoch. „Und wie kommen wir da rauf?", fragte Hannah und spähte zur oberen Kiste hinauf.
„Mit Hilfe der anderen Kisten und Fässer hier im Raum", antwortete ich und wies mit einer ausladenden Handbewegung auf die vielen Kisten ums uns herum.
Ich entdeckte eine Kiste auf der ein dickes, aufgerolltes Tau lag. Eric und Hannah halfen mir das Tau beiseite zu schieben und hievten mit mir zusammen die Kiste neben den Kistenturm.
Ich kletterte darauf. „Noch eine", drängte ich, was gar nicht mehr nötig gewesen wäre, denn Eric, Noah, Christian und Hannah schleppten bereits die nächste Kiste herbei.
Ich sprang herunter und das Wasser spritze nach allen Seiten, als ich bis zum Bauch im Wasser landete. Bea quietschte kurz, als die Wellen bis zu ihr schwappten. Wir ignorierten sie und stapelten die Kisten übereinander. Dann kletterte Noah hoch und reckte sich, aber es reichte noch nicht, um an die oberste Kiste heranzukommen.
„Wir brauchen noch eine." Er sprang vom Kistenstapel und wir schleppten eine weitere Kiste herbei. Da es schwer war, die klobige Kiste auf die anderen beiden zu stellen, packten alle außer Bea mit an.
Und gemeinsam schafften wir es.
„Und wie kommen wir jetzt da hoch?" Eric sah auf die drei übereinander gestapelten Kisten. Christian und Noah bildeten eine Räuberleiter und Noah zog sich das letzte Stück hoch. Von oben zog er die andern beiden Jungs zu sich hinauf. Sie standen jetzt zu dritt auf dem Turm, den wir gebaut hatten.
„Ok. Gemeinsam auf Drei Leute." Noah gab den Ton an und sie reckten sich alle nach der obersten Kiste des Kistenturms, hinter dem die Quelle des Wassers verborgen sein musste, um sie runterzuheben.
„1,2, und ...3" Noah keuchte, als sie gemeinsam versuchten, die oberste Kiste anzuheben. "Verdammt, ist die schwer." Eric schnaufte und Christian biss vor Anstrengung die Zähne zusammen. Wir Mädchen standen unten und hielten den Atem an. Wir hofften, dass die klobige Kiste den Jungs nicht aus den Fingern rutschen und ihnen oder uns auf den Kopf fallen würde.
„Jetzt vorsichtig absetzen", hörte ich Christians gepresste Stimme von oben.
Aber wie sollte das gehen? Sie standen ja selbst zu dritt auf der Kiste, auf der sie hätten ihre schwere Fracht abstellen wollen. Sie hatten keinen Platz.
„Wir brauchen eine Art Treppe!", rief ich, als ich dem Schlamassel reichlich vier Meter über meinem Kopf zusah.
Hannah verstand sofort „Bea, Lisa- packt mit an!" Bea fluchte zwar, kletterte aber trotzdem endlich von ihrer Kiste. Zu viert schoben wir Kisten und Fässer so zusammen, dass eine Treppe entstand, die zu der Kiste führte, auf der die Jungs standen. Die stemmten derweil tapfer die Kiste über ihren Köpfen wie drei Bodybuilder ihre Gewichte. Noah keuchte schnaufend „Beeilt euch Leute."
Wir gaben alles. Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn, während wir die schweren Kisten und Truhen aufeinander hievten. Das kalte Wasser war für den Moment fast vergessen.
Als unsere Treppe endlich fertig war, zitterten meine Hände und meine Arme hingen schlaff und kraftlos von meinen schmerzenden Schultergelenken herab. Die Jungs stellten erleichtert ihre Kiste auf der oberen Stufe der neu gebauten Treppe ab.
„Endlich", schnaufte Eric, als die Kiste stand. Sie muss Zentner gewogen haben.
„Ok. Leute. Wir haben noch ein paar." Noah zeigte mit einer Kopfbwegung auf die nächste Kiste und Christian packte gleich zu.
Meine Arme fühlten sich so an, als wären sie nicht mal mehr in der Lage einen Teelöffel hochzuheben. Dennoch zwang ich mich weiterzumachen und griff mit Hannah, Lisa und Bea nach der nächsten Kiste. Denn das Wasser stieg weiter. Es reichte mir mittlerweile bis über den Bauchnabel und es war arktisch kalt.
Eine kurze Pause war ein Luxus, den wir uns im Moment nicht leisten durften, auch wenn mein ganzer Körper danach schrie.
Wir gingen mit den anderen Kisten nach dem gleichen Plan vor. Über unsere gebaute Treppe trugen wir die Kisten Stück für Stück nach unten, um Platz für die nächste Kiste zu haben. Der Kistenturm, der die Quelle des Wassers versperrte, wurde zusehends kleiner.
Als wir die Quelle - bei der es sich um ein Loch in der Bordwand handelte, durch das ein kleines Bambusrohr, wie ein kleiner Gartenschlauch, ragte - gefunden hatten, standen wir vor dem nächsten Problem.
Wie sollten wir das Wasser stoppen?
Eric griff nach dem Bambusrohr um daran zu ziehen, doch Christian hielt ihn am Arm zurück „Stop! Wenn du das Rohr raus ziehst vergrößerst du nur die Austrittsfläche. Dann wird es schwerer das Wasser zu stoppen. Besser wäre es, wenn wir etwas in das Rohr stopfen könnten."
Er sah zu uns. Nur was?
Alle wühlten hektisch in ihren Jeans und Jackentaschen.
Mit meinen Eiszapfenfingern förderte ich alte, vom Wasser durchweichte Taschentücher zu Tage. Die würden nichts nützen.
„Hier, ich habe heute Nachmittag eine Muschel gefunden." Lisa reichte Christian eine kleine herzförmige Muschel. Und Bea steuerte sogar ihren Lippenstift bei. Christian nahm Beides und schob es in das Rohr.
Der Wasserstrom ließ etwas nach, aber es trat weiter Wasser aus dem Rohr aus. Eric fand eine Packung Kaugummis in seinen Jeanstaschen. Christian rollte den Kaugummi zu Klümpchen und Kügelchen, umwickelten ihn wieder mit dem Alupapier, damit er nicht so schnell durchweichen würde und stopfte ihn zur Muschel und zum Lippenstift in das Rohr. Dann verschloss er das Rohrende ebenfalls mit einer Schicht Kaugummi.
Es funktionierte. Das Rohr hielt fürs Erste dicht. Ein kollektives Aufatmen erfüllte den düsteren Schiffsbauch.
„Jetzt lasst uns den Ausgang suchen." Noahs Augen leuchteten im Halbdunkel.
Das Wasser stand mir schon fast bis zur Brust. Ich war froh, dass es nicht bis zu meinem Herz reichte, denn ich fürchtete, das die Kälte es überlasten könnte. Früher oder später wäre dies wahrscheinlich ohnehin der Fall. Doch daran wollte ich jetzt nicht denken, denn für den Moment beim Blick in Noahs strahlende Augen, überwog die Freude über unseren Erfolg und Adrenalin durchströmte meine eingefrorenen Adern. Das Wasser war gestoppt. Jetzt müssten wir nur noch den Ausgang finden.
Doch als ich meinen Blick von den grüngesprenkelten Augen löste und das Kistenmeer um mich herum sah, verebbte die Euphorie jäh und die Kälte kam zurück.
Wie sollten wir hinter diesen vielen Kisten nur den Ausgang finden? Wären wir bis dahin nicht längst erfroren?
„Wir haben es geschafft das Wasser zu stoppen, jetzt kommen wir auch hier raus." Noah versuchte uns Mut zu machen. Ich biss also die Zähne zusammen und watete durchs Wasser. Dieses Mal auf der Suche nach einem Ausgang.
„Nach was sollen wir eigentlich suchen?", Hannah bahnte sich neben mir ihren Weg durch das dunkle Wasser.
„Nach einer Tür?" Jetzt war es Bea, die Hannah einen Vogel zeigte.
„Achnee Schlauberger." Hannah seufzte und präzisierte ihre Frage: „Wie soll ich erkennen, ob hinter einem Kistenberg eine Tür verborgen ist?"
Da musste ich ihr Recht geben, das war schwierig.
„Wir müssen wohl die Wände frei machen und dafür alle Kisten in die Mitte räumen." Christian klang überhaupt nicht erschöpft. Wie machte er das zum Henker?
In der Mitte des riesigen Lageraums war eine freie Fläche, auf der wir gelegen hatten, als wir hier im Dunkeln zu uns gekommen waren. Dort könnten wir die Sachen hinstellen, um die Wände frei zu räumen. Aber die Befürchtung, dass unsere Kräfte dafür nicht mehr reichten, piesackte mich und ließ mir keine Ruhe. Ja sie steigerte sich zu einer quälenden Gewissheit.
Verzweifelt sah ich mich um.
An der rechten Seite stapelte sich ein Kistenturm bis fast zur Decke.
Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Ausgang hinter dem größten Kistenturm verbarg? Wenn ich an die kalten Augen und das grausame Lächeln des Kapitäns dachte, der uns begrüßt hatte, sehr wahrscheinlich.
Ich ging auf den Turm zu und plötzlich war Christian neben mir.
„Versuchen wir es hier", sagte er. Die anderen kamen ebenfalls hinzu.
Wir nutzten die gleiche Technik mit der Treppe, um den riesigen Turm Kiste für Kiste abzubauen.
Da wir mittlerweile eingespielt waren, kamen wir schneller voran.
Die Kisten auf diesen Turm waren zum Glück etwas leichter, sodass immer zwei von uns eine Kiste anheben und sie den nächsten beiden nach unten weiter reichen konnten.
Noah und Eric standen ganz oben, dann folgten Christian und ich und unten halfen Hannah, Lisa und Bea.
„Das gibts ja nicht!", rief Noah aufgeregt von oben. „Hinter dieser Kiste hier schimmert etwas grün."
„Ein grüner Schimmer?" Wir sahen uns irritiert, aber hoffnungsvoll an.
Spannung stieg in mir auf und linderte die Kälte, die mich langsam von innen her auffraß. Ich war ganz aufgekratzt, während wir die nächste Kiste zur Seite bugsierten.
Als dann die Ursache des grünen Schimmers sichtbar wurde, traute ich meinen Augen nicht.
Da leuchtete ein Notausgangsschild. Damit hätte ich nicht gerechnet, aber umso besser. Ein Notausgang war genau das, was wir jetzt nötig hatten. Auch wenn dieses beleuchtete Signalschild hier vollkommen fehl am Platz wirkte. Das hätte eher in den Spätshop gepasst.
„Unter einem Notausgangschild ist doch meist eine Tür?" Lisas Stimme klang trotz der Kälte hell und hoffnungsvoll.
Mit neuem Elan packten alle mit an; sogar Bea war jetzt richtig mit dabei.
Und nachdem wir eine weitere Kiste zur Seite bugsiert hatten, kam der obere Rand einer Holztür zum Vorschein.
In Windeseile räumten wir die Tür frei und drängten uns wie gebadete Hunde dicht vor ihr zusammen. Noah griff nach der Klinke und drückte sie entschlossen nach unten.
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