16
Spät am Abend kommt Alanas Vater in ihr Zimmer und Mandrik hält den Atem an. Er ist immer noch wach und schaut Alana an. Er kann sein Glück kaum fassen, dass Alana sich ausgerechnet in ihn verliebt hat. Einen beschissenen Geist, den sie niemals berühren kann. Sie hätte es so viel einfacher haben können.
Es ist albern, denn eigentlich weiß Mandrik, dass Alanas Vater ihn nicht sehen kann. Doch Alana kann ihn schließlich auch sehen, weshalb er unglaubliche Angst hat, dass ihr Vater ihn auch sehen könnte. Dann würde er ihn bestimmt verprügeln, denn ein Vater erwischte bestimmt nicht gerne einen Jungen nachts im Bett seiner Tochter. Doch ihr Vater scheint ihn nicht zu bemerken. Trotzdem hält Mandrik weiterhin den Atem an. Er hat Angst sich zu verraten. Er streicht Alana durchs Haar und deckt sie mit der Decke zu. Gerne hätte Mandrik diese Aufgabe übernommen und verflucht sich und seine Existenz ein weiteres Mal. Es müsste doch eine Lösung geben, wie die beiden zusammen sein konnten und sich berühren konnten. Ihr Vater küsst sie auf die Stirn und geht wieder aus dem Zimmer. Im Mandrik tobt wütende Eifersucht. Er ist eifersüchtig auf den Vater seiner Freundin. Wie absurd. Er verflucht sich selbst und verschwindet. Er kann durch Wände gehen, weshalb er einfach durch ihre Zimmertür geht. Er hält es doch nicht die ganze Nacht neben ihr aus. Er wird sowieso nicht schlafen können, denn seine tobende Eifersucht macht ihn wütend. Er will sie nicht verletzen und vor allem nicht wecken. Er rennt drauf los und beginnt zu schreien. Er will all den Schmerz aus sich raus schreien.
Mandrik ist noch zu nah an Alanas Zimmer, als er den Schrei loslässt, weshalb sie davon geweckt wird und völlig verschlafen hoch schaut. Sie denkt, sie hat geträumt, weshalb sie sich eigentlich sofort wieder schlafen legen will, doch sie entdeckt eine Kuhle. Eine Kuhle, dort wo eben noch Mandrik gelegen haben muss. Er hat eine Kuhle hinterlassen! Es musste einfach eine Kuhle sein, die von Mandrik entstanden ist, denn sie hatte sich nicht bewegt. Hatte sie gerade eine Lücke im System entdeckt? Wieso entsteht eine Kuhle, wenn Mandrik doch eigentlich gar nicht existiert? Wäre das bei den anderen Dingen auch so gewesen, wenn eine Kuhle hätte entstehen können? Immerhin saß er heute im Riesenrad, in der Achterbahn, auf dem Fahrrad und noch vielen mehr. Sie hatte bisher nicht darauf geachtet. Nun war sie hellwach und wollte Mandrik zu sich rufen, doch er war weg. Er hatte sie alleine gelassen. Sie musste sofort zu ihm und ihm von dieser neuen Erkenntnis berichten. Vielleicht gäbe es doch eine Möglichkeit, sich irgendwie zu berühren.
Sie will sich rausschleichen, denn inzwischen sind ihre Eltern wieder nach Hause gekommen. Sie sieht es an dem Licht, dass durch den Türspalt kommt. Doch als sie gerade die Haustür öffnen will, kommt ihr Vater aus seinem Zimmer und es wird nichts aus dem nächtlichen Ausflug. Sie legt sich frustriert wieder in ihr Bett und kann die ganze Nacht nicht schlafen.
Am nächsten Morgen wacht sie auf, als die Sonnenstrahlen ihre Nase kitzeln und schaut in ein grinsendes Gesicht, welches von Locken umrahmt wird. Sie muss lächeln, als sie Mandrik sieht. Er muss heute Morgen gekommen sein, damit sie neben ihm aufwachen kann. Sie weiß nicht, wie lange er schon dort liegt und ihr beim schlafen zusieht. Eigentlich würde sie es gruselig finden, aber er war anders als alle anderen. Sie findet es nicht gruselig, sondern einfachbloß schön.
"Guten Morgen" , sagt sie lächelnd.
"Guten Morgen" , erwidert er, ebenfalls lächelnd. Auch jetzt hat er wieder den Drang, ihr die braunes Haar aus dem Gesicht zu streichen. Als er seine Hand hebt, nur um sie wieder sinken zu lassen, kommt ihr der Gedanke von gestern Abend wieder in den Sinn. Sie setzt sich so abrupt auf, dass er sich total erschrickt.
"Alles okay?" , fragt er.
"Ja. Nein. Keine Ahnung. Ich glaube, ich hab eine Lücke im System gefunden" , erwidert sie stotternd.
"Was?" , fragt er verdattert.
"Gestern. Du bist gestern Abend abgehauen und ich bin aufgewacht, als du weg bist"
"Tut mir Leid, ich wollte dich nicht wecken" , entschuldigt er sich.
"Darum geht es nicht. Dort, wo du gelegen hast, war eine Kuhle" , erwidert sie aufgeregt. "Verstehst du?"
"Wie kann das sein?" Das kann nicht stimmen. Ich schwebe quasi fünf Millimeter über dem Bett. Dabei kann ich nirgendwo eine Kuhle hinterlassen"
"Du hast es aber getan! Ich habe keine Ahnung wie, aber als du aufgestanden bist, hat eine Kuhle existiert. Das dürfte eigentlich gar nicht sein. Du fasst durch alles hindurch. Du kannst auf allem sitzen. So viel habe ich verstanden, aber warum bildet sich eine Kuhle? Eigentlich müsste es doch so sein, dass dort einfach nichts ist, weil du quasi nicht existierst? Du bist tot. Aber du hinterlässt eine Kuhle! Du warst also dort! Vielleicht, vielleicht" , erklärt sie ganz aufgeregt.
"Vielleicht gibt es eine Lücke, sodass wir uns berühren können?" , fragt er vorsichtig in den Raum.
"Ja, wir müssen die Lücke bloß finden und verstehen. Stehe Mal bitte auf. Ich will sicher sein, dass ich es mir nicht eingebildet habe oder das ein wildfremder dort saß" , erklärt sie und er steht von ihrem Bett auf. Tatsächlich hat sich auch wieder dort, wo er gesessen hat, eine Kuhle gebildet. In diesem entscheidenen Moment hätte Alana ihn so gerne schon wieder umarmt. Sie hat durchgehend das Bedürfnis, ihn zu berühren und es brennt in ihrem Herzen. Es ist die Hölle, jemanden nicht anfassen zu können, den man liebt. Berührungen machen so viel aus. Sie hat mal von einer grausamen Studie gelesen, in der hundert Waisenkinder von den Ammen nur gefüttert wurden. Es wurde nicht mit ihnen gesprochen und sie wurden auch nicht angefasst. Alle hundert Babys sind in weniger als einem Jahr gestorben. So viel machen Berührungen aus. Doch sie beide haben keine Ahnung, wie sie die Lücke finden sollen. Alana hat noch so viele weitere Fragen, die sich klären mussten. Sie hatte immerhin alle aufgeschrieben und holt nun ihren Zettel heraus, um noch ein paar weitere Fragen hinzuzufügen.
Alle Dinge, die ich noch nicht weiß und herausfinden will:
• Warum taucht der Zirkus plötzlich auf und verschwinden, wann er will? Was steckt dahinter?
• Wie sind Cato, Mandrik und Enytha gestorben?
• Wieso sind genau diese Menschen im Zirkus zusammen? Wo sind all die anderen Toten von der Welt?
• Welche Verbindung haben die Geister zueinander?
• Kann ich mich umbringen, um bei Mandrik zu sein, als Geist, um ihn berühren zu können?
• Was würde mir garantieren, dass ich bei ihm ist?
• Gibt es eine Lücke im System?
• Kann ich ein Mensch bleiben und Mandrik ein Geist und wir könnten uns trotzdem berühren?
• Wieso bleibt eine Kuhle bestehen, wenn Mandrik sich auf mein Bett setzt?
Alana würde in der nächsten Woche einiges an Recherche betreiben. Sie wollte endlich Antworten. Sie wollte Mandrik endlich nah sein. Dieses Wochenende würde sie noch ein besonderes Date mit Mandrik haben, bevor sie sich am Montag wieder dem richtigen Leben widmen muss. Sie wollte doch einfach nur ein normales Teenagerliebesleben führen. Sie wollte keinen verdammten Geist lieben. Es hätte so viel einfacher sein können, doch für Mandrik lohnt es sich, zu kämpfen. Sie liebt ihn, wie sie noch nie jemanden geliebt hat. Noch nicht einmal ihre Eltern, die ihr eigentlich gestohlen bleiben konnten. Sie sieht sie kaum und sie kümmern sich kaum, sie sind nie da. Die beiden gehen am heutigen Samstag ins Kino. Es ist gerade ein neuer Film herausgekommen und den will Alana unbedingt sehen. Mandrik kommt immerhin überall umsonst rein und auch wenn die Leute denken würden, sie würde alleine gehen, macht ihr dies nichts aus. Als Mandrik am Ende des Filmes aufsteht, achtet sie genau darauf, ob er im Sitz eine Kuhle hinterlässt. Er hinterlässt keine Kuhle und es ist eine bitterfette Enttäuschung. Wahrscheinlich hat sie es sich so sehr gewünscht, einen Weg zu finden, dass sie sich Dinge zusammengereimt hat, die gar nicht da waren. Die beiden gehen gemeinsam nach Hause und auch hier macht es Mandrik wieder zu schaffen, dass er sie nicht beschützen kann. Die beiden gehen gemeinsam in Alanas Zimmer und auch an diesem Abend legen sie sich wieder ins Bett und hören gemeinsam Alanas Playlist.
"Wir das jetzt zu einer Tradition?" , fragt er grinsend und schaut ihr in die Augen.
"Ich hätte nichts dagegen" , grinst sie ihn an. Die beiden lauschen der Musik und auch dieses Mal schläft Alana nach einer Weile ein. Mandrik schaut ihr, genau wie gestern Abend wieder beim Schlafen zu. Heute hat es eine andere Wirkung auf ihn, eine beruhigende Wirkung irgendwie. Vielleicht liegt es an der neu gewonnen Erkenntnis. Er weiß es nicht. Nach einer Weile kommt wieder ihr Vater herein und deckt sie zu, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwindet wieder. Mandrik hält auch dieses Mal wieder die Luft an, solange Alanas Vater im Zimmer ist. Nachdem er verschwunden ist, will Mandrik erst aufstehen, doch dann hat er Angst, dass er Alana wieder weckt. Nachdem er sich ganz sicher ist, dass sie auch wirklich im Land der Träume ist, steht er auf und schaut sich die Zeichnungen an den Wänden an. Er würde sie so gerne von den Wänden nehmen und sie näher, in seinen Händen, betrachten. Es hat ihm noch nie so sehr zu schaffen gemacht, ein Geist zu sein, wie in dem letzten Jahr. Nachdem er sich noch einmal umgeschaut hat, legt er sich zu Alana ins Bett zurück. Irgendwann ist die Playlist zu Ende und er schließt die Augen. Es herrscht absolute Stille im Raum. Es ist nur noch Alanas regelmäßiger Atem zu hören, zu dem er schließlich einschläft.
Am nächsten Morgen wachen die beiden gleichzeitig auf und schauen sich gegenseitig in die Augen.
"Daran könnte ich mich gewöhnen" , sagt er lächelnd. Sie verschwindet in der Küche, um mit ihren Eltern zu frühstücken. Dies ist eine alte Tradition. Wohl die einzige in ihrer Familie und sie hasst es inzwischen. Sie reden kaum und irgendwie ist es bescheuert. Heute würde sie lieber bei Mandrik sein, aber sie lässt das Frühstück über sich ergehen.
"Ich lass dir die Musik an" , sagt sie lächelnd und es spielt schon wieder die gleiche Playlist, wie gestern Abend. Mandrik wäre die Musik in seinem früheren Leben schon auf den Sack gegangen. Er hätte nicht immer die gleichen Lieder wieder, jeden Tag, hören können. Doch nun genießt er es. Es sind ihre Lieder, ihre Erinnerungen und er genießt jede Zeile jedes einzelnen Liedes.
Nach einer Weile kommt Alana völlig genervt vom Frühstück zurück. Er versteht es nicht, denn es riecht köstlich. Ihm ist das Mund im Wasser zusammengelaufen und wenn er gekonnt hätte, hätte er probiert. Er wäre das Risiko der Magenkrämpfe eingegangen, weshalb er nicht versteht, warum sie so übel gelaunt aussieht.
"Was ist los?" , fragt er.
"Meine Eltern sind los" , sagt sie und rollt mit den Augen.
"Was ist passiert?" , fragt er.
"Sie wollen mir alles vorschreiben, sind aber nie da. Es ist, als wäre ich ihnen egal, aber wenn ich etwas tue, was ihnen nicht passt, sind sie auf einmal wieder meine Eltern, verstehst du?" , fragt sie.
"Nicht wirklich. Dein Dad kommt jeden Abend in dein Zimmer, deckt dich zu und gibt dir einen Kuss. Auf die Stirn" , gibt Mandrik zu.
"Wirklich?" , fragt Alana und irgendwie besänftigt sie das.
"Wirklich" , bestätigt er.
"Okay, das ist süß. Aber sie nerven mich trotzdem. Lass uns von hier verschwinden."
"Was wollen wir machen?"
"Ich habe keine Ahnung. Heute ist Sonntag. Irgendetwas unternehmen" , erklärt sie.
"Okay" , gibt er sich geschlagen. Sie wollen die Zeit nutzen, bevor er bald wieder verschwunden ist. Bald wäre es so weit. Sie hatte es ausgerechnet und sie hofft so sehr, dass es dieses Mal nur für zehn Tage ist und nicht für zehn Monate. Sie sind so kurz vor dem Ziel und sie will endlich über die Ziellinie gehen.
"Was wollen wir heute machen?" , fragt er.
"Wir gehen tanzen"
"Tanzen?" , fragt er lachend.
"Ja, wir gehen heute Abend tanzen" , erwidert sie.
"Ich kann nicht tanzen"
"Dich sieht doch eh niemand"
"Doch, du"
"Es braucht dir nicht peinlich sein" , grinst sie.
"Okay, dann gehen wir wohl tanzen" , gibt er sich geschlagen. Er kann ihr einfach nichts abschlagen.
"Aber erst heute Abend, wenn es dunkel wird, in der Disco"
"Okay, und was machen wir bis dahin?" , fragt er.
"Fahrrad fahren, Picknicken, an den See gehen" , erklärt sie.
"Ich werde nichts essen. Das willst du nicht mit erleben. Dann kannst du das mit dem Tanzen heute Abend knicken"
"Du wirst nichts essen, ich werde nichts essen. Wir werden am See liegen und in der Sonne schmoren"
"Ich werde mich auflösen"
"Warte, kannst du keine Sonne ab?" , fragt sie schockiert.
"Ich bin doch kein Vampir" , sagt er und streckt ihr die Zunge heraus.
"Blödmann" , sagt sie belustigt.
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