VIII
Fünf Tage später
"Wir befinden uns momentan etwa hier", sagte Alassen und deutete auf die Karte, die er zwischen ihnen platziert hatte. "Fünfzehn Meilen südlich von uns liegt das Nordufer des Sees von Evendim, am Südufer des Sees liegt Annúminas."
"Du hast von einem Platz gesprochen, an dem wir mehrere Tage Rast machen könnten...", meinte Aiya und dehnte ihren steifen Rücken. Seit vier Tagen waren sie zwar langsam, dafür aber recht viel marschiert und auch die kalte Luft in der kleinen Höhle, die sie für diese Nacht als Rastplatz gewählt hatten, trug nicht dazu bei, ihre Muskeln zu entspannen.
"Vater erzählte mir manchmal über die Menschen des Nordens", murmelte Alassen, dann räusperte er sich. "Er meinte, dass sich viele Menschen in Dörfern um den See angesiedelt hatten, als die Bedrohung durch Sauron niedergeschlagen worden war."
"Wir suchen ein Dorf mit Menschen, von dem wir nicht wissen, ob es existiert?", brummte Durin in seinen Bart.
"Wir müssen darauf hoffen, dass Eldarions Weisung stimmt", antwortete Thranduil dem Zwerg und lächelte sanft. "Wir alle brauchen eine Pause und einen Ort, an dem wir den letzten Abschnitt unserer Reise planen können."
Durin murmelte etwas Unverständliches, dann nickte er.
"Gut, dann wäre das beschlossen", antwortete Alassen, der das Gespräch genauestens verfolgt hatte. "Morgen früh werden wir aufbrechen."
Ein müdes Nicken bestätigte seine Aussage, dann begannen die Vorbereitungen für die Nacht. Auch wenn der Winter gerade in seinen Hochzeiten stand, war es hier am Rande der Emyn Uial wie so oft ungewohnt warm. Alassen wischte sich den kalten Schweiß, den die Anstrengungen des heutigen Tages zusammen mit den recht warmen, aber doch noch winterlichen Temperaturen, hinterlassen hatten. Inzwischen war es vor der Höhle nahezu vollständig dunkel geworden, die Nacht war über sie hereingebrochen. Alassen ging noch einmal ein kurzes Stück aus der Höhle hinaus, um vor dem Schlaf noch einmal den freien Himmel über sich zu spüren. Nach wenigen Minuten gesellte sich Tingilya, die die erste Wache halten würde, zu ihm.
“Thranduil geht es schon besser“, sagte sie und lächelte ihn an. “Wenn wir ein paar Tage Pause machen, wird er uns danach keine größeren Probleme mehr machen.“
Alassen nickte nur und starrte weiter hinaus in Richtung des kleinen Waldes, der sich zu Füßen der Berge dahinzog.
“Alassen?“, fragte Tingilya verwirrt und sah ihn intensiv an.
“Da draußen ist irgendwas“, flüsterte Alassen mehr zu sich selbst und legte seine Hand auf den Griff seines Schwertes.
“Was meinst du?“, fragte Tingilya und sah ebenfalls in Richtung Wald, doch sie konnte nichts erkennen.
“Bleib hier, ich werde nachsehen“, antwortete er und ging, ohne sich nochmal umzudrehen, auf den Wald zu.
“Alassen!“, rief Tingilya ihm leise hinterher, doch der junge König hatte bereits die ersten Bäume des Wäldchens erreicht. Dort angekommen, stoppte Alassen kurz. Er musste nun absolut lautlos und äußerst vorsichtig agieren. Langsam zog er sein Schwert aus der Scheide, dann ging er vorsichtig in den Wald hinein. Etwa fünfhundert Meter vor sich konnte er ein kleines, flackerndes Licht erkennen, das sich langsam nach links bewegte, begleitet von fernen, kaum hörbaren Rufen. Vorsichtig bewegte er sich auf das Licht zu, das sich bei näherer Betrachtung als Fackel entpuppte. Die Rufe bestanden hauptsächlich aus scharfen Zischlauten und nach kurzer Zeit war Alassen klar, dass es sich bei den Gestalten, die jener Fackel folgten, um Orks handelte musste, von denen er inzwischen nur noch hundertfünfzig Meter entfernt war. Er wusste, dass nun absolute Vorsicht geboten war. Die Orks bewegten sich inzwischen von ihm weg und Alassen folgte ihnen in einem Abstand von etwa einhundert Metern. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass diese Orks hier nicht einfach nur durch die Gegend streunten, sondern dass sie auf der Suche nach etwas waren - oder jemandem. Ein leises Knacken rechts von ihm riss ihn aus seinen Gedanken, hektisch sah er sich um. Weit und breit war keine Spur von etwas, das dieses Geräusch ausgelöst haben könnte und nach einigen Sekunden tiefer Stille und intensiven Umherblickens setzte Alassen seinen Weg fort. Weitere dreihundert Meter im Wald wurden die Orks dann langsamer, so, als hätten sie das Ziel ihrer Reise erreicht. Vorsichtig schlich sich Alassen näher an die Orks heran und konnte einzelne Wortfetzen aufschnappen, doch viel konnte er nicht verstehen. Dann gingen die Orks weiter und als Alassen ihnen mit seinem Blick folgte, blieb ihm der Mund ein wenig offen stehen. Dort, mitten auf einer gewaltigen Lichtung inmitten des Waldes erhob sich eine nicht minder gewaltige Festung, die von einigen Fackeln beleuchtet wurde. Sie erhob sich beinahe über die Wipfel der Bäume und machte auf den ersten Blick den Eindruck sehr hohen Alters. Es schien, als sei diese Festung tausende Jahre alt und auch in etwa so lange nicht mehr benutzt worden, bis die Orks gekommen waren und sie notdürftig für ihre Zwecke hergerichtet hatten. Von Orks wimmelte es dort nur so, dies erkannte Alassen an der Lautstärke und den unzähligen Schatten, die das flackernde Licht des Feuers auf die steinernen Mauern warf. Alassen überlegte kurz, doch er wusste, dass sein Vater ihm niemals von dieser Festung erzählt hatte. Nun, Alassen war auch nur ein einziges Mal nordwestlich des Auenlandes gewesen, damals, um Annúminas, die frühere Hauptstadt Arnors, die seinen Großvater Aragorn als Sommerresidenz gedient hatte, zu besuchen. Dennoch hatte ihm sein Vater unzählige Geschichten über die Menschen des Nordens und ihr Land erzählt und in keiner von ihnen, dessen war sich Alassen sicher, war auch nur ein Wort von einer Festung in den Wäldern gefallen. Ob Eldarion davon nichts geahnt, geschweige denn gewusst hatte? Dies erschien ihm unwahrscheinlich, doch egal, welchen Grund diese Verschwiegenheit auch haben sollte, der Grund dafür, dass all diese Orks sich hier aufhielten, war für Alassen und seine Freude von deutlicher höherer Relevanz. Alassen musste herausfinden, was diese Orks hier wollten. Langsam schob er sein Schwert in die Schade und zog von seinem Bein das Elbenmesser hervor, dass ihm Celeborn zu seiner Hochzeit geschenkt hatte. Bei einer solch schwierigen Mission, bei der er unter keinen Umständen entdeckt werden durfte, würde ihm das kleine, unauffällige Messer deutlich bessere Dienste leisten als das schwarze Schwert. Alassen sah noch einmal zwischen den Büschen hindurch. Die Orks, denen er hierher gefolgt war, hatten inzwischen den restlichen Weg hinter sich gebracht und waren in der Festung verschwunden. Nun war es für ihn an der Zeit, ihnen zu folgen. Alassen atmete noch einmal tief durch, dann schlich er los.
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