[u t o] Sagt mir Bescheid (√)
2014
Eine abendrot-orange-gelbe Straße. Menschen auf dem Heimweg, Kinder rennen in kleinen hastigen glücklichen Schritten. Spätsommerwamer Asphalt, glitzernede Straßenbahnen und Rennräder. Die Bäume der Alée im Sonnenuntergang. Die Stadt ist ein bisschen grauer als gestern, aber immer noch zum größten Teil Orange und Braun und Beige. Vielleicht ist ja auch nur mein Blick grauer.
Eine laute weibliche Stimme reißt mich plötzlich aus meinen eintrübenden Gedanken. Wie eine beste Freundin die dich packt um über eine freie Straße zu euren anderen Freunden oder zu einem freien Platz in einem schönen Café zu rennen, so ziehen ihre Worte mich plötzlich mit. Ich will es nicht, aber das Fallenlassen geht trotzdem schnell. Ich will mich nämlich auch nicht wehren.
Sie hält ein Telefon an ihrem Ohr, ihre Schritte sind schnell, zackig. Ihre langen Haare folgen den Erschütterungen der Eile, ihr Gesicht und ihre Stimme sind ärgerlich und laut.
"Ich hab doch gesagt
ihr sollt mir zeitnah Bescheid sagen,
wenn die Welt untergeht!
...
Nee, ganz ehrlich, was soll das. ... Ja ich komm noch nach. Mir doch egal. ... Boah schön für euch dass ihr einen guten Platz erwischt habt!! ... Oh.. warte - was? Danke, dass ist aber lieb von euch, dass ihr mir einen frei haltet. ... Wie
..
- wie finde ich euch dann? ..."
Sie hielt inne und legte eine Hand auf ihr Handy. Streichelte abwesend nachdenklich über das Display. Dann hielt sie es ganz langsam und vorsichtig wieder an ihr Ohr. Als hätte sie gerade erst abgehoben und hätte Angst vor der Person am anderen Ende der Leitung. Sie schluckte
"Finde ich euch überhaupt noch, bevor die Welt untergeht?"
Sie hörte mit großen Augen und seelenvollem Blick die Antwort an, die ich nie kennen werde. Sie nickte. Dann rannte sie unkooridiniert und hochmotiviert los. Es sah so unvorhergesehen und unpassend, und gerade dadurch irgendwie kraftvoll aus.
Ich saß auf den Treppenstufen, drückte meine letzte Kippe aus und sah ihr lange nach. So lange, bis sie hinten an der Hauptstraße, am Ende der Alée ganz klein geworden war im Abendlicht. Ich achtete bis zur letzten Sekunde nur auf sie, wie sie da rannte und irgendwann verschwand. Erst als sie weg war sah ich wieder auf meine Straße, die Gegend, alles andere, beiläufig. Als wäre ich gerade erst hier angekommen und als wäre es mir gleichzeitig egal. Mir war erst ein bisschen nach Kopfschütteln zumute. Aber dann nickte ich doch anerkennend. Dann kramte ich mein ganzes Drehzeug und mein Feuerzeug aus meiner Bauchtasche und legte beide Zeugs auf das nächstgelegene Fensterbrett neben den Treppenstufen, zum Verschenken. Und dann ging ich zur Haustür, hinein in das Treppenhaus, nach oben, in meine Wohnung, und früh ins Bett.
Denn morgen würde der erste Tag meines Lebens beginnen.
So fühlte es sich zumindest an.
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