20.Juli 1709: flammendes Inferno
„Mit allem Nachdruck bitten wir Eure Majestät, den beklagenswerten Zuständen, die auf den Inseln herrschen, ein Ende zu bereiten; für zwei Schiffe, die von Spanien her kommen, erscheinen zwanzig Seeräuberschiffe. Aus diesem Grunde ist nicht eine Stadt entlang dieser Küste sicher zu nennen. Wann auch immer es ihnen gefällt, überfallen und plündern sie unsere Ansiedlungen. Sie rühmen sich sogar, Herren der Meere und des Landes zu sein." *
Als die ersten Strahlen der über dem Meer aufgehenden Sonne den kleinen Hafen in warm goldenes Licht tauchten, hatten wir kaum ein Auge zugetan.
Dennoch fühlte ich mich mitnichten ermattet, als ich nun an der Reling der Duke stand und meinen Blick über die kleine Hafenstadt gleiten ließ, deren hell getünchte Lehmhäuser sich im Halbkreis um den Hafen herum dicht aneinanderschmiegten und im Licht der Morgensonne um die Wette zu strahlen schienen. Es war kein großer Hafen und auch keine bedeutende Stadt. Die Bewohner lebten wohl vom Fischfang und vom Handel mit den vorbeikreuzenden Schiffen. Doch dem Tode so knapp entronnen, kam mir dieser Flecken Erde, wie der schönste vor, den meine Augen je erblicken durften.
Die Zufahrt zum Hafen wurde geschützt durch ein kleines Fort, wobei die Bezeichnung Schutz zu hoch gegriffen war, denn es bestand aus nicht mehr als vier alten Steinmauern und zwei Kanonen zu beiden Seiten der Hafeneinfahrt.
Im Dunkeln waren wir dieses schmächtigen Bauwerks gestern gar nicht gewahr geworden. Ich zweifelte, ob es überhaupt noch bemannt war, denn es vermochte allenfalls einem laienhaften Betrachter das Gefühl von falscher Sicherheit zu vermitteln, eine abschreckende Wirkung auf Seeräuber würde ihm aber wohl selbst dieser nicht zuschreiben wollen.
Über der kleinen Siedlung, die sich am Fuße zweier Hügel auf einen schmalen Streifen Land zwischen den Felsen und dem Hafen schmiegte, thronte eine Kirche, die für das kleine Örtchen etwas überdimensioniert wirkte. Ihre Mauern glänzten weiß und unberührt und ihr Anblick blendete mich, sodass ich meine Augen nun zukniff und den Blick Richtung Dutchess weiterwandern lies.
Sie lag neben der Duke vertäut und schaukelte auf den Wellen sacht hin und her. Wäre ihr ehemals stolzer Kreuzmast nicht in der Mitte abgebrochen und würde nicht ein kajütengroßes schwarzes Loch in ihrer steuerbord Seite klaffen, hätte man ihren Anblick im Licht der Morgensonne sicher als erhaben bezeichnen können, so war er hingegen desolat zu nennen.
Ich atmete seufzend aus und versuchte, angesichts dieses bekümmernden Bildes ein bisschen Trost darin zu finden, dass sich mittlerweile wenigstens der Rauch gelegt hatte, nachdem es uns in der Nacht noch gelungen war, das Feuer zu löschen.
Das Geräusch von derben Stiefeln auf den Schiffsdielen hinter mir ließ mich umdrehen: Kapitän Rogers kam eiligen Schrittes über das Deck gelaufen und machte sich sogleich daran, die Schäden an den Schiffen zu begutachten. Nur der Verband um seinen Kopf zeugte noch von seiner schweren Verletzung.
Er war wahrhaftig ein zäher und unbezwingbarer Brocken von einem Seemann, der den Rang eines Kapitänes mehr als zu Recht trug. Nachdem es ihm in der Nacht gelungen war, den Blutfluss aus seiner grässlichen Wunde im Oberkiefer zu stoppen, hatte er den Schmerz mit dem letzten bisschen Rum betäubt, den unser Smutje wohl, trotz des gegenteilig lautenden Befehls, vor dem über Bord werfen gerettet hatte, wenn gewiss auch zunächst für eigene Zwecke. Der Kapitän jedoch zögerte nicht einen Moment, diese letzten kostbaren Tropfen an die Verletzten und Verwundeten zu verteilen, um deren Schmerzen zu lindern und um die frischen Wunden zu desinfizieren und Entzündungen vorzubeugen.
Ich seufzte erneut. Auch ohne die Schäden aus der Nähe begutachtet zu haben, wusste ich, dass es gewiss einige Tage dauern würde, bis wir sie behoben und die Vorräte aufgestockt hätten. Wir würden also eine Weile hier vor Anker liegen müssen. Mit der unguten Gewissheit, dass uns diese Zeit nicht vergönnt sein würde, erschienen mir die kleinen schiefen Häuser des Städtchens, in dem wir vor Anker lagen, jäh wie weiße kalte Grabsteine.
Von plötzlicher Beklemmung ergriffen, lief ich zur anderen Reling hinüber, um zur kleinen Hafenausfahrt hinaus aufs offene Meer zu blicken. Die Sonne hinterließ ein faszinierendes Glitzern auf der von sachten Wellen nur leicht gekräuselten Meeresoberfläche. Doch der friedliche Schein trügte. Dort draußen wartete der Tod.
Außerhalb dieses Hafens lauerte Kapitän Kim Hongjoong und seine Mannschaft auf uns. Und Kapitän Kim war vieles, aber gewiss nicht sehr geduldig.
Nachdem Rogers seine Inspektion beendet hatte, vereinbarte er ein Treffen mit den Kapitänen der anderen im Hafen liegenden Schiffe in unserer Offiziersmesse.
Wie bereits vermutet, hatten auch diese vor den Piraten hier Zuflucht gesucht und lagen nun bereits seit einer Woche in dem kleinen Hafen vor Anker. Man musste uns unser Erstaunen wohl angemerkt haben, denn der erste Marineoffizier der Niederländer, ein schlanker, hochgewachsener, stattlicher Herr mit einer Sattelnase und klaren blauen Augen, erzählte uns, dass die Stadt mit ihrem kleinen Fort in der Vergangenheit schon mehrfach Piraten aus ihrem Hafen zurückgedrängt hätte. Doch bevor er uns Näheres berichten konnte,
betrat ein kleiner, untersetzter Herr schnaufend und mit hochrotem Kopf die Messe. Sein Kopf leuchtete fast so rot wie seine rote Samtweste, die jedoch schon ganz speckig abgerieben glänzte und ihre besten Tage schon lange hinter sich hatte. Um seine beleibte Körpermitte spannte sich eine dunkelgrüne Schärpe mit goldenen Knöpfen.
Ob der stämmige Mann nun aus Anstrengung oder vor Ärger so rot angelaufen war, blieb mir vorerst ein Rätsel, zumindest keuchte er und funkelte uns aus seinen kleinen Stecknadelaugen ungnädig an.
„Mit wem haben wir denn die Ehre?", fragte Rogers vollkommen ungerührt und klang dabei nicht annähernd so höflich, wie es die Art der Frage auch ermöglicht hätte. Er duldete es nicht gern, wenn jemand ohne seine Zustimmung das Schiff betrat und er bedachte den dafür verantwortlichen Matrosen, der noch in der Tür stand, mit einem bitterbösen Blick. Dieser zog nun eiligst den Kopf zwischen die Schultern und sah zu, dass er Land gewann.
„Gonzalo Dorta. Ich bin der Bürgermeister dieses malerischen Küstenstädtchens und dieses ruhmreichen Hafens", stellte sich der Angesprochene nun vor und trug dabei ganz schön dick auf, wie ich fand. Er reckte seinen Bauch nach vorn und ich fürchtete schon, dass die Schärpe jeden Moment entzweireißen könnte.
„Und was wollen Sie jetzt hier?!", donnerte der Kapitän, ohne sich selbst vorzustellen, was den untersetzten Bürgermeister zusammen zucken ließ.
Er fing sich jedoch schnell wieder, rückte die Schärpe um seinen Bauch zurecht und sprach mit erstaunlich fester Stimme: „Liegegebühren! Sie können nicht umsonst hier vor Anker liegen, meine Herren."
„Das hatten wir auch nicht vor", stellte der Kapitän nun sachlich klar und sah seinen um mindestens drei Köpfe kleineren aber dafür doppelt so üppigen Kontrahenten abwartend an.
„100 Goldtaler pro Schiff pro Tag!", verlangte der kleine Mann brüsk. Ich kam nicht umhin bei diesem Preis scharf die Luft einzuziehen.
Und selbst der niederländische Offizier hob eine seiner schmalen, grauen Augenbrauen und wollte wohl gerade das Wort ergreifen, als der stämmige Bürgermeister ihm auch schon zuvorkam: „Eure Schiffe kommen aus Großbritannien, da gelten andere Preise", erklärte er, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit.
Ich rümpfte die Nase. Dieser elende Spanier traute sich was. In meiner Zeit als Freibeuter hatte ich vorrangig spanische Prisen aufgebracht, denn ich hatte für diese Stier treibenden Halunken noch nie viel übrig gehabt und üblicherweise befanden sich unsere Nationen ohnehin im Kriegszustand, was jeden Angriff legitimierte und fast schon zur Heldentat werden ließ.
Der Bürgermeister musste die Blicke, die nun auf ihm lagen, bemerkt haben, denn er zog seinen Bauch leicht ein und fügte etwas kleinlaut hinzu: „mit Engländern haben wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht."
Rogers, der eben noch ausgesehen hatte, als wolle er den Zwerg vor ihm unangespitzt bis in den schlammigen Meeresgrund rammen, gab nun ein kehliges Lachen von sich und auch meine Finger lösten sich wieder vom kühlen Griff meines Degens, zu dem sie während der kühn anmutenden Worte des dicken Herrn Dorta reflexhaft gewandert waren.
„Ganz Recht" lachte der Kapitän „Das Königreich Großbritannien ist ein wohlhabendes Land. Das haben Sie gut bemerkt. Wir zahlen also 70 Goldtaler pro Schiff und Tag und erwarten die gleiche Gastfreundschaft, wie sie unseren niederländischen Freunden zu Teil geworden ist." Er blickte dem Bürgermeister in die Augen.
„So soll es sein", nickte dieser zögerlich und verbeugte sich, wobei die Schärpe unter seinen Wanst rutschte und dort hängen blieb. Mit rotem Kopf und einem gemurmelten „meine Herren" zog er sich eilig zurück.
Nach dieser Unterredung gingen wir, mit einer kleinen Truppe Männer an Land um uns einen Überblick über die örtlichen Gegebenheiten zu verschaffen und die Vorräte aufzustocken.
Der Großteil der Mannschaft sollte auf den Schiffen zurückbleiben, um den Schatz zu bewachen und die Schäden zu reparieren. Die Männer waren dazu angehalten, sich möglichst unauffällig zu verhalten. Das Letzte, das wir nun gebrauchen konnten, waren Auseinandersetzungen mit den Besatzungen der anderen Schiffe oder den Einheimischen.
Mein Interesse galt zunächst dem kleinen Fort am Hafen. Dessen ungeachtet, dass die Windverhältnisse oft derart günstig waren, dass sie den Schiffen im Port Schutz boten und es den Angreifern von See zusätzlich erschwerten, so musste es doch noch ein anderes Geheimnis geben, das dieses beschauliche Städtchen mit dem kleinen Hafen zur Trutzburg gegen Seeräuber werden ließ.
Während die anderen sich also nun um die Vorräte kümmerten, besichtigten Rogers und ich zunächst das Fort. Wir sahen jedoch im Prinzip nicht mehr, als vom Schiff aus schon zu erahnen gewesen war: Außer den stabil gemauerten Steinmauern und den zwei gusseisernen Kanonen, gab es nichts Außergewöhnliches zu entdecken.
Dann erkundeten wir noch die Hügel, da wir annahmen, dass dort auch noch Kanonen stationiert sein mussten, wenn sich diese kleine Siedlung tatsächlich als so verteidigungsbereit erwiesen hatte.
Wir liefen den schmalen, steil ansteigenden Weg in Richtung der Kirche bergan. Der Weg war nicht befestigt, doch da es trocken war, kamen wir zügig voran, bei nasser Witterung oder gar Regen, würde dieser Pfad sich wohl in eine einzige Rutschbahn verwandeln.
Die Kirche San Petro Apostol verfügte über massive Mauern, massiver als die des kleinen Forts, und das war noch nicht alles, was die sakrale Baute zu bieten hatte. Mein Blick fiel sofort auf die Zinnen und die Pechnasen, die das ganze Kirchenschiff umgaben, und auch die vielen Schlüssellochscharten für kleinere Handfeuerwaffen wie Hand- oder Hakenbüchsen, waren mir nicht entgangen.
Schon der erste Eindruck legte nahe, dass diese Kirche die Bezeichnung Fort eher verdiente als die paar Mauern an der Hafeneinfahrt.
„Eine hübsche kleine Kirche" bemerkte Rogers und betrachtete die Kanonen, die neben der Kirche aufgestellt waren. Ich wollte ihm gerade zustimmen, als eine näselnde Stimme von hinter uns erklang: „Sie sind hier um zum heiligen Vater zu beten, edle Signori?"
Wir drehten uns zu der Stimme um und sahen uns einem dunkelhäutigen Priester mit langem Hals, kleinem Kopf und schütterem Haar gegenüber, nicht viel größer als der Bürgermeister, aber um einiges schlanker. Nach seiner Kleidung her zu urteilen, hätte er auch am spanischen Königshaus seinen Dienst verüben können. Seine dunkelrote Robe machte indes mehr her als die speckig glänzende Weste des Bürgermeisters und auf seiner Brust prangte ein riesiges mit Diamanten besetztes silbernes Kreuz.
„Nein und ich bezweifel doch stark, dass ihr Vater auch der meinige ist", bemerkte Rogers mit Blick auf das dunkle Antlitz des Fremden kühl und ergänzte mit einer wegwerfenden Handbewegung: „Dein alter Herr im Himmel wird uns außerdem kaum behilflich sein können", denn er hatte für sakrale Scharlatanerie genauso wenig übrig wie ich.
„Oh, der hohe Herr hat schon vielen geholfen – auch Ihnen, wie mich dünkt", bemerkte der Geistliche frech mit einem Blick auf Rogers Verband. Er reckte seinen langen, schmalen Hals nach oben, wie als wolle er sich vor uns größer machen und begann in seiner roten Robe unstet vor uns herum zu stolzieren. Mit diesem langen Hals und seiner dunklen, leicht nach unten gebogenen Nase, dazu die rote Robe, die er trug, erinnerte er mich an einen Flamingo. Herrliche Tiere im Übrigen, die ich auf meinen Reisen in Mittelamerika entdeckt und beschrieben hatte.
„Schließlich stehen Sie nun hier vor dieser Kirche", sagte der Flamingo respektive Priester nun und riss mich damit aus meinen Gedanken. Er deutete mit seinem in roten Samt gehüllten Arm auf den weiß getünchten Klotz.
Meine Augenbrauen zogen sich bei seinem gar zu blasiertem Auftreten zusammen und ließen tiefe Furchen auf meiner Stirn entstehen. Die aufmüpfige Art des Bürgermeisters hatte meine Nerven schon genug strapaziert, dieser Flamingo Priester setzte dem Ganzen noch die Krone auf. Meine Hand wanderte zum zweiten Mal an diesem Tag zu meinem Degen.
Der Priester folgte der Bewegung mit seinem Blick und sagte ruhig, jedoch ohne sein hochmütiges Gehabe abzulegen: „Ihr seid auf der Flucht vor dem Piratenkönig. Wenn ihr mir etwas tut, seid ihr verloren. Denn ich bin der Schutzbatron dieses Eilandes. Entsandt vom spanischen König höchstselbst. Ich bin Don Pedro de Poponza", stellte er sich nun vor, obwohl weder Rogers noch ich danach gefragt hatten. Wenigstens war er nun stehen geblieben und stolzierte nicht länger vor unseren Nasen auf und ab.
Oh Gott im Himmel steh mir bei! Diesen Spaniern auf dieser Insel schien es an Selbstbewusstsein nun wahrhaft nicht zu mangeln, warum musste es sich auch ausgerechnet um eine spanische Siedlung handeln, in der wir Schutz suchen mussten.
Rogers Feixen neben mir und die durch die Worte des Priesters wach gerufene Erinnerung an den Grund unseres Aufenthaltes halfen mir, meinen Zorn hinunterzuschlucken.
Ich sah den dürrhalsigen Priester an. „Euch ist es bereits gelungen, die Piraten zurück zu schlagen?", fragte ich ohne den Unglauben in meiner Stimme zu verbergen.
Die wulstigen Lippen des kleinen Geistlichen verzogen sich zu einem Lächeln, doch sein Mund blieb verschlossen. Er wollte seine Geschichte nicht mit uns teilen, wohl weil es da nichts mitzuteilen gab, außer einer Menge schwülheißer Luft, wie mir schien.
Wir wandten uns also zum Gehen um, hörten den Priester hinter unseren Rücken jedoch noch murmeln: „Ihr werdet es selbst erleben, Ungläubige. Bald schon, bald schon."
Rogers schüttelte nur amüsiert mit dem Kopf und wir machten uns daran den Hang hinabzusteigen. Als ich nach wenigen Schritten meinen Blick jedoch zum Horizont schweifen lies, packte mich kaltes Entsetzen. Dort lagen 8 riesige Galeonen, deren schwarze Flaggen im Wind wehten. Und das konnte nur eines bedeuten: Kapitän Kim Hongjoong hatte seine 7 ranghöchsten Generäle mobilisiert.
Wir waren wohl wirklich dem Tode geweiht.
Rogers und ich eilten angesichts dieser Bedrohung, so schnell uns unsere Stiefel den steilen Hang hinab trugen, zum Hafen. Doch wir waren anscheinend nicht die Einzigen, die die sich auf dem Meer zusammenballende Gefahr entdeckt hatten, denn hinter uns an der Kirche wurden nun die Sturmglocken geschlagen und ihr schwerer Klang erschütterte das kleine Städtchen bis zum letzten Kieselstein und hallte bis hinunter zu den Schiffen im Hafen.
Wir hätten keine Chance. Die Schäden an unseren Schiffen waren noch nicht behoben. Die Niederländer lagen mit ihren Galeonen achtern. Sie könnten uns also keinen Schutz bieten gegen die Angreifer, die von See kommen würden und der kleine Hafen bot zu wenig Platz um die zwei großen Galeonen, den Handelskreuzer und unsere beschädigten Schiffe rechtzeitig anders zu positionieren.
Wenn wir unsere Haut retten wollten, mussten wir die Schiffe im Hafen zurücklassen, das war wohl unsere einzige Chance.
Schnell raffte jeder ein paar Waffen, zusätzlich zu denen, die er ohnehin bei sich trug zusammen: Pistolen, Entermesser, Handfeuerwaffen unterschiedlicher Kaliber und natürlich landete bei jedem auch ein Teil des Schatzes in den Taschen. Wenn wir es schon erbeutet hatten, wollten wir nun auch mit dem Gold in der Tasche sterben.
Das Astrolabium hatte ich noch immer um meinen Hals hängen. Ich griff noch schnell nach einem Fernrohr aus Hongjoongs Schatz und natürlich meinen Seekarten, die ich immer in einem mit Wachs abgedichteten Bambusrohr aufbewahrte.
Ein grauenhaftes Donnern zerriss die Luft, als ich nach meinem Etui mit den Navigationsinstrumenten griff und das Schiff begann heftig zu schwanken, obwohl wir noch im Hafen vertäut lagen. Der Angriff hatte also begonnen.
Der sichere Anfang vom Ende.
Auch die Niederländer verließen ihre Schiffe. Sie sahen wohl, dass wir Ihnen mit unseren ramponierten Schiffen keine große Stütze sein könnten und wussten ja auch, mit welch prominenten Angreifern wir es hier zu tun hatten.
„Zur Kirche! Den Hügel hoch!", rief der Offizier der Niederländer seinen Leuten zu und wir schlossen uns dem an, da sich dieser Hügel bei unserer Inspektion, als der wehrhafteste Ort der ganzen Insel erwiesen hatte.
Als Hongjoong mit der Horizon in den Hafen einfuhr, lag dieser bereits verlassen da.
Es wäre nun ein Leichtes für ihn und seine Männer gewesen, sich seinen Schatz zurückzuholen und die reiche Fracht der Niederländer zu erbeuten.
Doch das reichte dem König der Piraten nicht. Er wollte seinen Schatz, aber noch mehr dürstete es ihm nach Rache. Rache an denen, die gewagt hatten ihn zu bestehlen und Rache an denen, die gewagt hatten den Dieben Schutz zu bieten und ihnen zu helfen. Er würde mit dem Schatz davon segeln, aber erst wenn jedes Haus, jeder Halm und jeder noch so kleine Kieselstein auf dieser Insel brannte und zwar lichterloh.
Die Piraten stürmten mit brennenden Fackeln an Land und steckten jedes Haus und jede Hütte in Brand. Die Bewohner hatten sich jedoch schon bei den ersten Schlägen der Sturmglocken hinter die dicken Wände ihrer Kirche San Pedro Apostol zurückgezogen. Die Schiffsbesatzungen standen vereint im Schatten der Kirche, deren Glocken noch immer schellten und befüllten emsig die Kanonen.
Wasser wurde aus einem nahen Bach über bereitliegende, ausgehöhlte Baumstämme in Windeseile umgeleitet, sodass dieses nun den steilen Hang hinunterfloss und den Weg in eine lehmige Rutschbahn verwandelte. Die Piraten kamen dadurch auf ihrem Weg durch die Stadt nur langsam voran, sie stürzten in den Matsch, sodass ihre Fackeln erloschen, einige hatten auch das Pech sich selbst daran zu verbrennen. Von oben wurden sie derweil von uns mit Handfeuerwaffen beschossen. Es war ein gewaltiger Kugelhagel. Die Piraten erwiderten das Feuer, da sie jedoch erniedrigt standen, hatten sie die schlechtere Position und viele ihrer Kugeln schlugen nur in den Boden vor unseren Füßen ein oder prallten unter uns am Felsen ab.
Da die acht großen Schiffe, freilich nicht alle in den kleinen Hafen passten, hatten sie davor Anker gelassen und die Besatzungen kamen nun mit kleinen Booten in den Hafen gerudert. Auf Höhe der Hafeneinfahrt wurden sie jedoch, zu meinem Erstaunen, von den zwei Kanonen des Forts sehr treffsicher beschossen, und so konnte tatsächlich das ein oder andere stark bemannte Piratenruderboot versenkt werden.
Dennoch ergoss sich nun ein Strom schwarz gekleideter, entschlossener Mörder und Meuchler in die steilen Straßen des Städtchens und kämpfte sich scheinbar unaufhaltsam nach oben.
Doch so schnell würden wir nicht kapitulieren. Die Kanonen hatten wir längst ausgerichtet und feuerten sie nun direkt auf diese Masse ab. Durch die schmalen Gassen mit den dicht aneinander stehenden Häusern blieb den Piraten keine Möglichkeit zur Flucht.
Jede Kanonenkugel hinterließ eine tödliche Schneise in ihrer Mitte und das Wasser, das den Hang hinunterfloss, färbte sich alsbald tiefrot von ihrem Blut. Die Schreie der Piraten erfüllten die Luft und erschienen mir in den Pausen der Sturmglocke fast lauter als diese.
Ich hatte schon viele Schlachten und Angriffe geschlagen aber so ein Blutbad, hatte ich noch nicht erlebt. Aus einem Nebenanbau der Kirche wurde immer wieder Ladung für die Kanonen herbei geschafft und als die Kugeln sich dem Ende neigten, befüllten wir die Kanonen mit Glasscherben und Bleistücken.
Die Piraten steckten indes fest, sie kamen ob unserer Gegenwehr nicht zu uns hoch und um ihnen her brannte das Feuer, das sie selbst entfacht hatten. Sie konnten nicht zurück. Sie waren gefangen in ihrer eigenen Hölle.
Wir sahen uns schon als sichere Sieger, als Schreie hinter meinem Rücken mich herumfahren ließen. Der Piratenkönig höchstselbst schwang sein Entermesser und metzelte einen unserer Seemänner nach dem anderen nieder, seine Leute gaben ihm Schutz aus ihren Handfeuerwaffen.
Diese unglaubliche Präzision und diese unnachgiebige Brutalität mit denen er in seiner karmesinroten Damastweste mit den dazu passenden Kniehosen und dem mit roten Federn geschmückten Hut sein Messer führte, bei gleichzeitiger Eleganz und Anmut und dieser fast spielerischen Leichtigkeit, der es jedoch nicht an schierer Entschlossenheit mangelte, ließ mich fast staunend zurück, während alle Anderen um mich her nun eiligst Schutz in der Kirche suchten.
Eine weiß behandschuhte Hand in einer dunkelroten Robe zerrte mich schließlich mit und ich vernahm das Näseln des Priesters neben mir: „Signore, wenn's hier draußen bleiben, kann Ihnen auch der allmächtige Vater im Himmel nicht mehr helfen."
Kaum war ich in der Kirche, wurde das große gusseiserne Eingangstor verschlossen und von innen noch ein Gitter herabgelassen. Hätte nicht von der gegenüberliegenden Wand ein ans Kreuz genagelter Jesus auf mich herabgeblickt und sich vor mir endlose Reihen dunkler Holzbänke auf der ganzen Länge des Kirchenschiffs erstreckt, hätte ich meinen können, eine Burg betreten zu haben. Das Einzige, das wahrhaft nicht ins Bild passte, war der Geruch nach Alkohol, der in der Luft lag und den ich hier keineswegs vermutet hätte.
Doch ich hatte keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn der Kampf ging weiter. Die Bewohner der Stadt, die gleich zur Kirche gerannt waren, hatten schon das Pech vorbereitet und gossen es nun durch die Pechnasen auf die unvorbereiteten Angreifer draußen und aus den vielen Schießscharten konnten wir mit unseren Handfeuerwaffen auf die Angreifer zielen, diese jedoch nicht auf uns.
Es war wirklich aussichtslos, aber anders als erwartet nicht für uns, sondern für den Piratenkönig.
Aber er wäre nicht der König der Piraten, wenn er einfach aufgeben würde. Er und seine Männer versuchten, das Tor zu stürmen, und wäre unsere Verteidigung mit dem flüssigen Pech nicht so effektiv gewesen, wäre es Ihnen sicher bald geglückt. Sie gaben dennoch nicht auf. Sie versuchten, mit Seilen und Enterhaken die Mauern zu erklimmen, um vom Dach aus ins Kirchenschiff zu gelangen, doch durch unsere Angriffe durch die Schießscharten, konnten wir dies zum Glück immer wieder verhindern.
Dieser Kampf dauerte gefühlte Stunden. Der nervige Priester begann alsbald ein lautstarkes Gebet in der Kirche, bei dem ich mir am liebsten die Ohren zu gehalten hätte, die Bürger des Städtchens stimmten aber wie aus einem Munde mit ein. Schließlich erwischte auch ich mich dabei, wie ich einige Zeilen mit murmelte, denn so langsam neigte sich unser Vorrat an Pech und Munition seinem Ende.
Als dies nun so weit war, führte uns Don Pedro de Poponza in die Gruft. Ja, wahrscheinlich wäre es besser, es vorher selbst zu beenden, als lebend in die Hände des Piratenkönigs zu fallen, nachdem wir ihm seinen Schatz gestohlen und bestimmt die Hälfte seiner Mannschaft getötet hatten, dachte ich resigniert als ich ihm in den dunklen Raum hinter dem Altar folgte.
Doch Poponza verteilte keinen letzten Segen, sondern öffnete eine Geheimtür hinter zwei alten Grabsteinen, die nur zur Zierde in den Boden eingelassen waren und anstatt alter Gebeine eine Treppe verbargen. In den Fels gehauene Stufen führten steil bergab, Richtung Hafen, wie ich sofort vermutete.
Wir machten uns im Schein zweier Fackeln auf den Weg zurück zu unseren Schiffen. Wir hatten die immense Zahl der Angreifer derart reduziert und geschwächt, dass wir eine Auseinandersetzung auf See nun nicht mehr fürchten mussten und eine Flucht mit dem Schatz wieder möglich erschien. Don Pedro nickte uns zu und schloss schnell die Tür hinter uns und ich schwor mir bei Gott nie wieder ein böses Wort über Spanier zu verlieren.
Oben im Kirchenschiff war es Hongjoong unterdessen gelungen, die Tür und das Gitter zu stürmen. Er und seine Männer drangen in die Kirche vor, doch kaum waren sie alle im Kirchenschiff, wurde die Tür von außen zugeschlagen und Männer der Stadt, die sich bereits wartend auf der Empore positioniert hatten, schossen mit brennenden Pfeilen auf die Piraten und auf die Holzbänke und das hölzerne Inventar in der Kirche, dass sie zuvor mit Alkohol eingerieben hatten.
Und Don Pedro de Poponza stand vorn am Altar und streute roten Pfeffer* in das sich im gesamten Kirchenschiff ausbreitende Feuer. Dann hob er inmitten zündelnder Flammen die Hände, aber nicht zum Segen, sondern für einen Fluch.
Und er sprach mit einer überraschend tiefen Stimme, aus der alles Näseln verschwunden war:
„Selig ist der, dessen Sünden mit ihm sterben. Aber Elend sei der, der seine Seele unter Sünden begräbt. Kim Hongjoong deine Sünden, sind zu groß an der Zahl und zu unermesslich in ihrer Schwere für eine sichere Zuflucht in den Tod. Ich verfluche dich jetzt und bis in alle Ewigkeit:
Sieh auf ewig ohne Ruh,
den wiederkehrenden Wellen zu;
Dass sie brausen und toben bis in die Ewigkeit,
Der Frieden rückt näher mit der Zeit,
töten, rauben und morden sind vergangen
wenn du auf deinem Schiff gefangen,
Frühstens nach 313 Jahren wird Rettung erscheinen,
doch nur, wenn es gelingt, die Magie zu vereinen!"
Und er stieß mit diesen Worten ein teuflisches Kichern aus, als wäre nicht der liebe Gott, sondern Satan persönlich in ihn gefahren.
Seine Augen verdrehten sich nach oben, schweiß rann ihm in Strömen über sein dunkles Antlitz, als er nun von einer Hand am Hals gepackt wurde. Die Kette mit dem diamantbesetzten Kreuz fiel zu Boden, doch in dem verrückten Blick des Priesters, war nur noch das Weiße zu sehen. Kapitän Kim Hongjoong stieß den zuckenden Körper mit einem lauten, von tiefem Zorn erfüllten Schrei in die brennenden Flammen.
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Hey, und ein großes Ahoi an alle Leser, toll das ihr an Bord seid :)
Dieses Kapitel hat leider etwas länger auf sich warten lassen, da es zum einen sehr lang ist und ich zum anderen mit den historischen Kapiteln eh immer etwas länger beschäftigt bin^^°, sorry
Das war nun aber vorerst das letzte historische Kapitel. Wir kennen jetzt die Vorgeschichte (zumindest einen großen Teil von ihr) und werden uns in den folgenden Kapiteln der Gegenwart widmen.
Wer freut sich drauf? (Ich kann es kaum erwarten^^°)
zum Zitat am Anfang: das ist ein Bittbrief der Bürger von Riohacha, Kolumbien, an den könig von Spanien Phiip II, aus dem Jahr 1568 , und ich fande ihn hier ganz passend :)
*bei Flüchen wird wohl roter Pfeffer verwendet um die Wut und den Ärger des Opfers zu verstärken; also wenn man dran glaubt, armer Hongjoong^^°
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