28. Februar, 10:55 Uhr: Evan

Stockwerk 23.

Wenigstens war die Etage, in die mich der Concierge verwiesen hatte, eine Primzahl.

Obwohl der Aufzug geräumig und luftig war, fühlte ich mich wie eine Maus in einer Falle.

Ich zupfte am Kragen meines Pullovers und holte tief Luft, um mich zu beruhigen. Dies war nur ein Vorstellungsgespräch, und ich war aus Neugier hierher gekommen—nicht, weil ich wirklich für eine Versicherung arbeiten wollte.

Ich hatte nicht viel Zeit in die Bewerbung investiert.

Nach einem Bier zu viel hatte ich einfach meinen Lebenslauf von der Website der Universität heruntergeladen und ein Motivationsschreiben verfasst. Darin ging es um meine Pläne, die spielerische Seele der Mathematik und die stählernen Muskeln der Wirtschaft zu vereinen, und um meine Absicht, zufällige Risiken mit der scharfen Klinge der Statistik zu reduzieren. Bevor ich nüchtern wurde und zur Besinnung kam, hatte ich auf die Schaltfläche „Senden" geklickt.

Die Einladung hatte mich überrumpelt.

Da stand ich nun also in einem Aufzug und betrachtete mein zappelndes Spiegelbild an den Wänden.

Ich hatte mich gegen Anzug und Krawatte entschieden.

Jobs in Versicherungsunternehmen sind die Sackgasse eines Mathematikers, hatte Carl gesagt.

Da hatte er Recht. Mein Hobby, das Programmieren von Apps, in einen Tagesjob umzuwandeln, wäre besser, als meinen Lebensunterhalt als Angestellter zu verdienen. Der Gedanke, an einem Ort wie diesem zu schuften, war absurd.

Und sie würden wahrscheinlich wollen, dass alle Angestellten vor 9 Uhr kommen. Ich würde einen früheren Zug nehmen müssen.

Nicht den, bei dem ich die Chance hatte, das Zahnspangenmädchen zu sehen.

Das Abteil kam zum Stehen, die Tür glitt auf und gab den Blick auf einen regenbogenfarbenen Teppich frei, auf dem ein rosafarbener Schalter mit der Aufschrift Empfang in großen, grünen Buchstaben stand.

Die Frau, die dahinter saß, blickte mich lächelnd an. Ihre Farben bildeten eine pastellfarbene Version des Tresens. Sie trug eine hellgrüne Jacke und hatte silberrosa Lippen.

Neben ihr wuchsen zwei mannshohe Palmen mit cartoonhaft dicken Stämmen aus einem badewannenförmigen Topf.

Ich überprüfte die Nummer, die im Aufzug angezeigt wurde. 23. Vielleicht hatte sich der Concierge geirrt. Das sah nicht nach einer Versicherungsgesellschaft aus.

In Ermangelung anderer Möglichkeiten wagte ich mich dennoch auf den Teppich und trat an den Schalter heran.

„Willkommen bei Best Boston Insurances", sagte die Frau und lächelte mich unverwandt an.

Best Boston Insurances —ich war da, wo ich sein sollte.

„Guten Morgen. Ich habe einen Termin mit Liam Lavie", sagte ich. „Mein Name ist Evan Popplewell."

Sie nickte, wählte eine Nummer und tätigte einen Anruf. Wenige Augenblicke später gab sie mir ein hochtrabendes „Er ist gleich bei Ihnen" mit auf den Weg und deutete auf eine bunte Ansammlung von Sitzsäcken auf der anderen Seite der Palmen.

Ich wählte einen gelben und ließ mich in seine weiche Umarmung sinken, so dass mein Kopf auf Kniehöhe eines normalen Menschen lag.

Der badewannenförmige Palmentopf neben mir war eine Badewanne. Und die Palmen waren aus Plastik.

Eine Frau betrat die Lobby und schob einen Einkaufswagen. Ihr Lächeln passte zu dem der Frau an der Rezeption, die anscheinend die Empfangsdame war. Als sie an mir vorbeigehen wollte, blieb sie stehen. „Darf ich Ihnen einen Apfel anbieten?" Sie deutete auf ihre Ladung. Der Wagen war mit Lebensmitteln beladen. „Oder einen Vollkornmuffin mit Bio-Rosinen?"

Ihr Angebot wurde begleitet vom Duft von frisch gebackenen Kohlenhydraten, und es war so unerwartet, dass es mich sprachlos machte. Ihre Mütze saß schief, was ihr ein keckes Aussehen verlieh.

Sie runzelte die Stirn. „Oder ich habe etwas Ingwer..."

Ein sanfter Bariton unterbrach sie. „Niemals mehr als dreißig Meter vom Essen entfernt."

Ich drehte meinen Kopf, um den Neuankömmling anzusehen. Er trug einen indigoblauen Anzug und eine Krawatte und sah wirklich sehr versichert aus.

„Ich bin Liam." Er streckte eine Hand aus. „Lassen Sie mich Ihnen aus der Sitzsackfalle helfen."

Sein fester Händedruck hob mich in eine aufrechte Position. Mit einem Wink seiner anderen Hand entließ er das Mädchen mit dem Essenswagen. „Wie ich schon sagte ... nicht mehr als dreißig Meter vom Essen entfernt. Das ist eine Firmenpolitik. Bei Google sind es fast 46 Meter, also sind wir besser dran." Er zwinkerte mir zu und entließ meine Finger aus dem festen Griff seiner zarten Hände.

Ich versuchte, einen Sinn aus seinen Worten abzuleiten.

„Es bedeutet, dass wir überall am Arbeitsplatz Essen haben", erklärte er. „Kein Mitarbeiter muss weiter als 30 Meter gehen, um etwas zu finden."

Sein schwarzes, geöltes Haar schimmerte in den LED-Scheinwerfern, die an der Decke angebracht waren.

Ich nickte und suchte nach Worten. „Klingt ... fürsorglich."

Er lachte. „Stimmt, das ist es auch. Bei all den Kalorien muss man vorsichtig sein." Er tätschelte seinen festen, flachen Bauch. Dann streckte er einen Arm in Richtung Flur aus. „Ich führe Sie durch die Räumlichkeiten."

„Äh ... danke." Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, mir selbst an den Kopf zu schlagen, ein Kopf, der nicht in der Lage war, Sätze zu bilden, die länger als zwei Worte waren. Ich bemühte mich, einen längeren zu formulieren. „Dieser Ort ist nicht das, was ich erwartet habe."

„Ist es nicht?" Er stieß mich sanft in den Rücken und setzte mich so in Bewegung. „Wir versuchen, anders zu sein. Immerhin sind wir die Besten in Boston."

Die Türen entlang des Flurs standen offen. Als wir sie passierten, gaben sie den Blick auf großzügige Büros frei, in denen Angestellte auf Computerbildschirme starrten, Muffins mampften oder sich unterhielten. Die meisten Männer trugen elegante dunkle Anzüge. Die Frauen bevorzugten gedeckte, aber teure Farben. Ganz anders als das Zahnspangenmädchen.

„Das ist die Chefetage." Liam deutete auf den Boden. „Die unter uns sehen ähnlich aus." Dann auf die Decke. „Über uns gibt es nichts als den Himmel und den Sitzungssaal. Und natürlich das 'Chef's Retreat'... . Das ist das Restaurant für unsere Mitarbeiter. Die besten Köche der Stadt schwingen dort ihre Köchlöffel und Kellen. Wir bieten ihnen eine Auszeit von ihrer regulären Arbeit an, damit sie ihre Künste in unserem Restaurant ausüben können."

Ich war immer noch sprachlos, als wir um eine Ecke bogen und in einen hellen Raum traten, der größer war als das Foyer der Universität. Er war mit einer Vielzahl von Möbeln ausgestattet — Sessel, Schrägbänke, Hängekörbe, weitere Sitzsäcke und sogar Betten. Dazwischen standen Tische mit Essen, Lesestoff und Topfpflanzen.

Es dominierten knallige Farben und poliertes Metall. Doch rustikale Akzente — wie gewachstes Holz und gestrickte Stoffe — forderten sie heraus.

Ein paar Angestellte waren zu sehen. Die meisten von ihnen saßen schweigend und entspannt, eine Gruppe lachte leise, und ein Mann hing an etwas, das wie ein Trapez aussah.

An einer Seite des Raums boten eine Reihe von raumhohen Fenstern einen Blick auf die Innenstadt und das leuchtende Meer unter einer Kuppel von makellosem Blau.

„Willkommen im Chillaxium." Liam breitete seine Hände aus und umfasste damit die vielfältige Sitzlandschaft. „Sie können sich einen Platz für unser Gespräch aussuchen."

Die Aussicht zog mich an, und ich suchte mir einen Platz in der Nähe der Fenster. Ich mied die modernen Optionen und wählte ein breites Sofa, auf dem eine altmodische Quiltdecke lag und das an Seilen von der Decke herabhing. Es sah aus wie eine Mischung aus „Unsere kleine Farm" und „Fluch der Karibik".

Die weiche Füllung empfing mein Gesäß mit sanfter Fürsorge.

Die sonnengegerbten Gebäude und das Meer zu unseren Füßen raubten mir den Atem.

Einen Moment lang saßen Liam und ich einfach nur da und schaukelten sanft hin und her.

Auf einem kleinen Tisch neben dem Sofa lag ein Stapel Zeitschriften. Nein, nicht Zeitschriften — Comics. Das oberste Heft zeigte eine rosahaarige Heldin mit riesigen Augen, die mit einem Außerirdischen mit Tentakeln kämpfte.

Sie erinnerte mich an jemanden. „Haben Sie feste Zeiten, zu denen die Leute morgens hier sein müssen?"

„Die Kernzeit beginnt um zehn. Warum fragen Sie?"

„Reine Neugier", sagte ich und unterdrückte ein Grinsen.

Spät genug, um meinen üblichen Zug zu nehmen. Den, in dem ich die Zahnspange sehen könnte.

Ich fragte mich, was sie von einem Kerl halten würde, der an einem so coolen Ort wie diesem arbeitete, weit über den Dächern der Stadt.

„Sie scheinen sich darüber sehr zu freuen", sagte Liam.

Ich versuchte, mein Grinsen zu verbergen, und zuckte mit den Schultern. „Oh, ich bin kein Frühaufsteher."

Er gluckste. „Wir haben hier einen wunderbar anpassungsfähigen Arbeitsplatz. Und jetzt ..." Er lehnte sich auf dem Sofa zurück und verschränkte die Arme. „Erzählen Sie mir von Ihren Plänen, die spielerische Seele der Mathematik mit dem stählernen Muskel der Wirtschaft zu verschmelzen, und wie Sie mit der scharfen Klinge der Statistik das zufällige Risiko reduzieren wollen."

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