19. Juli 1709: Die Seeschlacht


Wir hatten den Wind mit uns, als wir nun Kurs auf Guam nahmen.

Dennoch wusste nur der Herr im Himmel, ob wir es schaffen würden, unseren, auf Rache sinnenden Verfolgern zu entkommen, oder ob wir hier, ein paar Seemeilen südlich der nördlichen Marianen, unser nasses Grab finden würden.

Unsere Verfolger blieben achtern* eisern auf Kurs.

Jeder Schiffsjunge hätte leicht erkennen können, dass sie schon viele Schiffe erfolgreich gejagt hatten, so mühelos, wie sie Schiffslänge um Schiffslänge auf uns gutmachten. Auch wir waren, bei Gott, keine Anfänger in diesem Metier, verglichen mit Kapitän Hongjoong, musste ich mir jedoch eingestehen, dass ich nicht erfahrener war, als ein Leichtmatrose* auf einem Handelskreuzer.

Ich war mittlerweile stolzer Autor von fünf Büchern, in denen ich die Erlebnisse, Entdeckungen und insbesondere Naturbeobachtungen meiner bisherigen Seereisen aufgezeichnet hatte. Außerdem hatte ich eine Abhandlung über die Wind- und Strömungsverhältnisse auf den Ozeanen verfasst. Dennoch konnte ich den Vergleich mit Kapitän Kim Hongjoong, der mit seinen Kapergeschichten sicher eine ganze Bibliothek füllen könnte, nicht wagen. Sicherlich, er hatte den Ruf, sich die Zeit mit anderen Dingen als dem Schreiben zu vertreiben, hatte er es doch auch gar nicht nötig, Bücher zu verfassen, um sich einen Namen in der Welt zu machen.

Bei ihm verhielten sich die Dinge umgekehrt; sein Ruf eilte ihm voraus und die bloße Erwähnung seines Namens ließ selbst jeden gestanden Seemann wie Espenlaub erzittern.

Wenn nicht gerade mein Leben in so hohem Maße bedroht gewesen wäre, wäre ich fast stolz darauf gewesen, vom Piratenkönig höchstselbst ins Visier genommen worden zu sein. Wenn wir dieses Abenteuer tatsächlich überleben sollten, würde der Bericht über die Begegnung mit dem König der Piraten den Absatz meiner Schriften immens befördern. Mein Name und der Rogers würden zu Legenden werden. Meine Schreibhand juckte erneut bei diesem Gedanken, aber als ich nun beobachten musste, wie sich die Horizon und die Aurora trennten, wusste ich, dass uns nichts Gutes bevorstand. Hongjoong würde versuchen, uns gleichzeitig von backbord und achtern anzugreifen.

Das Ziel war jetzt, es zu vermeiden, dass sie uns ihre Breitseite zudrehen konnten, denn dann würden sie uns aus allen Geschützen befeuern und ich würde meinen Winkelfasser* darauf verwetten, dass sie mehr Geschütze und Munition an Bord hatten, als wir aufbieten konnten. Der Bug und das Heck hingegen waren sicher weniger gut mit Geschützen und Kanonen bestückt.

Auch wir mussten vermeiden, den feindlichen Schiffen unsere Breitseite zu zeigen, denn dann hätten sie mehr Angriffsfläche und wir wären leichter zu treffen.

Doch ich sollte mich von derartigen Überlegungen nicht ablenken lassen. Um die Taktik im Gefecht würde sich Kapitän Rogers kümmern. Meine Aufgabe war die Navigation. Wir mussten Guam ohne Umwege und auf dem schnellsten Wege erreichen, nur dann hätten wir eine Chance.

Rogers war erfahren genug, um zu wissen, wann er welches Manöver zu befehligen hatte, und ich war erfahren genug uns rechtzeitig und sicher nach Guam zu bringen.

Als ich das nächste Mal von meiner Arbeit aufsah, erfasste mich jedoch ein kalter Schauder, als ich sah, wie nah uns die Horizon mittlerweile schon gekommen war. Durch die geöffneten Geschützpforten waren die bronzenen Kanonenläufe deutlich zu erkennen. Wie war das möglich? Wurde sie vom Teufel höchstpersönlich gesteuert oder war der Wind dem Piratenkönig und seiner wilden Rache holder als uns?

Ach, bei Königin Anne *! Ich war noch lebendig und hatte dennoch den Verstand einer Seeleiche am tiefen Meeresgrund! Wie konnten wir das übersehen! Durch den Schatz, den wir an Bord hatten, waren wir viel schwerer als unsere Verfolger, die dadurch leichter aufholen konnten. Sollten wir Teile des Schatzes von Bord werfen?

Nach einer kurzen Unterredung mit Kapitän Rogers befahl dieser unserer Mannschaft sämtliches Mobiliar und Küchengerätschaften, ja sogar Kleidungsstücke, nahezu sämtliche (gerade erst aufgestockten) Vorräte, Fässer und Tiere über Bord zu werfen. Sollten wir Guam lebend erreichen, konnten wir uns dort neue Verpflegung besorgen, andernfalls hätten wir eh keine Verwendung mehr dafür. Die Männer warfen sogar zwei Kanonen über Bord und einen kleinen Teil des Schatzes.

Ich berechnete und korrigierte derweil immer wieder unsere Route und versuchte, alles um mich her auszublenden. Bis mich ein ohrenbetäubendes Donnern aus meiner Navigationsarbeit riss.

Ich wusste, was dieser Lärm bedeutete.

Die Horizon hatte aus ihrem Buggeschütz auf uns gefeuert. Ihr Ziel war unsere achterliche Heckgalerie gewesen, da Rogers dies aber vorausgesehen hatte und wir, durch den abgeworfenen Ballast wendiger, noch rechtzeitig drehen konnten, verfehlte uns das Geschoss ganz knapp.

Kapitän Kim war sich seiner wohl zu sicher gewesen. Zufrieden beugte ich mich wieder über meine Seekarten.

Von der Besatzung an Bord unserer Verfolger war die ganze Zeit über ohnehin nichts zu sehen. Nun, Kim Hongjoong war kein Anfänger, da war jeder Mann an seinem Platz und keiner bot eine unnötige Angriffsfläche. Es war nicht zu erkennen, geschweige denn zu erahnen, was Kim als Nächstes vorhatte. Doch ich würde meine Zeit nicht damit vergeuden, es mir in schaurigen Bildern auszumalen.

Da wir nun leichter und wendiger waren, legten wir glücklichweise an Fahrt zu und näherten uns endlich der Insel. Der Maat im Ausguck, diese Blindschleiche, blieb zwar still und gab auch kein Signal, ich vermutete, er wagte angesichts unserer prominenten Verfolger nicht, auch nur seine Nase einen Millimeter zu weit aus dem Korb zu strecken. Vielleicht dachte er auch, er wäre entbehrlich, da sich die Nacht mittlerweile weit herabgesenkt hatte und der blauschwarze Himmel kaum mehr von der schwarzgrauen See zu unterscheiden war, aber dennoch wusste ich, auch ohne das Signal dieses elenden Nichtsnutzes, dass die Insel in Sicht kam. Die Sterne, die Karten, die Strömungen und der Wind verrieten es mir.

Und Letzterer war es, auf den ich meine Hoffnungen setzte. Letzterer war es, der uns retten würde. Aber noch war es nicht so weit. Wir mussten noch ein Stückchen mehr durchhalten und weiterhin wachsam sein.

Um die Insel Guam herum gab es Untiefen mit Sandbänken und starke Strömungen. Es war hier nicht ungefährlich und wenn man an falscher Stelle der Insel zu nahe kam, konnte man leicht auf Grund laufen. Da ich die Insel von meinen vorherigen Expeditionen kannte und genaue Aufzeichnungen über die Strömungen und Untiefen angefertigt hatte, kam uns dieses Wissen nun zu Gute und wir würden es für uns nutzen können.

Doch auch Kapitän Hongjoong schien um diese Angelegenheiten zu wissen und umschiffte jede Gefahr souverän, jedoch konnten unsere Verfolger durch dieses schwierige Gewässer nun nicht mehr zu uns aufschließen.


Und so war ich erstaunt und auch ein bisschen Stolz darauf, wie weit wir es schon geschafft hatten, bevor uns die erste Kanonenkugel mit einem grässlich lautem Donnern traf. Das hässliche Krachen des berstenden Holzes verriet mir, dass wir dieses Mal tatsächlich getroffen waren.

Es hatte die Heckgalerie erwischt. Sie brannte lichterloh und die gierig züngelnden Flammen, die sich durch das aufwendig verzierte Holz fraßen, erhellten die Nacht. Im Feuerschein sah ich die Küste und obwohl das Feuer in meinem Rücken fauchte und loderte, verlor ich nicht die Hoffnung, im Gegenteil. Ich erkannte im Schein der Flammen, dass wir genau in richtiger Position vor der Küste lagen.

Ich vertraute auf den Wind, nur noch wenige Schiffslängen, dann würde er leicht drehen und auffrischen. Ich war der Autor von A Discourse of Winds.* Ich musste in diesem Punkt Recht behalten. Ich wusste, ich würde mich nicht täuschen.

Unsere Besatzung rannte über das Deck, um das Feuer zu löschen. Darauf hatten Kim Hongjoong und seine Männer nur gewartet, denn nun eröffneten sie einen wahren Kugelhagel, auf den wir unserseits erbittert zu antworten wussten.

Wir konnten froh sein, dass wir Hongjoongs Schatz an Bord hatten, andernfalls hätte uns der Piratenkönig schon lange in den hohen Fluten der Südsee versenkt. Aber dann wäre sein Schatz mit uns in den Tiefen dieses Ozeanes für immer verschwunden.

Die Besatzungen beider Schiffe befeuerten sich nun mit Schusswaffen. Rogers war ein mutiger Kapitän und hatte schon viele Kämpfe auf offener See geführt und auch gewonnen. Als ihn eine Kugel direkt den Kiefer durchbohrte, verließen mich meine Hoffnungen für einen kurzen, aber schrecklichen Moment, doch obgleich Rogers Blut und Zähne auf das Deck spuckte, führte er den Kampf weiter an. *

Wir drehten so, dass der Rauch unserer brennenden Heckgalerie in Richtung der Aurora abzog. Unsere Gegner hatten so erschwerte Sicht auf uns und die Dutchess. Aber die Horizon kam uns nun gefährlich nahe.

Wir mussten unbedingt ein Entern vermeiden, sonst wären wir dem Tode geweiht.

Wenn Kim Hongjoong und seine Männer sich mit Ihren Pistolen und Entermessern auf unser Deck schwingen würden, wäre die Duke in kurzer Zeit bis zum Oberdeck mit unserem Blut gefüllt und besudelt. Wir brauchten mehr Abstand und zwar dringend!

Angstschweiß stand mir auf der Stirn, während ich hinüber zur Insel sah. Es waren doch nur noch ein paar Schiffslängen!

Wir drehten bei und feuerten aus den geöffneten Geschützpforten. Abermals erhellte ein gelbes Leuchten, begleitet von grollendem Donnern, die dunkle See. Die Wellen schäumten und zischten, wenn brennende Schiffsteile oder Geschosse, die ihr Ziel verfehlt hatten, ins Wasser fielen.

Ein Teil unserer Mannschaft hatte das Feuer an Bord unter Kontrolle bringen können und ich konnte unser Glück kaum fassen, als wir mit unserem Beschuss den Mast der Aurora getroffen hatten, denn damit könnten sie uns nun schlechter verfolgen. Wir feuerten noch eine Ladung ab und vollführten dann eine schnelle Wendung, um unseren neuen Vorteil zu nutzen und gleich in die letzten noch fehlenden Schiffslängen umzusetzen.

Die Dutchess war bei diesem Manöver leider nicht so wendig wie wir und als die nächste Ladung, abgefeuert von der Aurora, deren Besatzung, die Schmach, dass wir Ihren Mast getroffen hatten, nicht auf sich sitzen lassen wollte, die Dutchess mit ganzer Wucht traf, war es mehr als fraglich,  ob sie es schaffen würde. Ein Feuer brach auf der steuerbord Seite des Schiffes aus und die Besatzung rannte eilig über das Deck, um das Feuer zu löschen, was sie erneut dem Kugel- und Pfeilhagel der bluthungrigen und nach Rache dürstenden Piraten aussetzte.

Aber auch der Kapitän der Dutchess versuchte es und drehte bei. Denn auch sie wussten, dass wir einer weiteren Konfrontation nicht würden standhalten können. Sie folgten uns achtern.


Wir hatten nach diesem heftigen Gefecht Guam fast erreicht und auch wenn der Hafen nicht sehr groß war, konnten wir darauf hoffen, dort auf befreundete Handels- oder gar Marineschiffe zu treffen, die uns Schutz bieten könnten. Ich war nie sonderlich gläubig gewesen, aber nun betete ich zu Gott, dass dieser auch das Ende unserer Unternehmung segnen würde und wenn schon nicht für mich, dann für die Königin von Großbritannien.

Und endlich war es so weit!

Als wir die Küste, trotz Dunkelheit, schon deutlich vor uns sahen, begann plötzlich ein heftiger Wind von See zu wehen, sodass wir, da wir uns zwischen Hongjoongs Schiffen und der Küste befanden, geradezu gezwungen waren, auf den Hafen auszuweichen.

Kapitän Kim Hongjoong vermutete wahrscheinlich, wir wären vor ihm auf der Flucht.

Aber sobald wir uns im Hafen und in ruhigem Wasser befanden und unsere Schiffe im Wind lagen, kämpften wir mit dem Vorteil auf unserer Seite, sodass sich die Piraten nach einigem Schusswechsel nicht auf einen weiteren Kampf einließen, zumal der Sturm vor dem Hafen immer stärker wurde.

Im Hafen lagen außerdem zwei niederländische Galeonen und ein niederländischer Handelskreuzer, der offenbar von den beiden Galeonen begleitet wurde. Sie hatten wohl ebenfalls auf Ihrer Rückfahrt in die Heimat hier vor den Piraten Schutz gesucht.

Ich musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass der Handelskreuzer wertvolle Fracht an Bord haben musste. Er wurde immerhin von gleich zwei mit Kanonen bestückten Schiffen begleitet und war selbst auch mit Geschützen aufgerüstet worden.

Sollte uns Kim Hongjoong hier weiter angreifen, musste er damit rechnen, dass uns die Niederländer zu Hilfe kamen, nicht weil sie heilige Samariter waren, sondern um ihre eigene Position zu stärken und sich nicht selbst dem sicheren Untergang zu weihen.

Denn wenn Hongjoong  uns hier im Hafen besiegte, würde er als Nächstes die Niederländer angreifen und die wertvolle Fracht des Handelskreuzers würde er sich nicht entgehen lassen.

Durch den Wind und die Schiffe im Hafen war unsere Position also deutlich besser, als auf offener See. Das erkannte auch Kim Hongjoong und zog sich mit der Horizon und der Aurora fürs Erste zurück.

Meine Schreibhand juckte, als ich sah, wie sie beidrehten und sich entfernten. Auch wenn es nur eine Etappe auf dem langen Weg nach Hause war und es nur ein kurzfristiger Sieg gegen den Piratenkönig sein konnte, so war es doch einer, den ich dringend in meinen Tagebüchern festhalten musste, aber erstmal musste ich mich mit unseren Männern um den immer noch lodernden Brand auf der Dutchess und den verwundeten Kapitän Woodes Rogers kümmern.

Die Rauchfahnen der Dutchess stiegen hoch über den Hafen in den Nachthimmel empor und die Flammen ließen es in dem kleinen Hafen taghell werden.

Meine Schreibhand juckte noch immer, aber ich wusste, dass das noch eine lange Nacht für uns werden würde.



Bildquelle: Bild oben von Peter Fischer auf Bild von pixabay.com/de/users/papafox

mittleres Bild: Bild von schaeffler auf pixabay.com/de/users/schaeffler

unteres Bild: Bild von Siggy Nowak auf pixabay.com/de/users/memorycatcher

*Bezeichnung für einen Schiffjungen im 3 Lehrjahr

*achtern=Hier: hinter uns

*Anne Stuart= war von 1702 Königin von England, Schottland und Irland. Durch den Act of Union von 1707 erste Königin von Großbritannien bis 1714.

*Winkelfasser = ein Instrument für die Navigation nach Seekarten

*Kapitän Woodes Rogers wurde bei einer Schlacht in Nähe der Insel Guam gegen spanische Manila-Galeonen tatsächlich mit einem Kieferdurchschuss gefährlich verletzt, setzte den Kampf jedoch fort bis die Spanier ihre Flagge strichen; Quelle dazu : Cordingly, D. (2006). Piraten. Furcht und Schrecken auf den Weltmeeren. Egmont vgs Verlagsgesellschaft Köln.S. 69

*A discourse of winds Werk von William Dampier von 1705


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