10| Einsamkeit ist ein seltsames Monster

(rechte des Bildes liegen bei mir)

10. August X742
19:00 Uhr

Alte Last mag auch dich befallen,
ich hör bereits deine Schreie hallen.
Schon damals, glaub bloß nicht ich erinnere mich nicht, du warst ihre Nemesis, ihr Untergang, doch nun ... ja was bist du jetzt?
Siehst du die Augen? Hörst du das Gerede?
Selbst ich höre noch das Flüstern des Phönix' und ich kannte ihn nicht einmal persönlich.
Das Blut in meinem Körper reagiert auf deinen alten Charakter als Todesbringer.
Vom Hass getrieben, dein Weg verschleiert, stets ein Kind des Mondes, bringst Verderben wie der Springer.
Auf einem großen Feld, Tag-aus Tag-ein.
Die Seele bloß und abgebrannt.
Das Feuer deines Freundes, seine ganze Seele,
doch nun ist es wiedergeboren in dir. Dem müden Herz eines Mondkindes mit niedergelegtem Oberbefehle.

~ Macbeth Bahamut Rinoa

Der Stift in seiner Hand schwenkte immer wieder auf und ab; sich wie bei einer Wippe auf seinem Zeigefinger abrollend.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen laß Macbeth immer wieder über den soeben verfassten Text, der ihm trotz der mit zig Farben gemachten Notizen und vorgenommenen Korrekturen noch immer nicht zusagte.
»Das klingt viel zu anklagend...«
Mit einem lauten Seufzen legte er sich neben seinem Blatt auf den angewinkelten Arm und holte ein weiteres Blatt hervor.
Doch schrieb er anfangs noch nichts und Ideenlos frustrierte dieser Anblick des reinen Weiß ihn nur, also wandte er den Blick ab; die verrutschte Lesebrille ignorierend.

Jetzt gerade hatte er nicht wirklich etwas zu tun, jegliche Pläne und die Zwischenschritte bis zur Ausführung waren weitergegeben, erste Ziele waren tot und die Person, die er bis hier hin beobachtet hatte, wurde gerade von seinem Patenonkel versteckt und verweilte irgendwo in einem Schenkenzimmer.

Bernstein traf auf schwarzes Büffelhorn, als er in die Knopfaugen einer verwaschenen und mit Nieten überzogenen Plüschschildkröte sah, die  etwas über seinem  Schreibmaterial saß.
Macbeth streckte seine freie Hand aus und fuhr über das schiefe Lächeln, das seine Mutter per Hand eingenäht hatte.
Denn auch wenn sie einst als General in der Armee gedient hatte, so hatte sie doch jede freie Minute mit ihm verbracht, ungeachtet der eigenen Müdigkeit. Als sie das erste Mal nach seiner Geburt absehen konnte, dass sie länger abwesend sein würde, hatte sie sich mehrere Nächte lang im bloßen Kerzenschein hingesetzt, um ihm eine Trost oder Komfort Figur zusammen zu basteln. Seine Besessenheit für Schildkröten diente dabei als Inspiration.

Sein Mundwinkel zuckte leicht nach oben; und egal wie klein diese Regung auch war, so war sie doch ehrlich genug, um seine Augen zu erreichen.
Vor ihrem Verschwinden hatte sie ihm viele seiner von Herzen kommenden Wünsche erfüllt und ihm alles positive gewünscht, was sie ihm nicht geben konnte.
Jetzt, wo so viel Zeit vergangen war, wünschte er selbst einfach nur die Zeit zurück zu drehen, um ihr klar zu machen, dass sie ihn hätte mitnehmen sollen.

Seine Augen weiteten sich ein Stück und er fuhr hoch um etwas zu unkoordiniert nach seinem Stift zu greifen, den er bei seinem ersten Versuch erst einmal weiter von sich weg rollte, ehe er ihn nach einem gezielteren Griff auf dem Papier aufsetzte.

Er würde einen Brief schreiben, an die Person, die ihn an einen Spiegel seines  damaligen selbst erinnerte und die auch Licht so weit in seinen Zauber gezogen hatte, dass er beinahe schon seine eigene Deckung fallen lies, um ihr zu helfen. Nun, er würde ihn nicht abschicken oder überliefern lassen, aber vielleicht vermochte seine Absicht in den Schatten den Geist des Empfängers zu erreichen.
„Du solltest endlich selber in Aktion treten. Aber keine Sorge, auch ich brauchte einen Schubs in die richtige Richtung. Das wird schon."
Er grinste leicht, was sich auch in seiner eigentlich ruhigen Stimme widerspiegelte; und die kleine Lücke zwischen seinen Frontzähnen preis gab.

Mein Freund, beginnst du nun endlich hinfort zu fliegen? Fortan in eine Welt die dich, wie mich, nicht verwirft?
In leeren Gedanken und ohne Hoffnung, wandelst du auf deinem Weg,
dunkle Wolken verschleiern deinen Blick.
Gewiss weißt du, es gibt kein zurück.
Was du im Leben versäumt, kann dir auch kein Traum wiederbringen.
Aber zumindest ein Ziel wirst du erringen,
das wünsche ich dir.
Mein Freund, wenn diese Welt meine Zerstörung sucht, geht sie mit mir. Weicht mit den Gefühlen, die mich unsterblich machen.
So magst auch du in leeren Tagen,
deinen Lebensgeist verliern,
halt an Lichts Hoffnung fest,
ja auch das wünsche ich dir.

~ Macbeth Bahamut Rinoa

•••
10. August X742
20:00 Uhr

Irgendwo vor seinem Fenster ertönten die Saiten einer Gitarre - von der anderen Raumseite her, schallten klirrende Teller noch bis durch seine Tür hindurch und die Gespräche der Menschen waren nichts weiter als ein leises Flüstern, das an seinen Ohren kitzelte.
Ein verriegelter Kamin erhitzte seinen von Schlamm und jeglichem anderen Dreck verklebten Rücken. Mehr als die Wärme und einem leisen Knacken gab dieser jedoch nicht her.

Auron lag mit dem Kinn auf ein kleines Tischchen gelehnt und drückte mit einem abwesenden Blick im Wachs einer erlöschenden Kerze herum.
Irgendwo mit dem letzten bisschen Aufmerksamkeit, welches er noch aufbringen konnte, starrte er in die kleine Flamme, deren Spitze ihn an einen zuckenden Finger erinnerte.
»Haben meine Finger auch so ruckartig gezuckt?«

Seine Hand fühlte sich ebenso schwer an, wie auch der Rest seines Körpers. Die Augen waren nur halb geöffnet und seine Atmung unnatürlich laut.
Jedes Blinzeln war feucht und Tränenspuren fanden sich auf seinen staubigen Wangen wieder.
Auron schien kurzzeitig aufzuwachen und kniff seine Augen, in einem Versuch die verklebten Wimpern zu lösen, zusammen; doch sobald sie wieder offen waren, nur noch röter von der Reizung und mit dem Empfinden die Schwellung bereits spüren zu können, wurde sein Blick wieder verklärt und starrte Löcher in die Luft.

Das Zittern der Flamme erinnerte ihn plötzlich an das Leblose schwenken der Körperteile seiner Großeltern, als er sie in die Arme genommen hatte.
Taubheit bereitete sich in seinen Gliedern aus, machte seinen Körper nur noch schwerer und verwandelte seine Füße in einen einzigen Ameisenhaufen.
Sein Kopf neigte sich zur Seite und seine Augen verdrehten sich nach oben. Die Hand senkte sich, die Fingerspitzen noch immer benetzt von warmem Wachs und er spürte erneut diese Schwerelosigkeit des Falles. Der fehlende Wille sich weiterhin an irgendetwas festhalten zu wollen setzte ein.
»...einfach fallen lassen... so schwer ist das nicht
Sein Herz verkrampfte sich, jagte ihm ruckartig bei seinem nächsten Schlag einen Dolch in die Brust, weshalb er sich erschrocken verschluckte.
Aurons Hand zuckte zurück, verschmierte den Wachs auf seinem Shirt, als seine Finger sich vor seiner Brust verkrampften. Hustend richtete er sich auf.
»Warum? Warum? Warum! Warum! Warum Warum Warum! Warum ich! Warum?!«
Die nächsten Tränen liefen seine Wangen herab; Die Spucke verbarrikadierte seine Luftröhre.
Röchelnd und hustend versuchte der Junge wieder zu Atem zu kommen, seine Beine zuckten unkontrolliert und selbst als er seine Füße in den Boden rammte, wollten seine Muskeln sich nicht beruhigen.
»Lass es aufhören! Bitte."
Der erste erstickte Schrei verließ seine Lippen, als die Tür sich endlich quietschend öffnete.

Lichts Augen wurden groß als er realisierte in welchem Zustand sich sein Schützling befand.
Die Tür mit dem Fuß zuknallend, ließ er die Tüten in seiner Hand einfach zu Boden fallen und preschte vor.
„Sch..."
Er schluckte das Schimpfwort herunter und klopfte dem Jungen kräftig auf den Rücken, während er seinen Oberkörper mit dem anderen Arm stabilisierte.

Zitternd griff Auron nach dem Arm des Blonden und zog kraftlos daran.
„Bitte..."
Sein unregelmäßiger Atem ging in einen Schluckauf über, der seinen gesamten Körper erschütterte.

„Ist ja schon gut."
Besorgt ließ Licht seine Augen über Auron's Körper wandern; versuchte jede seiner Regungen mit Gedanken oder Gefühlen zu verknüpfen.
Langsam ging er neben dem Stuhl in die Hocke und ließ den Jungen an seiner Brust weinen.
»Die Hölle heh?«

Das Bild von verzweifelten gelben Augen blitzte vor seinem inneren Auge auf; wie die verfilzten, inzwischen grauen Haare im Gesicht eines anderen Kindes klebten, als dieses vor ihm auf der Straße zusammenbrach und sich bebend gegen seine Beine presste.
„Es ist die Hölle... die Hölle... Licht, sie haben ihn! Bitte... es war ein versehen..."

Und wo er damals noch so ratlos da gestanden hatte, nicht sicher wie er darauf reagieren sollte und völlig überrumpelt von so ziemlich allem, was die Situation mit sich brachte, so legte er diesmal seine Arme langsam um den Oberkörper des Kindes und gab ihm mit seiner bloßen Anwesenheit den gesuchten Komfort.
Die ruhige Ausstrahlung und die Wärme der Umarmung sollten schon den Rest tun. Zumindest hoffte er das.

„Warum kann ich nicht bei dir bleiben? Ich weiß nicht wo ich hin soll... Ich habe niemanden! Bitte Licht, nimm mich mit..."
Seine Stimme brach immer wieder in einen gequietschten Ton um, der Rest war eine vom weinen raue Stimme, die man nicht als die Seine erkennen konnte.

Licht seufzte frustriert und lachte einmal verzweifelt auf. Natürlich musste gerade diese Frage kommen.
„ Das würde keinen von uns beiden weiterbringen. Glaub mir... ich habe schonmal etwas ähnliches probiert und das ist nicht gut ausgegangen. Wirklich nicht."

Macbeth' unterdrückte Wut und all der angestaute Hass, den er in seinen angespannten Gesichtszügen nicht immer zu verstecken vermochte, blitzten vor seinem inneren Auge auf und er drückte Auron nur noch näher an sich heran.

„Bitte... vielleicht wird es diesmal anders."
Er schniefte und blickte aus großen blutunterlaufenen Augen zu ihm auf.

„Ich... ach verdammt..."
Licht konnte dem Blick nicht standhalten und ließ den Seinen lieber im Raum umherschweifen; fixierte die Bilder einer großen Fotowand am anderen Ende des Raumes. Auch wenn er die Motive von seinem Standort aus nicht wirklich erkennen konnte, so bat es doch ein angenehmeres Bild.
„Ich kann den selben Fehler nicht zweimal machen..."

„Und... Und wo soll ich dann hin?"
Der Schwall an Tränen wurde wieder stärker und Auron schloss die Augen - zog an dem Stoff von Lichts Oberteil und senkte den Kopf.
„Lässt du mich einfach so allein? So wie alle anderen auch? Ist ... Ist das alles..." er schniefte , während er seine Stirn fester gegen Licht presste, „Alles was passiert... ist es meine Schuld? Willst du mir deshalb nicht helfen?"

„Auf keinen Fall!"
Licht griff Auron an die Schultern und zwang ihn dazu ihn anzusehen. Er sollte sehen, woe ernst es ihm war, sodass es nicht nur seine Worte waren, die den Jungen erreichten.
„Ich habe Freunden von mir bescheid gegeben. Sie kommen in den nächsten Tagen vorbei und holen dich ab. Hast du das verstanden? Ich lasse dich nicht im Stich. Bis sie ankommen bleibe ich bei dir. Du bist nicht allein und das alles hier ist ganz sicher nicht deine Schuld!"

Langsam nickte Auron. Zu mehr war er nicht mehr imstande, als er die blauen Reflexionen in den Schatten auf Lichts Gesicht fixierte.
»Bitte versprich es mir...«
Sein Mund war unfähig sich zu öffnen und so lehnte er sich nur noch gegen den Oberkörper vor sich und umarmte den Blonden.
Er roch nach dem seltsamen Duft, der auch die Straße erfüllte. Feuchte Luft und Rauch.
Auch der Stoff gegen den er sich lehnte war unangenehm kühl.
Doch in diesem Moment war es das einzige, was ihm Halt und Zuflucht vor den Monstern der Schatten lieferte, die in den Ecken des Zimmers lauerten.

[1847]

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