XXVI

Stolz und mächtig ragten die Mauern des Pelennor in die Höhe. War der graue Stein doch nicht durch Mörtel verbunden, so machte er den Anschein eines gewaltigen, undurchdringlichen Walls. Lizkà, der Anführer des Orkheeres, das Morgoth über Rohan nach Minas Tirith geschickt hatte, sah dies alles, doch es beeindruckte ihn nicht. Der Macht seines Herren war kein Stein dieser Welt gewachsen und spätestens wenn das zweite Heer eintreffen würde, war diese Mauer in Schutt und Asche gelegt. Dennoch stand sie zwischen ihm und seinem Vorhaben, die hohe Zahl der Orks zum Vorteil werden zu lassen, denn die Mauer stand so nah am Ufer des Anduin, dass es beinahe unmöglich war, die Heerscharen Morgoths aufzubauen. Schnell gab er ein paar Anweisungen, dann sah er sich die Mauer näher an. Eines stand fest: Diesen Wall zu durchbrechen, dürfte alles andere als leicht werden, doch die Stunde zum Angriff war schon bald gekommen.

Soeben hatte Thranduil seine Rüstung angelegt und sich mit seinem Schwert, seinem Bogen sowie einem Köcher mit Pfeilen bewaffnet, nun war er schon auf dem Weg zum Platz auf der höchsten Ebene Minas Tiriths. Überall, wo er vorbeikam, trafen die Menschen, Elben und Zwerge Vorbereitungen für die nun unmittelbar bevorstehende Schlacht. Etwas mehr als sechs Wochen war es her, dass sie durch Durin von der Wiedererweckung Morgoths erfahren hatten, nun mussten sie sich seinen Streitkräften in der Schlacht stellen. Überall bewaffneten sich Soldaten, wurden Lazarette angelegt und sogar die ersten Wurfgeschosse für die etwa ein Dutzend Katapulte auf den Mauern der Weißen Stadt beiseite geräumt. Die ganze Stadt bereitete sich auf alle Fälle vor. Er selbst hastete an den Wachen am letzten Tor vorbei, nickte ihnen kurz zu und betrat den Platz. Der weiße Baum Gondors stand, inzwischen etwas verkümmert, mitten auf dem Platz, bewacht von weiteren Wachen. Die Tore des Thronsaals waren weit aufgerissen und König Eldarion saß auf einem robusten Stuhl aus dunklem Holz wenige Meter vor dem Baum. Neben ihm standen seine beiden Kinder und seine Schwiegertochter, zudem der Bote Cugulim und Celeborn. Als Thranduil Celeborn ansah, kam ein mulmiges  Gefühl in ihm auf. So sehr er in den letzten Wochen gelernt hatte, andere zu respektieren und jedem stets freundlich, höflich und zuvorkommend zu begegnen, so hatte er doch wenn er den Fürst Lothlóriens traf, stets ein unangenehmes Gefühl im Bauch. Er erinnerte sich an einen Satz, den ihm Gandalf der Graue einst gesagt hatte: “Der Feind versucht stets, unser Vertrauen in unsere Nächsten zu untergraben. Man muss wissen, welchen Gefühlen man trauen kann und welchen nicht, denn eine Spaltung hilft doch nur dem Feind.“
Hatte Morgoth ihm diese Zweifel ins Herz gelegt? Langsam trat er näher an die kleine Gruppe heran und sah, dass die Stehenden ein angeregtes Gespräch führten, an dem sich Eldarion jedoch nicht beteiligte. Sein Blick ging ins Leere und sein Rücken war gebeugt. Es war deutlich zu sehen, dass das Alter an ihm genagt hatte, sei es an den tiefen Furchen, die sein Gesicht durchzogen oder an dem schneeweißen Haar, das ihn mittlerweile bis auf den Rücken hing. Nun, da Thranduil nur noch wenige Meter von der Gruppe entfernt war, entdeckte er eine dritte Frau in der Runde: Melda, Eldarions Frau, stand links von ihm an seinen Thron gebeugt und hielt seine beiden Hände in den ihren. Auch sie war spürbar gealtert und in ihr einst rehbraunes Haar hatten sich einige wenige graue Strähnen eingeschlichen, genau wie in seines, Thranduils, ja auch. Beide sahen sie auf, als Thranduil nähertrat und auch die restlichen Personen wandten sich um. Erst jetzt fiel dem König der Elben auf, dass abgesehen von Eldarion und Melda alle bereits ihre Rüstung angelegt hatten.
“Es ist an der Zeit“, meinte Thranduil als er zu ihnen trat und sich kurz vor Eldarion verbeugte. “Der Kampf ist wohl nicht mehr fern, nun, da die Heere des Feindes eingetroffen sind.“
“Ihr habt recht, König Thranduil“, meinte Cugulim. “Seit nun fast vierzig Minuten formierten sich die Orks vor der äußersten Mauer. Schon bald wird ihr Angriff beginnen.“
“Uns bleibt keine Zeit zu verlieren“, sagte Celeborn und trat neben Thranduil. “Unsere Truppen verlangen nach ihren Anführern.“
“Dann sollten wir und schleunigst auf den Weg machen“, antwortete Thranduil und wollte sich bereits abwenden, als ihn eine markante, aber durchaus zerbrechliche Stimme aufhielt.
“Denkt an eure Bestimmung. Ihr seid Teil der sieben Gefährten, vergesst dies nicht“, sagte Eldarion. “Der Tod soll euch hier nicht ereilen.“
“Möge die Gunst der Valar euch beschützen“, fügte Melda sanft hinzu und nach einer kurzen Verbeugung gingen Celeborn und Thranduil Seite an Seite in Richtung der Ställe. Schweigend legten sie die kurze Strecke zurück und bestiegen ihre bereits für die Schlacht gerüsteteten Rösser.
“Die Orks werden schrecken vor der Stärke unseres Volkes“, meinte Celeborn, als er den silbernen Helm, den er soeben noch unter dem Arm gehalten hatte, aufsetzte.
“Ich hoffe, ihr irrt euch nicht“, entgegnete Thranduil und presste seine Fersen in die Flanken seines Schinmels, der sofort losritt.
“Glaubt mir, das tue ich nicht“, murmelte der Fürst von Lothlórien, als er Thranduil eingeholt hatte. “Die Elben werden zurückfinden zu alter Stärke.“
Thranduil erwiderte daraufhin nichts, doch ihm war der ganz schwache seltsame Unterton in Celeborns Stimme aufgefallen, bitter und mit einem Hauch Verzweiflung gemischt. Nur das Klackern der Hufe ihrer Pferde begleitete sie auf ihrem Weg durch die unteren Ebenen der Stadt und die inneren Mauern des Pelennor bis hin zum äußersten Mauerring. Dort trennten sich die beiden Elbenfürsten, der eine hielt nach Norden, der andere nach Süden hin. Als Thranduil einen der zwölf Verteidigungstürme erreichte, stoppte er sein Pferd und stieg den Turm hinauf. Auf halber Höhe begegnete ihm Henthôr und begann ihm von den bisherigen Geschehnissen zu berichten.
“Vor gut fünfzig Minuten sind die Orks eingetroffen, inzwischen haben sie sich sortiert“, erzählte er. “Wir schätzen die Stärke des Heeres auf etwa vierzigtausend Orks, mehr als wir erwartet hatten.“
“Wann werden sie mit dem Angriff beginnen?“, fragte Thranduil.
“Wir können es nicht sicher sagen, doch allzu lange kann es nicht mehr dauern.“
“Danke, Henthôr“, meinte der Elbenfürst von Rhovanion und betrat die Plattform am oberen Ende des Turms. Vor ihm erstreckte sich in der Ferne das Schattengebirge, sogar die größtenteils erloschenen Feuer des Orodruin leuchteten schwach in der Ferne. Dunkle, fast schwarze Wolken bedeckten den Himmel und die grünlichen Schwaden des einstigen Minas Morgul sowie die Ruinen Osgiliaths ragten düster in den Nachmittag hinein. Der Anduin floss stetig wie immer durch die ehemalige Hauptstadt Gondors hindurch, doch an dessen westlichen Ufer erstreckte sich das größte Orkheer, das Thranduil jemals gesehen hatte: Reihe um Reihe drängten sich die schwarz gekleideten Gestalten, fast den kompletten Raum zwischen den Bergen, der Mauer und dem Anduin besetzten sie. Niemals zuvor hatte je ein Elb, Mensch, Zwerg oder Hobbit in Mittelerde eine solch gewaltige Streitmacht von Orks auf einmal gesehen und bei ihrem Anblick musste Thranduil schlucken. Dieser Kampf, der bis zuletzt doch noch so fern schien, er war nun zum Greifen nah. Von unten ertönten mehrere Hörner in den grässlichen Lauten der Orks, dann kam Bewegung in die vielen Tausend Gestalten und alle bewegten sich wie ein Mann auf die Mauer zu.

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