Kapitel 75
Der verwirrte Zustand des Dunkelhaarigen hielt noch zwei weitere Tage an. Die meiste Zeit schlief Shota zwar, weil er neben einer Menge Schmerzmittel auch ein paar Behandlungen durch Recovery Girl durchstehen musste, doch wenn er wach war, gab er nur wirres Zeug von sich, und dachte immer noch, dass er und Hizashi selbst noch Jugendliche waren. Seine Gedanken schienen in dem Moment festzuhängen, in dem er Garvey besiegt hatte und der Voicehero wollte seinen Freund nicht mit der Wahrheit überfordern. Er wollte ihm nicht jedes Mal erklären, dass es mehr als ein Jahrzehnt her war und sie ihren besten Freund damals verloren hatten. Stattessen spielte Hizashi mit, schließlich war es auch ein wenig amüsant, Shota so zu erleben.
Das Grinsen des Blondschopfs wurde immer besonders breit, wenn die blassen Wangen des Undergroundheros eine rosarote Färbung annahmen, sobald sie Händchen hielten, oder Yamada ihn vorsichtig auf die Wange oder Stirn küsste. Für Aizawa war es nur schwer vorstellbar, dass Hizashi ihn tatsächlich mehr mögen könnte, als nur als normalen Freund. Doch da er ebenso wenig verstand, wieso er nicht aufstehen durfte, nahm er es einfach hin. Im Augenblick war ohnehin alles ein wenig seltsam und schwer zu realisieren.
Die gesamte Zeit über blieb Yamada bei ihm, und wachte über den Schlafenden, damit er nicht alleine sein musste, wenn er zwischendurch wach wurde. Da er ihm immer wieder erklären musste, wieso er hier lag und nicht aufstehen durfte, wäre es wohl keine gute Idee, einfach zu verschwinden. Jeden Tag kam der Bakusquad zu Besuch und brachte etwas zu Essen vorbei, und leisteten ihm Gesellschaft. Auch Yagi, Eri und Nemuri besuchten ihn. Das kleine Mädchen war entsetzt, als Shota sie nicht erkannte, doch die Erwachsenen erklärten ihr, dass es nur vorübergehend war. Zumindest hofften das alle.
Als der dritte Tag nach dem Unfall anbrach, lag Hizashi auf dem Krankenbett neben Shota. Die Ärzte hatten ihm erlaubt, die Nächte hier zu verbringen, und da der Stuhl furchtbar unbequem wurde, war der Blondschopf nach der letzten Visite zu Aizawa unter die Decke gekrabbelt und hatte sich an ihn angekuschelt. Sein Schlaf war leicht, darauf vorbereitet, jeder Zeit aufzuwachen, sobald er ein Geräusch hörte. Daher schlug er auch prompt die Augen auf, als er leises Grummeln vernahm. „Fuck ... mein Kopf ...", fluchte der Dunkelhaarige verschlafen und stöhnte schmerzerfüllt.
Langsam hoch Hizashi seinen Kopf von Shotas Brust um zu dem Erwachten aufzusehen. Abwartend musterten seine grünen Augen den anderen. Vermutlich musste er gleich wieder davon berichten, dass das Doppeldate gut verlaufen war und ihm erklären, wieso er nicht aufstehen durfte und dass es Oboro gut ging. Die Geschichte hatte Yamada mittlerweile so schön ausgeschmückt, dass er sie selbst fast schon als Wahrheit empfand.
Doch diesmal war es anders. Aizawa lief nicht rot an, als er bemerkte, dass der Blondschopf ihm so nahe war. Stattdessen schien sein Blick sich etwas zu klären und wirkte weitaus weniger verwirrt als am Tag zuvor. „Sind die drei unverletzt?", wollte Shota sofort wissen, als er Yamada neben sich entdeckte.
Erleichtert atmete der Voicehero aus. Allein diese Frage zeigte ihm, dass es dem Verletzten wieder besser ging. Die Verwirrtheit schien sich endlich gelegt zu haben. Das war ein großer Schritt in die richtige Richtung. „Sie sind alle unversehrt", erklärte der Blondschopf, während er sanft lächelte und sich etwas mehr aufrichtete um den andren besser beobachten zu können, „bis auf den riesigen Schrecken, den du uns allen eingejagt hast, geht es uns allen gut." Vorsichtig lehnte er sich nach vorne und küsste den Dunkelhaarigen auf die Wange. „Du warst die letzten Tage nicht ganz bei dir und dachtest, wir wären noch Jugendliche. Erinnerst du dich an etwas?", fragte er vorsichtig.
Nachdenklich runzelte Shota die Stirn, ehe er langsam den Kopf schüttelte und seine Miene verzog. Sein Kopf schmerzte höllisch. Er erinnerte sich an nichts von dem, was Yamada gerade gesagt hatte. „Ich weiß nur noch, dass Eijiro in Gefahr war. Es sollte nicht schon wieder passieren", murmelte Aizawa leise und wich den grünen Augen des anderen aus, „als ich das gesehen habe, war ich nur noch auf Autopilot und bin losgelaufen, ohne nachzudenken. Ich wollte ihn davor beschützen, dass sein Traum so früh endet! Und ich wollte nicht, dass Katsuki und Hanta zusehen müssen und am Ende dasselbe durchmachen wie wir!" Die Geschichte sollte sich einfach nicht wiederholen. Es reichte doch, wenn ein Junge viel zu früh aus dem Leben gerissen wurde, es musste kein zweiter folgen.
Als sich die erste Träne aus Shotas Augenwinkel löste und sich ihren Weg über sein Gesicht nach unten suchte, spürte auch Hizashi, wie seine Augen sich mit der salzigen Flüssigkeit füllten. Dennoch legte er seinen Kopf wieder auf den Brustkorb des anderen Mannes und kuschelte sich an ihn. „Ich weiß, ich hätte vermutlich dasselbe getan", flüsterte Yamada, „aber wenn du gestorben wärst, hätte sie das ebenso traumatisiert, Shota. Es hätte uns alle fertig gemacht!" Es war kein Vorwurf, den er da vorbrachte, sondern er wollte nur, dass Aizawa wusste, dass sein Handeln weitreichende Konsequenzen gehabt hätte.
Ohne zu zögern legte Shota einen seiner Arme um den Blondschopf und den anderen auf seinen Haarschopf, um ihn an sich zu drücken. „Es tut mir leid", entschuldigte er sich aufrichtig, „ich wollte dir nicht wehtun." Vor allem nicht nach dem letzten Wochenende, an dem er noch darüber nachgedacht hatte, sich selbst das Leben zu nehmen. Nachdem er nun jedoch begraben worden war unter all dem Schutt und Geröll, kam es ihm absurd vor, dass er bereit gewesen wäre, sein Leben so leichtfertig wegzuwerfen. „In Zukunft passe ich besser auf", versprach er.
Ein leises Schniefen erklang, während Hizashi sich an dem T-Shirt des anderen festhielt. „Ich dachte ich würde dich verlieren", schluchzte der Blondschopf, „für einen ganz kurzen Augenblick dachte ich sogar, dass du es mit Absicht gemacht hättest, aber als sie mir erzählt haben, was passiert ist ... da wusste ich, dass du ... dass du ..." Ein Schluchzer, der aus seiner Kehle dran, unterbrach ihn mitten im Satz. Er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Auch wenn es ihm ein paar Schmerzen bereitete, drückte Shota den Weinenden fester an sich. „Kurz dachte ich auch, dass ich dich nie wiedersehen würde", gestand der Dunkelhaarige, „du warst das Letzte, woran ich gedacht hatte." Dieses Geständnis färbte seine Wangen dunkel. Irgendwie war es ihm ein bisschen peinlich, das zu zugeben.
Doch es schien zu helfen. Hizashi löste sich ein wenig von ihm, schniefte und sah ihn leicht lächelnd an. Es war eines jener Lächeln, die Shota den Atem raubten. „Der Mann, der mir erklärt hat, dass es Humbug ist, in seinen letzten Momenten sein Leben an einem vorüber ziehen zu sehen, versucht mir gerade zu erklären, dass sein letzter Gedanke, bevor er fast erschlagen wurde, mir galt?", wiederholte der Blondschopf erstaunt, aber ebenso leicht amüsiert.
Sofort wich Shota seinem Blick aus. „Wolke", murmelte er leise. Er wollte nicht weiter darüber sprechen. Es kostete ihm ohnehin bereits Überwindung, es einmal ausgesprochen zu haben.
Yamada lachte kurz und leise, ehe er sich nach vorne lehnte, um Aizawa einen Kuss auf die rosafarbene Wange zu hauchen. „Na gut", meinte er und wischte die nassen Spuren der Tränen aus dem Gesicht des Dunkelhaarigen, „lass uns wann anders darüber reden. Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass du wieder auf die Beine kommst!" Schließlich war es schon einmal ein guter Anfang, dass der Undergroundhero wieder wusste, was passiert war und nicht mehr davon ausging, dass er einen Film verschlafen hatte, den sie nie gesehen hatten. „Wie fühlst du dich?"
Nachdenklich versuchte Aizawa seine Stirn zu runzeln, doch ein pochender Schmerz an den Schläfen hinderte ihn daran. „Wie man sich eben fühlt, wenn man von großen Brocken fast erschlagen wurde", antwortete er.
„Zerquetscht also", scherzte Yamada, was auch Shota ein belustigtes Geräusch entlockte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top