20. September, 09:33 Uhr: Evan
„Die Stadt, Yoda liebt." Janice hielt ihre Baby-Yoda-Figur an das Zugfenster und zeigte ihr die Gebäude, an denen wir vorbei fuhren.
Sie saß neben mir, auf meinem Lieblingssitz. Ich hatte ihn ihr wegen der besseren Aussicht überlassen.
„Ich liebe die Stadt auch", sagte ich.
„Warum bist du dann weggezogen, nach Alewife?"
Ich zerzauste ihre Locken - sie hatten wieder ihren mausbraunen Farbton angenommen. Helen hatte die letzten grünen Farbmoleküle vor Wochen aus ihnen herausgeschrubbt.
„Du weißt, warum, Süße. Mom und ich sind nicht mehr miteinander ausgekommen."
Sie zuckte mit den Schultern, ohne ihren Blick von der Szenerie draußen abzuwenden. Seit meiner Geburtstagsparty hatte sie nicht aufgehört, mich daran zu erinnern, dass Helen und ich wieder zusammenkommen könnten.
Unsere Scheidungsberaterin Bellona hatte vorausgesagt, dass Janice auf diese Weise reagieren würde. Und bei ihrem Stundenhonorar sollte diese Frau besser Recht behalten.
Bellona hatte auch vorhergesagt, dass Helen und ich uns auseinanderleben würden. Und damit hatte sie sich geirrt. Ich sah Helen in diesen Tagen öfter als zu unserer Ehezeit. Es war irgendwie einfacher, jetzt, wo wir beide unseren eigenen Rückzugsraum hatten.
„Aber jetzt versteht ihr euch doch, Mama und du. Sie schimpft nicht mehr mit dir." Janice und Baby Yoda sahen mich beide neugierig an.
Es war an der Zeit, das Thema zu wechseln.
„Baby Yoda wird die Versicherungsgesellschaft lieben", sagte ich.
Es war der Tag, an dem wir unsere Töchter und Söhne zur Arbeit mitbringen konnten. Und das tat ich nun. Janice würde bald eine Lunge voll steriler, klimatisierter Büroluft abbekommen.
„Was macht eine Versicherungsgesellschaft?"
Sie kassiert dein Geld, wenn alles gut läuft, und findet Gründe, dich nicht zu bezahlen, wenn die Kacke am Dampfen ist.
Ich entschied mich für eine einfachere Erklärung. „Sie hilft Menschen, wenn sie Pech haben. Und im Gegenzug zahlen die Leute, wenn sie Glück haben."
Sie sah Baby Yoda stirnrunzelnd an. Baby Yoda sah sie an, sein Gesichtsausdruck war ein eingefrorenes halbes Lächeln.
„Es ist so, als ob Baby Yoda dir jeden Monat einen Groschen zahlt", erklärte ich. „Und wenn er krank wird, bezahlst du im Gegenzug seinen Arzt."
„Aber könnte er die Cents nicht einfach in seinem Sparschwein sparen und den Arzt selbst bezahlen?"
Die Nichtlinearität zwischen der wirtschaftlichen Belastung und den monetären Kosten würde den Sparschwein-Ansatz unklug erscheinen lassen. Glücklicherweise wechselte Janice jedoch das Thema, bevor ich mir eine Antwort überlegen musste.
„Warum arbeitest du dann nicht gerne bei der Versicherung, Dad?", fragte sie.
Ihre Aussage überraschte mich. „Aber ich mag es doch dort."
„Erst gestern hast du mir gesagt, du würdest lieber das Zahlenspiel beenden, als zur Arbeit zu gehen."
„Stimmt." Ich schmunzelte. „Aber dieses Spiel bringt mir kein Geld, um dich zu ernähren und einzukleiden."
Davon abgesehen hatte Janice mich aber richtig verstanden. Warriors of Math war fast fertig. Und meiner Tochter beim Spielen des Prototyps zuzusehen und über Adas Kostüm zu lachen — ich hatte ihr ein Breitschwert und ein rot-goldenes Heldinnenkleid geschenkt —hatte viel mehr Spaß gemacht als jede Risikoberechnung, die die Versicherung anbieten konnte.
Janice ignorierte das Thema jedoch und drückte ihr Gesicht gegen das Fenster, als wir in Charles/MGH einfuhren.
Ich hatte Zahnspange den ganzen Sommer über nicht gesehen. Wahrscheinlich hatte sich ihr Leben verändert und sie woanders hingeführt. Trotzdem klopfte mein Herz jedes Mal, wenn ich einen Zug auf dem anderen Gleis des Bahnhofs stehen sah.
So wie heute.
Als unser Fahrzeug anhielt, beäugte ich gespannt das Abteil neben uns.
Zwei Nonnen, ein Ganove und ein Achtzigjähriger — ein Stillleben, wie es nur die Großstadt bieten kann.
Aber ohne sie.
Unser Zug rumpelte und schob sich noch mal vorwärts wie ein Drache, der mit seiner Behausung unzufrieden ist.
Eine der Nonnen bohrte mit dem Finger in einem ihrer Nasenlöcher, als sie aus unserem Blickfeld verschwand.
Das nächste Fenster kroch heran, und der Zug hielt endgültig an.
In dem neuen Abteil saßen drei Anzugträger und eine nachtschwarze Mähne.
Letztere verfügte über eine Knubbelnase — der Nase von Zahnspange. Ihr blasses Gesicht und die schmalen Lippen gaben ihr einen grimmigen Ausdruck.
„Oh, sieh mal!" Janice und Baby Yoda nahmen das Fenster noch mehr in Beschlag. Sie zeigte auf die Frau und versperrte mir fast die Sicht.
Oh ja, ich war schon damit beschäftigt, sie anzuschauen. Aber warum sollte meine Tochter sie auch noch bemerken?
„Ihr Oberteil", sagte sie wie als Antwort auf meine unausgesprochene Frage.
Dann sah ich es. Auf ihrem T-Shirt - so schwarz wie ihr Haar - war ein Baby-Yoda aufgedruckt. Ihr Baby Yoda knabberte an einem Frosch und war mit einem erklärenden Text versehen, auf dem stand: Feed me and Tell me I'm Pretty.
Janice winkte mit unserem eigenen kleinen Yoda und versuchte, die Aufmerksamkeit von Zahnspange zu erregen. Sie sah zu uns herüber und ihr Gesicht erhellte sich.
Ich lächelte zurück.
Sie zeigte auf ihr Oberteil, formte dann ihre Finger zu einem Herz und strahlte meine Tochter an.
Wahrscheinlich hatte sie mich gar nicht gesehen, aber mein Herz machte einen Sprung beim metallischen Funkeln ihres Lächelns.
„Sieh mal, Papa! Sie liebt Baby-Yoda auch!" Meine Tochter klemmte ihr Plüschtier zwischen ihre Brust und das Fenster, und dann machte sie selbst ein Fingerherz.
Ich stand auf, legte meine Hände auf ihre Schultern und legte meinen Kopf über ihren.
Helen hatte recht gehabt, damals vor meiner Geburtstagsfeier. Wenn wir etwas richtig gemacht hatten, dann war es Janice. Einfach nur hinter ihr zu stehen, hier und jetzt, erfüllte mich mit einer unbeschreiblichen Freude.
Zahnspange kramte in ihrer Tasche und holte ein Päckchen heraus, mit... was war das? Sie zog zwei dicke, kurze Schnüre heraus - rot und grün.
„Oh, sieh mal, sie hat Gummiwürmer!", sagte Janice.
Sie steckte die Enden in ihren Mund. Einen Moment lang hingen sie dort. Eine Sekunde später waren sie weg, eingesaugt und hinter ihren dunkel geschminkten Lippen gefangen.
Meine Tochter kicherte. „Sie verschluckt sie. So wie Baby Yoda die Frösche frisst."
Offensichtlich konnte Janice meine Zuggefährtin besser deuten als ich.
Ich winkte und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
Als Zahnspange aufblickte und mich sah, blieb ihr der Mund offen stehen. Dann kehrte das Lächeln zurück. Sie zeigte auf Janice und dann auf mich, ihre Augen waren voller Fragen.
Diesmal konnte ich die Bedeutung ihrer Gesten erraten und nickte. Sie hatte erkannt, dass Janice meine Tochter war.
Ich grinste. Noch nie hatte mich das Vatersein so stolz gemacht.
Als sich ihr Zug in Bewegung setzte, zeigte sie uns zwei Daumen nach oben und behielt diese Geste bei, als sie aus dem Blickfeld verschwand.
„Oh, sie fährt weg." Baby Yoda sank auf die Fensterbank, und meine Tochter drehte sich um und fragte mich mit ihren großen, braunen Augen. „Kennst du sie? Sie hat dich angelächelt."
„Ja, Süße, ich kenne sie." Ich setzte mich wieder hin.
Die Augen meiner Tochter wurden noch größer. „Cool. Weil ich sie mag. Wie heißt sie denn?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, ich weiß es nicht."
Sie runzelte die Stirn. „Und was macht sie beruflich? Hat sie Kinder? Was ist ihr Job? Bist du ... mit ihr zusammen?"
Ich lehnte mich zurück und schaute auf den leeren Sitz mir gegenüber — das rote Kunstleder gab keine Antwort.
„Ich weiß nicht, ob sie Kinder hat", sagte ich. „Und ich weiß nicht, was sie arbeitet. Aber das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war sie als Wonder Woman verkleidet."
Janices kleine Faust schlug gegen meinen Arm, und sie sah mich finster an. „Du machst Witze, Dad. Du kennst diese nette Dame überhaupt nicht."
Baby Yoda sprang auf meinen Schoß, geführt von seinem Frauchen, und schüttelte seinen großohrigen Kopf zu mir, sein Blick schwer vorwurfsvoll.
„Baby Yoda, ich mache keine Scherze", sagte ich zu ihm. „Letztes Mal war sie Wonder Woman. Heute hat sie Frösche gegessen, oder Würmer. Und wer weiß, was sie beim nächsten Mal macht."
Aber sie war verlobt. So viel wusste ich.
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