[d y s t o] Luxusloft-Luftstrom-Leere
2053
"Hallo Liebling, schön dich wieder zu sehen." sagte Marcin, ohne sich zu ihr umzudrehen. "Wo warst du denn so lange?" Sein breiter muskulöser Körper verdeckte die Herdplatte, an der er gerade das Abendessen kochte. Irgendetwas mit Fenchel und dem neuen Gewürz, da kam letztens ein Paket direkt aus Indien an. Ganz behutsam streute er das dunkelrote Pulver aus seinen Fingerspitzen, der besonders fein gemahlene Teil davon flog in einem nebelartigen Schwaden in der Wärme der Essensdämpfe nach oben. Es sah aus, wie eine kleine Seele, die sich den Weg in die Freiheit suchte um sich in der Luft aufzulösen, eins mit ihr zu werden.
Die App, welche mit dem intelligenten Herd verbunden war, stellte leise piepsend die Temperatur niedriger, ganz von allein. Marcin schwieg, sah auf sein Iphone und schien noch einmal das Rezept zu überfliegen, doch seine Augen lasen gar nicht mit. Es war wie ein Theaterstück. Er nahm noch eine Prise von dem scharfen Gewürz. Lies es wieder ganz sanft niederrieseln. Und noch eine. Und noch eine. Hätte die Koch-App auch das überwachen können, hätte sie schon lange ganz lautstark gepiepst.
Doch stattdessen war da nur die Stille und mitten hinein Marcins scharfsinniges Schweigen. Sie beobachtete ihren Ehemann, der ihr immernoch den Rücken zugedreht hatte, und schluckte. Ihr Blick wanderte automiatisch zu ihrem Spiegel im Flur. Genau genommen war es ein ausgeschaltetes Display. Doch sobald sie es ansah, schaltete es sich ein. Es war auf stumm gestellt, doch registierte sofort in roten Kreisen ihre leicht zerzausten Haare und ihr nicht mehr perfekt sitzendes Makeup. Und ihren erstarrten Blick. Und es registrierte Marcin, welcher nun hinter sie trat. Ohne rote Kreise, makellos.
"In unserem Parter-Wettkampfmodus sind heute noch keine Wert von dir eingetragen.", stellte Marcin nüchtern fest. Das stimmte, ihre intelligente Fitnessmatte mit Touch-Sensorik, die ihre Übungen kontrollierte, zum Beispiel den Winkel ihrer Liegestütze, stand eingerollt und ordentlich in ihrem Zimmer, neben dem Nachtisch mit dem Tageslicht-Wecker und der erinnernden Wasserglas-Station. "Und du warst draußen, aber ich sehe keine Kilometer vom Joggen. Komisch, als wären unsere Apps nicht mehr synchronisiert."
Irgendwie fühlte sie sich gerade auf ganz andere Weise nicht mehr synchronisiert.
"Und unser Spiegel sieht da etwas... was ich auch sehe.". Rote Kreise. Styling-Hinweise.
Unperfektion
Dachte sie, doch das sagte sie nicht.
Untreue
Dachte Marcin, mit Sicherheit. Doch auch er sagte kein Wort.
Natürlich, was sollte er denn bei zerstrubbelten Haaren, verweintem Makeup und dem fehlenden Lächeln auch denken?
Sie machte die Hand zu einer Faust. Die Hand, in der ihr Handy lag. Ihr Handy, das gleichzeitig ihr Kochlehrer, ihr Fitnesscoach, ihr Wohnungs- und Autoschlüssel, ihre Geldbörse, ihre Hauswirtschaft und... ihr Kontakt zu ihrem Ehemann war.
Um diese Faust schloss er jetzt seine große starke Hand. Wie bei Schere-Stein-Papier. Papier wickelt Stein ein. Das scheinbar dünne, leichte, schnell reißende Papier... schlägt den Stein.
Sie saß schon viel zu lange in ihrem wärmegedämmten und schallisolierten Glashaus.
Sie sah auf ihre Schuhspitzen.
Sie dachte an heißen Asphalt und Kinderfüße ohne Schuhe und zerfledderte Fußbälle.
Und an ihre Sucht. Ihre Sucht, die aus der Sucht entstanden war, noch mehr, noch schneller, noch besser Leistung abzuliefern. Drogen können nicht nur Spaß machen, sie können dich auch ernsthaft in der Karriere weiterbringen.
Makeup und ein Lächeln und dein dank Fitnessapp und Kalorienzähler perfekter Körper tun ihr übriges. Du bist musst ja glücklich sein, dend du siehst gut aus, ziemlich attraktiv. Trotzdem bleibst du deinem Ehemann treu. Er ist ein erfolgreicher Mann, du eine erfolgreiche Frau. Ihr seid perfekt. Da kommt eh niemand heran, du bist unannahbar.
Vielleicht, vielleicht umarmst du dich dann selbst nicht mehr. Du verlierst die Nähe zu dir. Vielleicht berührt dich dann gar nichts mehr, bis dir irgendwann eine Träne über dein regungsloses Gesicht läuft, wie der erste Tropfen eines erlösenden Sommergewitters.
Der Stein befreite sich aus dem Papier. Sie ließ ihren Hosentaschen-großen Manager auf den Boden fallen. Sie drehte sich zu ihrem Ehemann um und sah in sein makelloses Gesicht und seinen starren Blick.
Ohja, sie war ihm tatsächlich untreu geworden. Weil sie sich selbst wieder treu geworden war. Der Spiegel sah das, was er auch sieht. Doch das war nichtmal ein Spiegel, das war nur ein Scheißdisplay. Das nicht mehr funktionieren würde, sobald auch nur irgendwo der kleinste Kontakt wackelt. Und Marcin war kein liebender Partner mehr, sondern nur ein kontrollierter Kontrollfreak. Und da bestand schon lange ein Wackelkontakt. Es war mittlerweile mehr als nur ein gefährlicher Balanceakt.
"Und ich sehe was, was du nicht siehst.", sagte sie.
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