XXXV
Alassen bückte sich zu seiner Tasche, die vor ihm auf dem Boden stand. Zwei Tage hatten sie nun im Haus von Lóriel und Lindolór verbracht, über alten Karten gegrübelt und die Prophezeiung ausgelegt, die Tingilya ihnen vorgelesen hatte. Für Alassen war diese Zeit eine Zeit der Erholung gebraucht, auch fühlte er sich seltsam gestärkt. Diese zwei Tage hatten seine Hoffnung gestärkt und die Trauer und Unsicherheit, die in den letzten Tagen über ihrer Gruppe gelegen hatte, war verflogen. Alle blickten sie voller Zuversicht auf die kommenden Wochen. Ihr Ziel war nun klar und der Weg dahin lag deutlich vor ihren Augen. Die Rückschläge, die sie bisher erlitten hatten, waren hart gewesen, doch sie waren vergangen. Schon bald würden diese Probleme der Vergangenheit angehören, außerdem hatten Lóriel und Lindolór ihnen immer wieder gesagt, dass für Celeborn und Théoden immer noch Hoffnung bestand.
"Alassen", rief ihn eine sanfte Stimme, zu der dieses laute Sprechen nicht zu passen schien. Er wandte sich um und erblickte Lóriel, die in der Tür stand und auf ihn zutrat. "Das werdet ihr auf eurem Weg brauchen."
Sie hielt Alassen ein großes Paket hin. Ein Tuch umgab das im Inneren Versteckte. Vorsichtig faltete der junge Mensch es auf und holte ein Gebäck daraus hervor. Es befanden sich Dutzende davon darin, alle etwa handgroß und sehr flach.
"Galadriel reichte deinem Großvater einst Lembas, eine magische Speise der Elben, die schon in kleinen Mengen Kraft und Gemüt stärkt", erklärte sie ihm. "Doch diese Speise ist nur der Königin der Elben vorbehalten. Auch dieses Brot ist mit Magie gebacken, doch sie ist nicht so stark wie diejenige im Lembas. Es wird euch auf eurem Weg immer wieder stärken und aufbauen."
Alassen nickte und sah Lóriel dankbar an.
"Ich danke euch, Lóriel", sagte er und verneigte sich knapp.
Sie antwortete ihm mit einem sanften Nicken, dann deutete sie ihm an, ins Esszimmer zu kommen. Sofort folgte Alassen ihr und setzte sich an den Tisch, an dem Lindolór und die übrigen Gefährten bereits Platz genommen hatten. Alle hatten sie für die bevorstehende Reise gepackt, ihre Kleidung und ihre Waffen hatten sie angelegt. Alles war bereitet für die wohl letzte Etappe ihrer Reise nach Westen.
"Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, werdet ihr aufbrechen müssen", begann Lindolór und lächelte sie alle an. "Eure Reise muss vollendet werden und der Schritt über die Türschwelle, dieser erste Fuß, den ihr auf den Boden außerhalb dieses Raumes setzt, ist der Beginn dieser letzten Reise."
"Seid euch einer Sache immer gewiss: Ihr könnt Morgoth stürzen", sagte Lóriel eindringlich. "Die Prophezeiung bestätigt es und euer Herz sagt euch das Gleiche. Kommt nicht von eurem Weg ab, so hart und schwer er auch sein mag und ihr werdet den Grundstein dafür legen, dass Morgoth erneut aus dieser Welt getilgt wird."
"Wir danken euch", sagte Alassen und verneigte sich tief.
"Dankt nicht uns, Alassen, Eldarions Sohn, Hochkönig von Gondor und Arnor", antwortete Lindolór mit klarer, aber sanfter Stimme. "Die Valar haben euch zu uns geführt, sie haben es uns ermöglicht, in Aiyas Träume vorzudringen. Nur dank ihrer Gunst seid ihr hier und diese möge euch auch auf jenen letzten Wegen eurer langen Reise stets begleiten."
"Seid auf der Hut!" Lóriels Stimme hatte einen warnenden Klang angenommen. "Der Schatten Morgoths schwebt über dieser Welt wie der Wolkenschleier, den er gelegt hat. Wir sind alle zu jeder Zeit in der Gefahr, unter seinen Einfluss zu geraten, stets versucht er, in unsere Herzen einzudringen. Hütet euch vor den einfachen Wegen und den Versuchungen des Bösen! Geht ihr auf eurem Weg nur um ein Winziges fehl, hat die Prophezeiung keine Kraft mehr und diese eure Reise endet für euch alle unweigerlich im Tod."
Ernstes Schweigen erfüllte den Raum. Lóriels Worte hingen schwer und bleiern in der Luft und ließen die Hoffnung der Gefährten sinken.
"Wenn uns diese große Dunkelheit bedroht, wie sollen wir ihr wehren und unsere Prophezeiung erfüllen?", entgegnete Durin mit einem Hauch an Verzweiflung in der Stimme.
Lindolór lächelte ihn sanft an. "Seid ohne Furcht vor dem Schatten Morgoths und er wird euch nichts anhaben können. Alassen sagte es bereits vor der Schlacht, die ihr in Minas Tirith geschlagen habt: Wer für die kämpft, die er liebt, besitzt eine größere Kraft als alles Böse. Seid euch dessen stets bewusst: Wenn ihr scheitert, geht Mittelerde mit all seinen Völkern, seinen grünen Wiesen und Wäldern für immer zugrunde. Ihr seid diejenigen, die diese Lande in eine glorreiche Zukunft führen werden."
"Seid stark! Wenn ihr daran glaubt, dass die Hoffnung zuletzt ihr Ende findet, wird es so sein. Ganz egal, wie groß die Dunkelheit sein mag, das Licht wird immer bestehen bleiben. Setzt eure Hoffnung darauf und ihre werdet siegreich sein", sagte Lóriel, auch auf ihrem Gesicht lag nun ein Lächeln. Eine kurze Stille setzte ein, in der sie über diese Worte nachdachten.
“Thranduil, Durin, ich möchte euch bitten, mich für einen kurzen Moment nach draußen zu begleiten“, sagte Lindolór schließlich freundlich und führten den Zwerg und Elb hinaus. Alassen, Aiya und Tingilya blieben allein mit Lóriel zurück.
“Meine Kinder, holt die Ringe hervor die euer Vater euch einst gab.“
Lóriel lächelte als sie sah, wie die drei Ringe der Macht, die geschmiedet worden waren, um das Volk der Elben zu leiten und zu schützen, an den Händen der drei erschienen.
“Eldarion hat euch nicht grundlos genau diese Ringe gegeben. Die Elemente, denen sie zugeordnet sind, beschreiben euer Schicksal.“
Sanft nahm sie Aiyas rechte Hand in die Ihren und betrachtete den goldenen Ring, der auf deren Ringfinger saß. “Du hast Vilya erhalten, den Ring der Luft. Dein Schicksal strebt selbst gen Himmel, doch es lässt sich leicht verwehen, so wie auch du dich leicht aus der Bahn werfen lässt. Dennoch hast du die Möglichkeit, hoch hinauf zu streben.“
Langsam ging sie weiter zu Tingilya und strich über ihren silbern glänzenden Ring. “Nenya, der Ring des Wassers, ist der Ring, der so vielen Elben ähnlich ist. Wie alle unseres Volkes zieht es auch dich immer weiter zum Meer, doch du kennst deine Aufgabe und willst sie erfüllen. Du versuchst deine Aufgaben mit Wucht zu bewältigen und hältst allem Stand, was dich bedroht, wie das Mithril, aus dem der Ring gefertigt ist. Pass aber auf, dass du nicht in kleinen Nebenflüssen verlierst und die Wucht deiner Wellenberge verlierst, dann wirst du auch im letzten Moment die richtige Entscheidung treffen.“
“Und du, Alassen“, sagte Lóriel, als sie vor ihm trat und seine Hände umschloss, “du trägst den Ring des Feuers, Narya. Du bist dazu bestimmt, für deine Ideale und dein Volk, für das Gute in Mittelerde zu glühen und es mit feurigem Eifer zu verteidigen. Doch jedes Feuer wird einst verlöschen und nur du allein kannst entscheiden, ob es ein letztes Aufflammen vor dem endgültigen Untergang gibt oder nicht.“
Erneut hüllte Schweigen den Raum ein.
“Dies ist euer Schicksal, Kinder Gondors. Es steht seit Jahrtausenden festgeschrieben“, sagte Lóriel lächelnd. “Doch wisset stets, dass das Schicksal eure Zukunft nicht endgültig bestimmt. Ihr könnt einen anderen Weg wählen und in eurem Leben zu anderen Ziel gelangen. Das bedeutet, dass diese Prophezeiung, die euch so sehr quält und deren Aussage für euch so schwer sein mag, letztlich doch nichts anderes ist als das, was ihr sowieso in euren eigenen Händen haltet: eine Botschaft des Schicksals.“
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