Die Elemente
Die Sonne war noch nicht ganz über den Rand des Horizonts gestiegen, als Yososhi ein bitteres Stechen in der Brust verspürte. Der Himmel war wie immer nicht wirklich zu sehen, da das dichte Blättermeer der Baumriesen so gut wie jedes Sonnenlicht zurück hielt. Dennoch erhellte eine gewisse Röte den Wald, deren Ursprung nicht die Morgendämmerung sein konnte. Dafür war das Licht viel zu hell, viel zu bewegt. Der Geruch von Asche stieg ihm in die Nase - ein Geruch den er selbst nur viel zu gut kannte. Er zog die Lippen zu einem Strich und sah sich in dem kleinen Baumhaus, das ein paar Jugendliche vor einigen Jahren hier gebaut und dann vergessen hatten, um. Delichon war nirgendwo in dem spärlich eingerichteten Holzraum zu sehen. Allerdings war das Häuschen durch den vielen Regen inzwischen auch so verzogen, dass sie sich ohne Probleme in einer der vielen Ritzen hätte verstecken können. Er seufzte, ehe er vorsichtig ihren Namen rief und durch den kleinen Raum hinüber zu der Hängematte lief, die in der Mitte des Baumhauses an den zwei Baumstämmen befestigt war, die mitten durch den Raum ragten. Sie war leer, aber damit hatte er bereits gerechnet. Die kleine Mehlschwalbe mochte seine Hängematte nicht. Sie beschwerte sich immer darüber, dass sie nach Sumpfwasser roch und von Motten zerfressen sei. Yososhi hatte das nie wirklich gestört. Sümpfe und Motten gehörten nun einmal zur Natur dazu und waren wesentlich unschädlicher als die Menschen, die gerade dabei waren seinen Teil des Waldes zu roden. Ein Verhalten, das er nie verstanden hatte. Schließlich war der Regenwald, wenn er intakt war, viel fruchtbarer als jedes ihrer niedergebrannten Felder, das sie nur für ein paar Jahre nutzen konnten.
Das Stechen in seiner Brust nahm zu, verstärkte sich zu einem Ziehen und Drücken. Yososhi hatte das Gefühl sein Körper würde jeden Moment zerspringen, wenn es nicht bald aufhörte. Er musste jetzt dringend seinen Seelenvogel finden oder die Situation würde für ihn kein gutes Ende nehmen.
„Delichon!", rief er erneut und zwängte sich durch die kleine, enge Luke im Boden, von der aus eine Strickleiter auf eine winzige Zwischenplattform führte. Diese bot wiederum einer morschen Leiter Halt mit deren Hilfe man auf das schräge Dach des Baumhauses gelangte. Doch auch auf dem Dach war keine Spur von ihr, was ihn allmählich die Geduld verlieren ließ. Wo war sie nur? Sie wusste doch selbst welchen Schmerz ihm das Leid der Pflanzen, die da gerade verbrannt wurden, zufügte. Er gab einen zischenden Laut von sich, während er seinen Blick über das noch ungefähr einen halben Kilometer entfernte brennende Übel gleiten ließ. Er hörte in der Ferne das aufgebrachte Schreien anderer Vögel, das verzweifelte Trampeln der kleinen und großen Waldbewohner und verzog mitleidig das Gesicht bei der Vorstellung wie die meisten von ihnen wohl einfach mit dem Rest des Waldes verbrennen würden. Ein Wissen, dass den Schmerz, der sich nun über seinen gesamten Körper ausbreitete, schier unerträglich machte. Hatten die Brandstifter denn kein schlechtes Gewissen? War ihnen das Schicksal anderer Lebewesen tatsächlich so gleichgültig? Er ballte die Hände zu Fäusten und war sich nicht mehr darüber im Klaren, ob der Schmerz nur noch von dem Leid der Pflanzen herrührte oder ob es seine feurige Wut war, die ihm den Hals zuschnürte. Nicht mehr lange und das Feuer würde auch das Baumhaus erreichen.
Er vernahm hektisches Flügelschlagen aus den Augenwinkeln. Im nächsten Moment landete Delichon auf seiner Schulter und krallte sich nervös in den Stoff seines Mantels.
„Ich bin da, lass uns von hier verschwinden", begrüßte sie ihn bloß, während sie voller Furcht den Flammen ins Auge blickte.
„Wo warst du?", erkundigte sich der Djinn, nachdem er aus dem Baumhaus die Strickleiter herunter geklettert war.
Das Feuer hatte sie erreicht und verschlang mit seinen Flammen hungrig das Holz der Bäume. Hinten waren es nur noch die ab gefällten Baumstämme gewesen, die sie verbrannt hatten, doch wie so oft hatten die Menschen die Kontrolle über das ungehorsame Element verloren, sodass es sich nun auch auf umliegendes Gestrüpp stürzte. Voller Zorn sah Yososhi den Waldarbeitern dabei zu, wie sie aufgebracht mit ihren Händen gestikulierten, in alle Richtungen zeigten und sich schließlich in ihre großen Fahrzeuge setzten, um das Weite zu suchen.
Immer war es das gleiche mit ihnen. Statt für ihren Hochmut gerade zu stehen, flüchteten sie. So würde der Wald wohl auf den Regen warten müssen, um das Feuer zu löschen und den Schaden etwas einzugrenzen.
„Yososhi...", drängte die Mehlschwalbe ungeduldig und hüpfte auf seiner Schulter auf und ab.
Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er in die Knie gezwungen worden war. Der Schmerz ließ seinen Körper taub fühlen und jegliche Kraft hatte ihn verlassen.
„Wie grausam...", flüsterte er in das Rascheln und Zischen der Flammen hinein.
„Wie grausam von ihnen, mich all das sehen und spüren zu lassen, wissend, dass ich nicht befugt bin einzugreifen."
„Bitte lass uns gehen Yososhi. Solange die Götter dir keine anderweitigen Befehle geben, ist es sinnlos sich über sie aufzuregen. Quäl dich nicht länger mit dem Anblick."
Er seufzte tief, ehe er den Blick zum Boden richtete und die Augen schloss. Er lauschte dem feurigen Ungetüm, wie es sich Faser für Faser in das Gehölz der Bäume fraß. Ein Gefühl des Schwindels ließ ihn seine Augen wieder öffnen. Er konnte nur schwerlich mit dieser paradoxen Situation umgehen. Sein eigenes Element, das Feuer welches er so liebte, zerstörte ein anderes seiner Elemente. Beide kämpften bloß um ihr eigenes Überleben. Feuer brauchte nun einmal etwas, was es verbrennen konnte damit es nicht starb, jedoch entzog es damit den Pflanzen ihr leben. Ein Konflikt dieser Art belastete ihn nur unnötig und doch musste er ihn immer wieder aufs Neue ertragen. Er spürte eine ungeheure Wut auf die Götter in sich aufkommen. Auf jene Götter, die ihm dieses Schicksal auferlegt hatten, aber genauso auf die Menschen, die all das zerstörten, was er selbst so sehr liebte.
Die stechenden Kopfschmerzen holten ihn schließlich zurück ins hier und jetzt. Delichon hatte recht. Er musste von hier verschwinden, wenn die Situation nicht so enden sollte, wie beim letzten Mal, wo er selbst mit dem Wald zusammen verbrannt war. Es hatte Tage gedauert sich zu regenerieren und war so Kräftezehrend gewesen, dass Yososhi wochenlang nicht in der Lage gewesen war weitere Strecken zu gehen oder gar Magie zu benutzen.
Mit plötzlicher Eile teleportierte er sie beide wahllos an einen anderen Ort. Er war schon zu geschwächt, um zu koordinieren wohin sie flohen. Noch einmal fraßen sich abscheuliche Schmerzen in seine Glieder. Dann wurde das Rascheln der Flammen gegen laute Motorengeräusche und Sirenen eingetauscht. Sie waren auf einer größeren Straße mitten in einer Großstadt gelandet. In welcher Stadt genau, konnte er nicht feststellen. Städte sahen doch alle irgendwie gleich aus. Dicht besiedelt, wenige Pflanzen und dafür umso mehr Menschen, die wie Ameisen hintereinander her in dieselben Richtungen eilten und einander vor lauter Anonymität nicht mehr sahen.
Eine ganze Weile, blieb er einfach nur dort auf der Straße sitzen, ignorierte all die Autos, die durch ihn und Delichon wie durch Luft fuhren.
„Der Djinn der Elemente wurde von seinen eigenen Elementen vertrieben. Welch eine Ironie", stellte er schließlich fest, ehe er sich langsam und noch etwas wacklig auf die Beine hievte.
„Sag doch sowas nicht", entgegnete sein Seelenvogel, wobei sie sich alle Mühe gab aufmunternd zu klingen.
„Habe ich denn unrecht?"
Yososhi setzte sich in Bewegung. Er wollte runter von dieser Straße. Würde er sich nicht noch immer so schwächlich fühlen, hätte er sich schon längst an einen anderen Ort befördert. Doch es war wie es war und so wanderte er missmutig am Straßenrand entlang und suchte nach jeglichen Orientierungspunkten, die ihm verraten konnten, wo sie sich befanden. Whitehall stand auf einem Straßenschilder. Er lief vorbei am Household Cavalry Museum und am Dover House. Er überlegte angestrengt, wo er diese Namen schon einmal gehört hatte, bis ihm allmählich dämmerte, dass er hier bereits einmal gewesen war. Er musterte die prunkvollen Bauten am Straßenrand, deren Größe mehr als nur beachtlich war. Noch etwas, das Yososhi nie verstanden hatte. Menschen bauten so riesige Gebäude, obwohl sie selbst gar nicht so viel Platz benötigten.
„Ich schätze wir gehen eine alte Freundin besuchen", teilte er der Mehlschwalbe mit, während er sich etwas planlos im Kreis drehte, so als suche er nach etwas, ohne zu wissen, nach was genau.
Letztlich gab er seine Bemühungen auf und folgte weiter dem Bürgersteig, während er die Umgebung nur immer wieder mit Zischen und Kopfschütteln würdigte.
„Eines Tages reiße ich diese und all ihre anderen Städte nieder und gebe der Natur zurück, was die Menschen ihr genommen haben", brummte er nach einer Weile, was der Schwalbe ein kehliges Lachen entlockte.
„Wir wissen beide, dass das unmöglich ist. Samaya ist die Einzige, die das Leben dieser Geschöpfe beenden kann und die Götter würden niemals zulassen, dass du ihnen ihr Spielzeug wegnimmst."
„Abwarten."
Er blieb erneut stehen. Neben ihnen lag ein höheres Gebäude, dass sich zwar nicht in seiner Farbe, wohl aber in seiner Aufmachung von den anderen unterschied. Bunte Blumen ragten um die Tür und am ersten Geschoss hervor und beinahe fand Yososhi gefallen an dem Gebäude, das den Namen The Red Lion trug. Aber die Schönheit eines echten Blumengartens übertraf es bei weitem nicht. Dennoch bog er in die Straße ein, die sich dahinter erstreckte, nur um ein paar Schritte weiter festzustellen, dass es sich um eine Sackgasse handelte. Genervt begann er mit wüsten Flüchen das Gebäudelabyrinth zu verwünschen. Wie sollte sich hier denn irgendjemand zurecht finden?
„Was meinst du mit abwarten?", fragte Delichon von Yososhis Ärger unbeeindruckt.
„Dass es vielleicht auch eine andere Lösung gibt um zu bekommen, was ich will", antwortete er nur und wandte sich um, nur um eine vertraute Persönlichkeit mit schwarzen, wilden Haaren, ebenso schwarzen Augen und Schneeweißer Haut zu erblicken.
Eine Weile starrten sie sich schweigend in die Augen und der Djinn musste sich bemühen, nicht los zu grinsen. Er hatte ganz vergessen was für eine bizarre Erscheinung Pica doch war.
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