Kapitel 12

(Herzlich Willkommen in der Gefühlsachterbahn. Die Fahrt geht in wenigen Augenblicken los.

Habe ich das jemals gesagt: Ich liebe Drama!
Ist bestimmt auch noch niiiiiie im Leben jemanden aufgefallen bisher. *hust*)


Ausgeruht, jedoch immer noch von leichten Kopfschmerzen gequält, folgte Shota am nächsten Morgen Eri in die Küche. Sie hatte ihm gestern noch etwas vorgelesen aus einem der Bücher, aus dem sie schon viele Worte lesen konnte. Dort, wo sie nicht weiterkam, hatte er ihr auf die Sprünge geholfen, allerdings nur so lange, bis er eingedöst war. Das hatte das Mädchen jedoch kaum gestört. Sie hatte einfach ihre eigene Geschichte weitergedichtet, bis sie selbst eingeschlafen war neben ihn. Als er am Morgen erwacht war, und sie neben sich gefunden hatte, das Buch immer noch leicht in den Händen haltend, musste er schmunzeln. Noch immer begriff er nicht so ganz, wieso Eri gerade ihn auserkoren hatte, sich um sie zu kümmern. Es gab so viele andere im Wohnheim, die nach ihr sehen könnten, während er nur ihr Training übernahm, doch sie vertraute ihm am allermeisten.

Daher musste Shota nun auch mit ihr zum Frühstück erscheinen, um ihr ein gutes Vorbild zu sein. Immerhin wäre es fatal, wenn sie sich abgucken würde, sich nur vor Proteinpäckchen zu ernähren. Auch wenn er sehr viel Nutzen dahinter sah, weil er somit genau wusste, wie viele Kalorien er zu sich nahm und wie viele dieser geleeartigen Dinger er aussaugen musste, war es kein Nahrungsmittel für ein Kind, das sich noch im Wachstum befand. Sie brauchte ausreichend Vitamine und all den anderen Kram, den man aus gesundem Essen aufnehmen konnte. Also musste er ihr an dieser Stelle ein Vorbild sein, solange sie hier war, auch wenn es ihm zuwider war. Im Moment fühlte er sich nicht in der richtigen Verfassung, auf gutgelaunte Morgenmenschen zu treffen. Aber wann war das jemals der Fall bei ihm.

Er wusste gar nicht, wie spät es war, doch als sie die Küche betraten, war niemand anwesend. Zumindest wirkte es auf den ersten Blick so. Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte Shota den Blondschopf, der müde an der Küchentheke stand, und sich Kaffee eingoss. „Guten Morgen, Onkel Hizashi!", grüßte Eri freudig und machte somit auf sie beide aufmerksam.

Erschrocken darüber, nicht mehr allein zu sein, zuckte der Blondschopf kurz zusammen, ehe er sich mahnte, ein Lächeln aufzusetzen. „Morgen, ihr zwei", erwiderte er ihren Gruß und sah kurz zu Shota, „geht's dir wieder besser?" Aufmerksam musterte er seinen Kumpel ein wenig. Er sah ein wenig schmaler aus als sonst, aber ausgeruhter.

„Besser als letzte Woche auf jeden Fall", erklärte Aizawa und rieb sich die Stirn. Kopfschmerzen zählten bei ihm ja ohnehin zu seinem persönlichen Inventar, weswegen er sie gar nicht mehr erwähnte.

„War wohl einer der stärkeren Viren, den du dir eingefangen hattest", seufzte Hizashi und öffnete den Kühlschrank kurz, sah danach in einen Schrank, der sich daneben befand, um nach Essbarem zu suchen. „Müsli, Eier oder Toast?", fragte er an die anderen beiden gewandt. Für gewöhnlich waren weder Yamada noch Aizawa große Frühstücker, aber da Eri bei ihnen war, wollte keiner ein schlechtes Vorbild abgeben. Auch wenn das, was ihnen zur Verfügung stand, auch nicht sonderlich gehaltvoll war. Außerdem war es dem Blondschopf im Moment ein besonderes Anliegen, dass Shota etwas zu sich nahm. Wer krank war, brauchte anschließend immerhin wieder die nötigen Kräfte, wieder voll und ganz auf die Beine zu kommen.

Beide überließen jedoch Eri die Entscheidung, welches Frühstück sie heute wählen wollte. Irgendwer musste später dringend einkaufen gehen, um die Vorräte im Lehrerwohnheim wieder aufzustocken. Auch wenn sie immer alle in der Cafeteria aßen und von Lunch Rush bekocht wurden, gab es in den Wohnheimen Küchen, damit man sich ständig selbst versorgen konnte. Ab und an kam das auch vor, vor allem am Wochenende. Vorausgesetzt es war etwas da, um es zu verkochen. Angestrengt runzelte das Mädchen die Stirn, während es nachdachte. „Eier oder Toast ...", meinte sie schließlich etwas kleinlaut.

„Hm, das klingt ganz danach, als ob da jemand gerne beides hätte, und sich nicht entscheiden kann", stellte Yamada schief lächelnd fest und sah zu Shota, „was sagst du? Eier und Toast?" Vermutlich war es gemein von ihm gewesen, Eri vor so eine schwierige Wahl zu stellen. Immerhin hätte er ihr auch erklären können, dass sie alle drei Sachen haben konnte, wenn sie Lust dazu hatte.

Shota nickte nur. „Ich mach die Eier und du den Toast", teilte der Dunkelhaarige sofort die Arbeit auf. Kurz darauf begann er damit, seine langen Haare hochzunehmen und mit einem Zopfband, das er am Handgelenk hatte, zusammenzubinden. Dass Hizashi ihm dabei genau zusah, bemerkte er nicht. Viel zu sehr konzentrierte er sich darauf, nach einer Pfanne zu suchen. „Rühr- oder Spiegelei?", wollte er von den beiden wissen.

„Spiegelei!", antwortete Eri sofort, während Hizashi kaum merklich zusammenzuckte, weil der Anblick von Shotas Nacken ihn etwas hatte abdriften lassen. Also pflichtete er dem Kind bei, ehe er sich abwandte und die Sachen für Toast zusammen suchte. Er hatte Glück, dass Aizawa nichts davon bemerkte, und gar nicht erst wusste, was seine Schüler zu Tage befördert hatte. Sonst wäre der Dunkelhaarige wohl kaum so ruhig und gelassen. Wenn das so weiterging und Yamada sich von einfachen Tätigkeiten des anderen so ablenken ließ, konnte er sein Geheimnis wohl kaum mehr länger für sich behalten. Vermutlich war es besser, wenn er dem anderen erst einmal aus dem Weg gehen würde. Nur solange, bis er mit Nemuri endlich einen richtigen Plan ausgearbeitet hatte, der nicht darauf hinaus lief, Shota zu verschrecken.

Kurzzeitig kehrte etwas Stille ein, während nur das Brutzeln der Eier in der Pfanne zu hören war und die Geräusche, die Hizashi verursachte. Für Eri und Shota war es tatsächlich eine recht angenehme Stille, während es für Yamada allerdings die Hölle war. Ständig kreisten seine Gedanken, sodass er sich von Aizawa abwenden musste, um sich zu konzentrieren. Wie hätte er annehmen können, dass es einfach werden würde? Nur zu gerne wäre er an den anderen herangetreten, hätte ihn darauf angesprochen, doch er wusste, dass Aizawa nur dicht machen und das Weite suchen würde. Was sollte er überhaupt sagen? So ganz wusste Yamada es nicht. Immerhin wollte er weder darüber nachdenken, noch sie überhaupt zu viele Gedanken darüber machen. Es bestand schließlich die Möglichkeit, dass Shota diese Gefühle längst vergessen oder gar verloren hatte. Am Ende würde sich Hizashi damit nur ins eigene Fleisch schneiden.

Während die beiden beschäftigt waren, begann Eri einstweilen damit, den Tisch zu decken, um nicht untätig herumzustehen und den beiden bei der Arbeit zuzusehen, die sie nun wegen ihr hatten. Da sie damit allerdings schneller als gedacht fertig war, gesellte sie sich wieder zu den beiden Männern und beobachtete aufmerksam ihre Handgriffe, bis ihr plötzlich etwas in den Sinn kam. „Ist denn jetzt alles wieder in Ordnung bei dir, Onkel Hizashi?", fragte sie aus heiterem Himmel, was den Blondschopf überrascht zusammenzucken ließ.

„Wie? Was meinst du?", fragte er, ehe er am liebsten selbst eine Ohrfeige verpasst hätte. Er hätte sie nicht dazu ermutigen sollen, irgendetwas weiter zu erläutern. Sie war mit im Wohnheim der A-Klasse gewesen und hatte mitbekommen, dass er rausgestürmt war, und später mit Nemuri zurückgekommen war, um die Klasse zu mahnen. Vielleicht hätte er auch daran denken müssen, ihr zu sagen, dass sie darüber kein Wort an Aizawa verlieren durfte. Doch wie erklärte man das einem Kind, ohne weitere Fragen aufzuwerfen? Außerdem hatte er gehofft, dass sie es zum einen nicht wirklich mitbekommen hatte und zum anderen schon wieder vollkommen vergessen würde. „Alles bestens, wirklich", fügte er schnell an, und hoffte, dass ihre Neugierde damit gestillt war. Natürlich war es süß von ihr, sich nach ihm zu erkundigen, aber es war der falsche Augenblick.

„Achja ...", fiel nun auch Shota wieder etwas ein, und er setzte ein verschmitztes Lächeln auf, „erklär mir doch, wieso unser altes Jahrbuch dich zum Davonlaufen bringt und wer in wen verknallt sein soll?" Auch wenn er weiter darüber nachgedacht hatte, hatten Eris Erzählungen keinen Sinn ergeben. Stattdessen war es wohl besser jemanden danach zu fragen, der aktiv am Gespräch beteiligt war, das das Mädchen belauscht hatte. Belustigt sah der Dunkelhaarige auf. Für gewöhnlich interessierte ihn der Klatsch und Tratsch seiner Klasse nicht, aber wenn sogar Yamada involviert war, dann musste es irgendwie interessant sein

Hizashi war angelaufen wie eine Tomate und wich seinem Blick aus. „Es war nichts", murmelte der Blondschopf verlegen und versuchte hastig mit ein paar Handgriffen den Toast fertig zu machen, befüllte zwei Teller mit seinen Kreationen und stellte sie auf den Tisch, „lasst es euch schmecken." Kaum hatte er das gesagt, wandte er sich der Tür zu und wollte möglichst schnell viel Abstand zwischen sich und dem anderen bringen. Im Moment war er einfach nicht in Stimmung für solche Gespräche. Allein der Gedanke daran, raubte ihm die Luft zum Atmen. Er war nicht bereit, noch nicht, und er war sich sicher, dass Shota es ebenfalls nicht war, wenn er erst einmal herausfand, worum es eigentlich ging.

Doch er kam nicht weit. Schneller als er erwartet hatte, war Aizawa bei ihm und hatte ihn am Arm gepackt. „Hey, was ist denn los? Ich dachte wir frühstücken gemeinsam", merkte er an und musterte seinen ehemaligen Schulkollegen besorgt. Es war doch nur eine dumme Frage gewesen, die er gestellt hatte. Kein Grund, gleich reiß aus zu nehmen. Hizashi wollte sich jedoch losreißen und konnte ihm nicht einmal in die Augen sehen. „Sprich mit mir, was ist los?" Auch wenn Shota selbst wusste, dass er nicht für jedes Thema der ideale Gesprächspartner war, so wusste Yamada doch, dass er ihm immer zu hören würde, auch wenn er sich oft genervt gab.

Seufzend hielt der Blondschopf inne. „Ich weiß nicht, ob es der richtige Zeitpunkt wäre, mir dir darüber zu reden ...", meinte er bitter klingend, „geschweige denn, ob es denn je geben wird." Shota war kein gefühlsvoller Mensch. Manche Emotionen waren ihm sogar oft sehr fremd, zumindest kam es Hizashi so vor. Vor allem solche Sachen, wie er mit ihm besprechen wollte, würde er wohl niemals begreifen können. Er redete es sich zumindest ein.

Diese Worte ließen den Dunkelhaarigen nur noch besorgter werden. „Haben die Problemkinder dir irgendetwas angetan? Ich schmeiße sie alle von der Schule", versicherte Shota ihm. Was war nur vorgefallen, während er in der Krankenstation gelegen hatte, dass Hizashi so durcheinander gebracht hatte? So kannte Aizawa den sonst stets gut gelaunten Present Mic gar nicht.

Nervös lachte Hizashi auf. „Wenn du nur wüsstest ..." Würde er ohnehin alle ohne Gnade von der Schule verweisen, da war sich der Blonde ziemlich sicher. Immerhin hatten sie tief in seiner Vergangenheit gegraben und schlafende Hunde geweckt. Aber Yamada würde das einfach ausbaden, bis es sich wieder schlafen legte. Shota musste gar nichts davon erfahren. Zumindest hatte Kayama ihm dazu geraten.

Er wollte es jedoch. „Wenn du weiterhin etwas vor mir verheimlichst, werde ich sie sofort rauswerfen, Hizashi. Was haben sie dir angetan?" Seine Worte klangen so fordernd, dass Eri schuldbewusst zusammenzuckte. Es war ihre Schuld, sie hatte Aizawa erzählt, dass etwas vorgefallen war. Hätte sie das nicht getan, dann gäbe es jetzt keinen Streit. Tränen sammelten sich in ihren Augen, und sie begann laut zu schniefen, was die Aufmerksam beider Männer auf sie lenkte. Sofort ließ Shota den Blondschopf los, um Eri in den Arm zu nehmen. „Hey, was ist denn mit dir jetzt los?", fragte er und versuchte zu verbergen, dass ihn die Lage allmählich überforderte. Irgendetwas war im Busch und man wollte ihn nicht einweihen.

„Ich bin schuld, dass ihr streitet", schniefte das Mädchen und rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Tränen liefen über ihre Wangen. Das hatte sie nicht gewollt. Immer machte sie alles kaputt, sie war wie ein Fluch.

Kurz dachte Hizashi darüber nach, diese Möglichkeit zu nutzen, um abzuhauen. Doch das wäre nicht fair gegenüber dem kleinen Kind, das ohnehin schon so unsicher war, seit sie zu ihnen gezogen war. Man hatte ihr bisher übel mitgespielt, und es wäre unschön, wenn er es weiterführen würde. Also ging er neben Shota in die Hocke, der Eri an sich gedrückt hatte, und ihr tröstend über den Rücken strich. „Wir streiten nicht, little Listener", versprach Yamada der Kleinen und tätschelte ihren Kopf.

„Und du hast auch an nichts Schuld, wirklich nicht", versicherte Shota ihr und versuchte sie weiter zu trösten. Irgendetwas schien Aizawa verpasst zu haben. Alle reagierten über, aber weswegen? Was hatte seine furchtbare Klasse diesmal angestellt? „Schuld haben nur die Problemkinder ...", seufzte Shota schließlich und ließ das Mädchen los, „dafür werde ich sie bestrafen." Er würde sofort zu Nedzu gehen und nach den nötigen Papieren fragen, um die gesamte 1A rauszuwerfen. Damit würde er wohl oder übel eine Menge Freizeit bis zum Ende des Jahres bekommen, allerdings war es notwendig. Wegen ihnen war Hizashi durch den Wind, und wegen ihnen hatte Eri geweint. Nachsitzen würde als Strafe einfach nicht reichen.

„Das darfst du nicht ...", entkam es Hizashi sofort, als er das hörte, ehe er sich auf die Lippe biss und unsicher zur Seite sah. Er hasste es, wenn er gezwungen wurde, über etwas zu sprechen, wozu er noch nicht bereit war. Doch es blieb ihm nichts anderes über, um die Schüler vor Shotas Zorn zu wahren. Wobei es auch mit der Wahrheit nicht besser werden würde. Immerhin hatten die Kinder ihre Nasen in Angelegenheiten gesteckt, die sie nichts angingen.

Verständnislos sah der Dunkelhaarige zu ihm hinüber. „Dann sag mir endlich, was sie angestellt haben!", bat er erneut, jedoch diesmal weniger barsch. Eri beruhigte sich langsam wieder, also sollte er es nicht wieder schlimmer machen. Auch wenn Shota für gewöhnlich kein übermäßig neugieriger Mensch war, brannte er darauf die Antwort auf seine Frage zu erfahren. Was hatte er verpasst?

Der Blondschopf holte tief Luft und schloss kurz die Augen. Er musste sich kurz sammeln. „Als sie dich zu Recovery Girl gebracht haben, hattest du bereits sehr hohes Fieber und das hat dazu geführt, dass du Tenya mit Tensei verwechselt hast", begann der blasse Mann zu sprechen und behielt die Augen zu, „du hast dich bei ihm entschuldigt, dass du ihm nicht helfen kannst, um bei Nemuri zu landen, weil du es jemand andren versprochen hast, der dir im Gegenzug helfen wollte. Deine Schüler fühlten sich dadurch angestachelt, weil sie neugierig wurden und wissen wollten, in wen ein junger Aizawa verliebt gewesen ist."

Shota lauschte seinen Worten und wurde ebenso bleich. Alles, woran er sich an jenen Tag vor einer Woche erinnern konnte, waren die Kopfschmerzen und die Übelkeit. Er wusste nur noch, dass ihm so schlecht gewesen war, dass er Iida fast auf die Schuhe gekotzt hätte, was er schließlich später auch getan hatte, nur waren unbeabsichtigt Hizashis Schuhe das Ziel dafür geworden. Vermutlich hatte er es auch bereits verdrängt, was er von sich gegeben hatte. Er erinnerte sich an gar nichts mehr. Auch wenn er versichert hatte, dass es ihm gut ginge, war es ihm damals wirklich dreckig gegangen. Ebenso konnte er im Moment nicht leugnen, dass erneut Übelkeit in ihm aufstieg und er nicht sicher war, ob er wirklich erfahren wollte, wie diese Geschichte weiterging.

Da Hizashi nun in Fahrt war, fuhr er ohne zu stocken fort. „Zuerst dachten sie wohl, dass ich in Nemuri verknallt war, aber nach einem Besuch bei Tensei haben sie von ... ihm erfahren. Aber er hat ihnen nicht mehr erzählt, nur dass du einen Pakt mit ihm hattest. Durch das Jahrbuch und Nemuri haben sie herausgefunden, dass es sich dabei allerdings um eine Sackgasse handelt." Er wagte es nicht, seinen Namen auszusprechen. Nicht vor Shota. Er wusste, dass der Dunkelhaarige es nicht ertrug, ihn zu hören. Aber ebenso wenig wagte er es, ihn anzusehen. Seine Augen blieben noch immer geschlossen. Jetzt kam immerhin der kniffligste Teil. „Ich wusste nicht, dass du mit ihm einen Pakt hattest, weil er auf Kayama stand. Damals dachte ich, dass du mit Nemuri zusammen wärst ... oh ich war so eifersüchtig auf sie! Und als mir das klar wurde vor ein paar Tagen ... da ... da ..." Er wusste nicht weiter. Hizashi war an einen Punkt in der Geschichte angelangt, in der er nicht weiter wusste. Vorsichtig öffnete er die Augen, sah zu dem Dunkelhaarigen, der genauso wie er noch immer am Boden hockte und Eri in seinen Armen hielt.

Eine Träne löste sich aus Hizashis Augenwinkeln, während Shota ihn ansah, ob er ein Geist wäre. „Du ... du dachtest ...", gab Aizawa fast tonlos und abgehakt von sich, doch er verstummte sofort wieder. Ohne es bewusst bemerkt zu haben, hatte der Dunkelhaarige das Mädchen fester an sich gedrückt, als ob er sich an ihr festhalten würde. Irgendwie belustigte ihn der Gedanke daran, dass wirklich jemand denken konnte, er hätte etwas mit Nemuri gehabt. Viel wichtiger war allerdings der Rest von dem, was Hizashi erzählt hatte. Eigentlich sollte er wütend sein auf seinen Schüler, dass sie herumgeschnüffelt hatten und seine Freunde und Bekannten belästigten, nur weil sie neugierig waren. Doch nachdem der Blondschopf meinte, er wäre eifersüchtig gewesen, weil er Shota mit Kayama gesehen hatte, war die Wut in seiner Brust verpufft. „Wieso ...?", war das einzige Wort, das ihm über die Lippen kam.

Tief Luftholend, versuchte er die Tränen wegzublinzeln, bevor Hizashi den Mut zusammennahm, den er die letzten Tage versucht hatte, zu finden. „Weil ich verliebt in dich war ...", brachte er über seine Lippen, „ich war blind, so verdammt blind, Sho, und das tut mir leid! Aber wieso hast du denn nie etwas gesagt?" Obwohl man es nicht glauben konnte, hatte Yamada es satt zu sprechen und wollte, dass Shota endlich mehr von sich gab, als nur ein paar Worte. Jetzt war der Moment, in dem er so vieles aussprechen konnte, was die letzten Jahre begraben unter ihrer Trauer verborgen geblieben war. Der Blonde musste es hören. Nur so würde der stechende Schmerz aufhören, der sich durch sein Herz bohrte.

In Shotas Gedanken überschlug sich alles. Plötzlich ergaben Eris wirre Erzählungen von gestern einen Sinn. Der Pakt mit dem Doppeldate. Er hätte Nemuri dazu überreden sollen mit ihm auszugehen und er hätte im Gegensatz Hizashi dazu überredet, den Abend mit Shota zu verbringen. Am Ende hätten sie als zwei Pärchen aus diesem Abend hervorgehen sollen. Es war alles so simpel, dass es gar nicht scheitern konnte. Dennoch war es passiert. Nachdem Oboro tags darauf getötet wurde, war Aizawas Welt eingestürzt. Er hatte sich zurückgezogen und wollte nie wieder über Dates oder ähnliches Nachdenken. Niemand sollte je wieder in sein Herz dürfen, nur damit er nie wieder verletzt wurde, und niemand um ihn herum sterben konnte, weil er nicht fähig war, ihn zu beschützen. Er hatte versagt und sein Freund musste sterben. Wie sollte er dann weiterhin an solche banalen Dinge denken? Das Training war viel wichtiger gewesen.

Nun erneut damit konfrontiert zu werden, brachte ihn jedoch aus dem Konzept. Shota hatte nie wieder darüber nachgedacht, und ständig versucht, Hizashi und auch Nemuri aus seinem Leben zu streichen. Zu ihrem eigenen Schutz. Doch sie wollten nicht von seiner Seite weichen, blieben ständig bei ihm, und wurden schließlich beide seine besten Freunde. Beste Freunde. Mehr nicht. Doch er konnte nicht leugnen, dass er sich nie wirklich dagegen gewehrt hatte, dass Hizashi an seiner Seite war, oder er ihn irgendwohin mitschleifte, um Zeit mit ihm zu verbringen. Er half ihm sogar wunderbar mit Eri, ohne darum gebeten worden zu sein. Hizashi war ständig hier, ständig bei ihm. Hatte sich auch um ihn gekümmert, nachdem der Nomu sein Gesicht und seine Arme zertrümmert hatte und er eine Menge Hilfe brauchte. Yamada hatte sich rührend um ihn gekümmert, ohne dass er ihn darum bitten musste.

Erwartungsvoll sah der Voicehero ihn an, doch Shota brachte kein Wort über seine Lippen. Er schien im Gedanken meilenweit weg zu sein. Dieser Umstand führte dazu, dass noch mehr Tränen über Hizashis Wange liefen. Dieses Schweigen tat mehr weh, als die paar Worte zuvor. Wenn er wenigstens sagen könnte, dass er nun nichts mehr für ihn empfand, damit er damit abschließen konnte. Doch stattdessen strafte Shota ihn mit Schweigen. Sollte er noch etwas sagen? Konnte er irgendetwas sagen, um Aizawa aus seiner Starre zu lösen? „Sprich mit mir ... bitte ... Shota ... ich muss es wissen: Empfindest du noch etwas für mich?" Die letzten Tage hatte er nachgedacht, wie es in ihm aussah, aber er wollte zuerst wissen, wie es Shota sah. Er musste einfach.

Verwundert sah Eri zwischen den beiden Erwachsenen hin und her, weil sie nicht ganz verstand, was genau los war. Sie bemerkte nur, dass beide etwas belastete. Gerade eben noch, hatte sie geweint, doch nun waren es die beiden Männer, die Tränen in den Augen hatten. Unsicher darüber, was sie tun sollte, streckte sie ihre Finger nach Aizawas Wange aus, um eine Träne wegzuwischen, die sich ihren Weg nach unten gebahnt hatte. Es war ungewohnt für sie, ihn weinen zu sehen. Bisher war das noch nie vorgekommen.

Mit ihrer Berührung löste sie Shota jedoch aus seiner Starre und holte ihn zurück aus den Untiefen seiner Gedanken. „Ich ... ich ...", stammelte er, unfähig in Worte zu fassen, wie er sich fühlte. Eigentlich hatte er darauf gar keine Antwort. Er wusste es nicht. Es war unfair von Hizashi ihm vollkommen unvorbereitet so eine Frage zu stellen. Shota machte sich nie viele Gedanken über Gefühle, weil es sinnlos war und wertvolle Zeit verschwendete. Nicht umsonst hatte er seine Gefühle für Yamada unter den Trümmern begraben, unter denen auch Shirakumo zerquetscht worden war. Nun sollte er all das wieder ausgraben? Nein. „Ich kann nicht ...", vollendete er den Satz und sprang auf, ehe er aus der Küche stürmte, vorbei an Toshinori, der gerade ebenso auf dem Weg zum Frühstück war und ihm verwirrt nachblickte.

„Was ist denn passiert?", fragte der ehemalige Profiheld, als er seinen jüngeren Kollegen und Eri am Boden hockend vorfand, „hat Shota gerade etwa geweint?" Vielleicht hatte es ja nur so ausgesehen und er hatte in Wirklichkeit irgendetwas ins Auge bekommen. Das würde immerhin sehr viel mehr Sinn ergeben, wenn man bedachte, wer gerade an ihm vorbeigehuscht war.

Doch als Eri nickte und plötzlich ihre Arme um Yamadas Hals schlang, war Yagi verwirrt. „Onkel Hizashi weint auch", meinte sie nur, während der Blondschopf sein Gesicht in ihrer viel zu schmalen Schulter vergrub. Wie hätte Yamada auch annehmen können, dass so ein Gespräch mit Shota anders verlaufen hätte können.

Plötzlich schlüpfte eine weitere Person an Toshinori vorbei und nahm den Blonden am Boden in den Arm, zog ihn hoch und bugsierte ihn auf einen Stuhl. „So viel zum Thema, erstmal noch zu warten und langsam vorzufühlen", seufzte Nemuri und wies ihren älteren Kollegen, der noch immer an der Tür stand an, dem Häufchen Elend etwas zu trinken zu bringen, während sie für Eri das Frühstück auf den Tisch stellte und auch vor Hizashi einen Teller platzierte.

„Was ist passiert?", wiederholte Yagi seine Frage und goss auch für sich und Nemuri jeweils eine Tasse Kaffee ein. Er verstand noch immer nicht, was gerade passiert war. Solange er hier war, hatte er noch nie erlebt, dass einer seiner Kollegen irgendwelche Tränen vergoss.

„Das ist eine verdammt lange Geschichte ...", seufzte Nemuri schwer und tätschelte tröstend Hizashis Arm. „Lass mich raten, du hast ihn gefragt, ob er noch etwas für dich empfindet?", wollte sie von dem niedergeschlagen dreinblickenden Blondschopf wissen, der langsam nickte, „oh, Zashi ..." Kein Wunder, dass Shota davongelaufen war. Er hatte sich bestimmt in die Enge getrieben gefühlt.

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