Ein Brief, der Koffeingehalt von Heißgetränken und ein wiederkehrender Irrtum
Luke
Kennt ihr das? Morgens aufstehen und sofort ist man hellwach? -- Tja, ich auch nicht.
Deshalb stehe ich mir hier in der Schlange vor der Bäckerei die Füße in den Bauch, Augen nur halboffen und ständig ein Gähnen unterdrückend. Ohne meinen Schuss Koffein am Morgen bin ich nur ein halber Mensch.
"Das bist du doch sowieso irgendwie, nur ein halber Mensch", quäkt mein innerer Wolf Larry ungefragt. "Ach, halt doch dein Maul", schieße ich zurück. Dumme Kommentare aus dem Off noch vor meinem ersten Kaffee, er sollte es wirklich besser wissen.
Laut hallt die Bahnhofsansage durch meinen müden Kopf. „Der Zug auf Gleis 3 erreicht unseren Bahnhof mit zehn Minuten Verspätung." Eine Galgenfrist, dem Himmel sei Dank. Die Schlange vor dem Louvre zu Stoßzeiten scheint kurz im Vergleich zu der Schlange hier. Und noch kein Ende in Sicht.
"Wusstest du, dass in einem handelsüblichen Latte nur 30 mg Koffein enthalten sind? Das ist weniger als in grünem Tee!", klugscheißert Larry weiter. "Ehrlich, niemand mag Besserwisser!" "Doch natürlich, deshalb fahren wir doch jetzt in dieses schnieke Internat in Wales!", prahlt Larry. Er lebt in der festen Überzeugung, dass das Universum irgendwie sein absolut umfassendes, wenn auch häufig vollkommen unnützes Halbwissen voller unnötiger Fakten mitbekommen und mir deshalb das Stipendium in Wales spendiert hat.
Als ob! Tatsächlich waren wir alle mehr als überrascht, als der Brief ins Haus geflattert kam. Mit Schulwappen, Wachssiegel und allem Pipapo. Hagworts. Noch nie gehört.
Larry jedenfalls platzt beinahe vor Stolz. Ein Schulplatz mit vollem Stipendium, und das ohne dass ich mich auch nur beworben habe. -- Das wollen wir jetzt mal nicht hinterfragen. Einem geschenkten Gaul, und so!
"Wusstest du, dass dieser Spruch von früher kommt, als die Leute ihre Pferde vor dem Verkauf nochmal mit Brennesseln gedopt haben? Davon haben die nämlich ein super glänzendes Fell bekommen. Nur an den Zähnen konnte man die frischen Jungspunde noch von den alten Kleppern unterscheiden", fängt Larry mit dem nächsten unnützen Wissen an.
"Was darfs denn sein?" Vor lauter innerer Diskussion mit meiner anderen Hälfte habe ich gar nicht richtig gemerkt, dass ich mittlerweile am Anfang der Schlange angekommen bin. Der Bäckereifachverkäufer schaut mich fragend bis leicht genervt an. Ehrlich, ob er sich sein Leben so vorgestellt hat, nach drei Jahren Ausbildung Touris schlechten Kaffee und trockene Brötchen am Bahnhof zu verkaufen?
"Häh?", mache ich selten intelligent, während Larry "MATE!" in mein Ohr schreit. Entnervt sage ich: "Einen Latte Macchiato to go, mit Schokosirup und doppelt Zucker, bitte", bevor ich Larry innerlich anschnauze: "Nein, kein Mate! Nicht jeder Mann im fortpflanzungsfähigen Alter ist mein Mate!"
Gerüchten zufolge sollen andere Werwölfe ihren Mate auf Anhieb erkennen, schon beim ersten Erschnuppern einer winzigen Spur des absolut traumhaften und himmlischen Geruchs des anderen. Instant infatuation, Liebe auf die erste Duftspur sozusagen. Irrtum ausgeschlossen. Tja, was soll ich sagen. Mein innerer Wolf ist diesbezüglich etwas ... hyperaktiv.
Noch zu deutlich habe ich das Erlebnis von letzter Woche vor Augen, als Larry mit voller Überzeugung den Postboten als meinen Mate identifiziert hatte. Leider konnte er mich da überrumpeln, der Restalkohol von der Feier am Vortag hat mich wohl noch etwas außer Gefecht gesetzt.
Der arme Briefträger wird wahrscheinlich noch Jahre Therapie brauchen, um das Trauma vom wildgewordenen "Hund" verarbeiten zu können, der wie dumm sein Bein besteigen wollte. Allein beim Gedanken daran kriecht es mir eiskalt den Rücken hoch. An Peinlichkeit wirklich kaum zu überbieten!
"Macht dann 7,50 Euro!" Was, haben die schon wieder aufgeschlagen? Frechheit! Die nehmen es auch von den Lebenden.
Mit meinem Latte bewaffnet und meinem Koffer im Schlepptau mache ich mich schließlich auf den Weg zu meinem Gleis. Larry hat sich glücklicherweise beleidigt zurückgezogen, manchmal geht er mir wirklich auf den Sack!
"Auf Gleis 3 fährt ein der Zug nach Shotton in Wales. Vorsicht bei der Einfahrt!", dringt die leicht blecherne Stimme der Bahnhofsansage an mein Ohr. Na dann, los gehts!
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