23

Nach zehn Wochen taucht der Zirkus endlich wieder auf und Alana ist unendlich froh. Sie kann es kaum abwarten, ihn wiederzusehen und zählt die Sekunden, als die Plakate wieder in der Stadt auftauchen. Sie rennt sofort zum Zirkuszelt und rennt auf Mandrik zu. Sie will ihn umarmen und läuft wieder durch ihn hindurch. Wenn es kalt wird, wenn sie durch ihn hindurch fässt, ist es zumindest ein ganz wenig so, als wenn sie ihn berühren würde. Es ist immerhin eine Empfindung. Er strahlt auch über beide Ohren, als sie ihn sieht.

"Ich habe den ganzen Tag an dich gedacht, die ganzen Wochen über"

"Woher weißt du, dass es Wochen waren, die du weg warst?" , fragt sie.

"Ich hab eine Strategie entwickelt."

"Okay, wie viele Wochen warst du weg?" , fragt sie.

"Zehn" , antwortet er richtig.

"Wow. Deine Strategie scheint zu funktionieren" , sagt sie lächelnd. Die beiden gehen in Mandriks Wohnwagen, den Alana tatsächlich das erste Mal sieht. Die beiden setzten sich an den Tisch und Mandriks zeigt ihr seine Blattpapiere, auf denen er Striche aufgemalt hat.

"Ich hab jeden Morgen einen Strich gemalt und sie zusammen gerechnet, sodass am Ende 10 Wochen herauskamen" , erzählt er stolz.

"Ich hab in diesen zehn Wochen auch so einiges herausgefunden" , beginnt sie zu erzählen.

"Also, ich habe herausgefunden, was du für eine Geisterart bist, wie Cato gestorben ist, dass die Bibliothekarin wirklich ein historischer Geist ist und wir irgendeine besondere Verbindung zu haben scheinen. Die habe ich aber noch nicht herausgefunden"

"Wow, Alana. Das ist großartig. Was bin ich denn nun für eine Art von Geist?" , fragt er neugierig.

"Ein ganz normaler Geist" , sagt sie. Er sieht ein wenig enttäuscht aus.

"Damit kann ich Leben. Glaube ich. Hauptsache ich bin kein Poltergeist" , lacht er. "Und wie ist Cato gestorben?" , fragt er und sie fasst alles zusammen, was sie herausgefunden hat. Er ist ein wenig schockiert und kann es nicht glauben. Doch es ergibt sehr viel Sinn.

"Sollen wir es ihr jetzt gleich sagen?" , fragt sie.

"Um ehrlich zu sein, will ich erst einmal ein wenig Zeit mit dir verbringen" , gibt er zu und die beiden kuscheln sich in das Wohnwagenbett.

"Ich habe hier bisher immer allein gelegen" , sagt er und Alana schließt die Augen. Sie stellt sich vor, wie es wäre, hier mit ihm zu leben und sich berühren zu können.

"Kannst du die anderen Geister eigentlich berühren, die aus dem Zirkus meine ich?" , fragt sie nach einer Weile in die Stille hinein.

"Ja, warum?" , fragt er. In ihren Gedanken rast es. Wenn sie ein Geist wäre, würden sie sich berühren können. Die beiden liegen noch eine Weile einfach still nebeneinander und spüren die Anwesenheit des anderen. In diesem Moment gibt sich Alana auch damit zufrieden, denn sie will ihn einfach bei sich haben. Es ist besser, so beieinander zu sein, als gar nicht beieinander zu sein. Nach einer Weile raffen die beiden sich allerdings auf und suchen Cato, um ihr die Nachricht zu überbringen, wie sie gestorben ist. Sie ist überhaupt nicht schockiert, eher im Gegenteil. Ihr Tod scheint sie kalt zu lassen. Vielleicht auch eine Nebenwirkung der Experimente. Immerhin dürfen Geheimwaffen keine Angst haben oder in irgendeiner anderen Art Gefühle zeigen.

"Dann weißt nur noch du nichts von deinem Todesurteil, oder?" , fragt sie.

"Ja, aber ich kann damit leben"

"Aber was ist denn die Verbindung zwischen uns? Kanntest du mich, als du mich im Zirkus gesehen hast?" , fragt er.

"Nein" , sagt sie. "Oder ich kann mich einfach nicht an dich erinnern" , überlegt sie laut.

"Dann gilt es für uns, dass herauszufinden. Vielleicht gibt es über unsere Verbindung eine Lösung für unser Problem"

"Und wie bitte schön sollen wir etwas darüber herausfinden, wenn du dich an nichts aus deinem Leben erinnern kannst?" , fragt Alana nachdenklich.

"Mir ist in den Wochen, als ich weg war, tatsächlich etwas eingefallen" , stellt er fest.

"Es sind bei mir Erinnerungsfetzen an meinen Tod aufgetaucht" , klärt er sie auf, als sie ihn fragend anschaut.

"Was denn für Erinnerungsfetzen? Kannst du sie beschreiben?"

"Ja. Ich weiß, dass ich unglaubliche Schmerzen hatte, zuerst. Dann habe ich Schmerzmittel bekommen. Morphium oder so." , erklärt er.

"Warst du in einem Krankenhaus?" , fragt sie.

"Ich denke schon. Ich sehe jedenfalls weiße Wände, wenn ich an meinem Tod denke" , gibt er zu.

"Das klingt, als wenn du an einer Krankheit gestorben bist. Das wäre aber eine natürliche Todesursache. Das passt nicht mit den anderen zusammen. Warum wärst du dann mit in dem Zirkus? Ich dachte, wir hätten die Verbindung gefunden"

"Vielleicht bin ich auch bei einem Unfall gestorben. Also den den Folgen und deshalb war ich im Krankenhaus" , überlegt er. Er will Alana nicht den ganzen Fortschritt versauen, den sie in den letzten Wochen aufgebaut hat. Die beiden wirkten so nah am Ziel und nun würde er alles kaputt machen, indem er von selbst seine Todesursache herausgefunden hat. Er weiß, woran er gestorben ist. Nachdem die Erinnerungsfetzen in den ersten Wochen aufgetaucht sind, hat er sich angestrengt, hat die Gedanken aufgemalt und hat Stunden darüber nachgedacht. Er muss Alana anlügen, weil er es nicht übers Herz bringt, ihr die Wahrheit zu sagen. Er weiß einfach nicht, wie.

"Ich frage meine Eltern, ob wir mal einen Mandrik gekannt haben. Irgendeine Verbindung müssen wir doch haben"

"Nein" , sagt er.

"Warum nicht?" , fragt sie.

"Wie willst du ihnen das erklären?" , fragt er und zeigt auf sich und seinen Körper.

"Mir wird schon irgendetwas einfallen" , behauptet sie.

Er gibt sich nach einiger Zeit, die die beiden diskutiert haben, geschlagen. So würden die beiden vielleicht ein Stück weiterkommen, denn er kann sich nicht an Alana erinnern. Keine Chance. Es sind immer nur Fetzen aus seinem Leben da und die kann er fast alle nicht zuordnen. Er weiß auch nicht, wie die in seinem Kopf aufgetaucht sind. Nach Mitternacht, nachdem die Vorstellung vorbei ist, geht Alana nach Hause und Mandrik bringt sie. Die beiden gehen durch die Haustür. Ihre Eltern sind Mal wieder nicht Zuhause und sie legen sich in Alanas Bett nebeneinander.

"Das habe ich vermisst" , flüstert sie. Die beiden legen sich in Fötusstellung nebeneinander und schauen sich einfach nur in die Augen, Stunden lang. Irgendwann fallen Alana die Augen zu. Mitten in der Nacht hört Mandrik ihre Eltern nach Hause kommen. Ihr Vater kommt wieder in ihr Zimmer und deckt sie zu. Dabei schwebt Mandrik in die Luft, weil er noch auf der Decke liegt. Kurz darauf liegt er wieder neben Alana. Die Kuhle, die entstanden ist, hat ihr Vater zum Glück nicht gesehen, weil Mandrik noch auf dem Bett gelegen hat, als ihr Vater hereingekommen ist. Wäre er aufgestanden, hätte Alana sicherlich Anschiss bekommen, weil ihr Vater einen Jungen verdächtigte, hier gewesen zu sein. Ihr Vater gibt ihr noch einen Kuss auf die Stirn und geht wieder aus dem Zimmer. Schon wieder spürt Mandrik diese wütende Eifersucht. Er legt sich neben sie und schaut ihr Stunden beim Schlafen zu, bis ihm letztlich auch die Augen zufallen. Am Morgen wachen die beiden wieder nebeneinander auf. Alana wird zum Frühstück gerufen und heute freut sie sich sogar darauf, denn sie rechnet mit Antworten. Wenn sie eine Verbindung zueinander haben, müssen ihre Eltern etwas über Mandrik wissen. Sie setzt sich an den Küchentisch, der schon mit frischen Crossaints gedeckt ist und Mandrik läuft das Wasser im Mund zusammen. Es war einer seiner liebsten Speisen. Am liebsten würde er eines davon klauen und verspeisen, auch wenn er danach den ganzen Tag Bauchkrämpfe hätte.

Alana beginnt sofort mit dem Thema und redet nicht lange drum herum.

"Habe ich Mal einen Mandrik gekannt?" , fragt sie in die Stille des Raumes. Ihre beiden Eltern scheinen den Atem anzuhalten. Sie wissen garantiert etwas darüber.

"Warum fragst du das?" , fragt ihre Mutter entgeistert.

"Der Name ist in meinem Gedächtnis aufgetaucht" , lügt sie.

"Ich wüsste nicht, dass du Mal solch einen Jungen gekannt hast" , erwidert ihr Vater. Alana weiß genau, dass ihre Eltern sie anlügen. Sie kann es an ihren Nasenspitzen sehen. Ihre Reaktionen sind zu eindeutig.

"Ihr lügt mich an. Warum tut ihr das?" , fragt sie enttäuscht.

"Woher weißt du das?" , fragt ihre Mutter und beißt sich kurz darauf auf die eigene Zunge. Ihr Vater hat ihr unter dem Tisch einen leichten Tritt verpasst, aber nun ist es zu spät. Sie weiß die Wahrheit. Sie hat Mandrik gekannt.

"Erzählt es mir. Bitte"

"Aber woher weißt du, dass du einen Mandrik gekannt hast, aber nicht woher?" , fragt ihr Vater sie nun, denn sie hat immer noch nicht auf die Frage geantwortet, die ihre Mutter ihr gestellt hat.

"Ich habe ein Bild gefunden, auf dem ich mich gemalt habe und einen Mandrik. Ich habe Für Mandrik drauf geschrieben, aber er scheint es nie bekommen zu haben. Und offensichtlich haben wir auch keinen Kontakt mehr, denn ich kenne keinen Mandrik", lügt sie ihren Eltern ins Gesicht, aber sie kann schlecht erklären, dass Mandrik ihr Geisterfreund ist und sie nun herausgefunden haben, dass sie eine Verbindung haben müssen, weil sie ihn sehen und mit ihm sprechen kann.

"Okay. Du lässt ja doch nicht locker. Wir wollten dir eigentlich nie davon erzählen, weil es kein schönes Thema ist" , beginnt ihr Vater. Nun lauscht auch Mandrik dem Gespräch, denn es nimmt eine interessante Wendung. Nun ist seine Konzentration nicht mehr auf dem Crossaintkorb.

"Du bist 1991 geboren" , stellt ihre Mutter fest.

"Ich weiß" , erwidert sie.

"1992 hast du eine Diagnose bekommen. Als Baby." , macht ihr Vater weiter.

"Alana, die Diagnose war Krebs. Du als kleines Baby. Es war so unfair. Wir dachten, wir verlieren dich" , beendet Alanas Mutter den Satz.

"Warum habt ihr mir das nie erzählt?" , fragt sie flüsternd.

"Wir wollten dir diese Last von den Schultern nehmen" , sagt ihr Vater.

"Und was hat das ganze jetzt mit Mandrik zutun?" , fragt sie, nachdem sie ihn in der Ecke neben dem Brötchenkorb wieder wahrgenommen hat.

"Daher kennst du ihn. Aus dem Krankenhaus" , sagt sie.

"War er mein Arzt oder einer meiner Pfleger?" , fragt sie. Offensichtlich ist sie ja gesund geworden. Vielleicht hat er das Bild deshalb nicht bekommen.

"Nein. Er war ein Patient" , sagt sein Vater schluckend. "Alana, er ist an seinem Krebs gestorben"

Alana muss schlucken und schaut ihren Freund schockiert an. Sie haben die Verbindung herausgefunden. Die beiden haben sich ein Krankenzimmer geteilt. Die beiden hatten die selbe Erkrankung, bloß mit dem Unterschied dass Alana mit dem Leben davon gekommen ist.

"Oh" , sagt sie und verlässt kurz darauf den Esstisch, um über diese neue Information hinwegzukommen. Mandrik und sie gehen in ihr Zimmer.

"Kannst du mir ein Crosaaint rausschmuggeln?" , fragt er. Er weiß, dass noch welche übrig waren.

"Das ist das einzige, woran du jetzt denken kannst?" , fragt sie entrüstet.

"Ist das jetzt unser erster Streit?" , fragt er lachend. Es lockert irgendwie die Stimmung auf. Zumindest ein wenig.

"Du spinnst" , grinst sie und holt sich unauffällig noch ein Crossaint aus der Küche. Ihre Eltern sind schon wieder in Aufbruchsstimmung.

"Bist du dir sicher, dass du das wirklich essen willst? Es wird dir den ganzen Tag schlecht gehen"

"Nun gib schon her. Ich liebe Crossaints einfach. Das ist es mir wert" , sagt er. Sie hält ihm die Marmelade hin.

"Wie genau willst du das ganze Essen?" , fragt sie. Er kann keine Gegenstände anfassen, er fasst immer hindurch.

"Scheiße. Geist sein ist scheiße. Ich will es so gerne essen, Alana" , jammert er herum. Sie steckt es erst einmal wieder ein und die beiden widmen sich ihrer gemeinsamen Geschichte.

"Ich hätte meine Eltern nach Bildern fragen sollen" , sagt sie. Die beiden haben eben gemeinsam das Haus verlassen und nun sind Mandrik und Alana wieder alleine.

"Es gibt bestimmt irgendwo Bilder aus dieser Zeit. Lass und nachsehen. Vielleicht erinnerst du dich dann an etwas"

Die beiden gehen gemeinsam in den Keller und suchen auf dem Dachboden, doch finden in den ersten Stunden nichts. Irgendwann sieht Mandrik einen Karton in einer der hintersten Ecken des Dachbodens, den Alana herauskramt. Tatsächlich befinden sich dort Fotos aus der Zeit im Krankenhaus. Alle Fotos, die es jemals aus dieser Zeit gab. Sie finden Alana im Krankenhauskittel mit Glatze, sie sieht total fertig aus. Auf einem der Bilder sehen sie letztendlich sogar sich. Mandrik sieht noch genauso aus, wie vor zwanzig Jahren. Alana hat sich komplett verändert. Immerhin ist sie zwanzig Jahre älter geworden. Es ist, als wäre bei Mandrik die Zeit stehen geblieben. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Geister kein Zeitgefühl haben.

"Das sind wir" , flüstert Madrik, weil er Angst hat, etwas an dem Moment kaputt zu machen.

"Wahnsinn, oder?" , fragt sie.

"Kannst du dich an mich erinnern?" , fragt er. Sie schüttelt vorsichtig den Kopf. Wahrscheinlich ist sie einfach noch zu jung gewesen.

"Ich kann mich aber an dich erinnern" , flüstert er nach einer Weile, als er mehrere Bilder von sich und dem kleinen Menschen gesehen hat. Sie sitzt oftmals auf seinem Schoß und sie spielen gemeinsam. Dabei hat Alana immer ein Lächeln im Gesicht.

"Ist es nicht irgendwie seltsam, dass ich erst zwei war, als du schon zwanzig warst und wir nun zusammen sind, weil wir gleich alt sind?"

"Irgendwie schon, aber bis eben wusste ich es ja nicht. Jetzt hab ich dich ja als du jetzt in meinem Kopf und nicht als zweijähriges Mädchen. Ich wusste nicht, dass ich dich schon einmal gekannt habe"

"Aber wieso haben wir jetzt diese krasse Verbindung? Nicht jeder kann Geister sehen und sogar mit ihnen sprechen" , stellt sie fest.

"Du hast mir beim Sterben zugesehen" , gibt er zu. Nun tauchen ebenfalls Bilder in Alanas Kopf auf. Sie kann sich sehr schwach an den Krankenhausaufenthalt erinnern. Nachdem sie Mandrik und das Foto in ihrer Hand abwechselnd anschaut, bildet ihr Kopf eine Verknüpfung und sie kann sich genau an den Sterbeprozess erinnern. Sie hat Mandrik gesehen, sie stand mit wackeligen Füßen an seinem Bett, als er die letzten Atemzüge getan hat. Sie hat seine Hand gehalten und an seinem Bett gesessen. Sie hat seine Seele aus seinem Körper schweben sehen. Kurz darauf sind die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger sowie Ärzte ins Zimmer gestürmt und haben sie von Mandrik weggerissen. Sie hat unglaublich doll geweint. Er war ihr einziger Freund. Sie hat verstanden, dass er nun nicht mehr da ist und auch nicht ehr zurück kommen wird, obwohl sie erst so klein war. Dass er nicht einfach nur stirbt.

"Kann ich dich sehen, weil ich dich sterben sehen habe?" , fragt sie. "Aber viele Menschen haben jemanden sterben sehen. Dann müssten sehr viele Menschen Geister sehen können. Wahrscheinlich sieht man den Geist aber nur sehr unwahrscheinlich, oder?" , fragt sie.

"Wir haben noch eine andere Verbindung zueinander" , gibt Mandrik zu.

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