XXX
Cugulim perlte der Schweiß von der Stirn, als er die letzten Stufen zum Thronsaal hinaufstieg. Soeben war er von seiner anstrengenden Reise nach Gorothos zurückgekehrt und auch, wenn er sich nun etwas Ruhe wünschte, hatte er Túranto unverzüglich von seinem Auftrag zu berichten. Inzwischen hatte Cugulim die Tatsache, dass er die Istari an Morgoth ausgeliefert hatte, ein wenig verdaut, auch wenn er sich deswegen immer noch Schuld zusprach. Dieser Ort, in dem Morgoth residierte, war ein Ort des Grauens gewesen und Cugulim war nicht wohl dabei, die drei Maiar, mit denen ihn ein freundschaftliches Band verknüpfte, dort zurückzulassen. Auch die tröstenden Worte der Istari, dass er bisher alles zum besten Wohl für Mittelerde getan hatte, änderten daran nichts. Und auch die Reise an sich hatte Spuren in ihm hinterlassen. Wochenlang war er einsam gewesen, hatte mit niemandem wirklich gesprochen. Den Orks hatte er bloße Befehle erteilt und zu den Istari hatte er kaum Zugang gehabt. Es schien, als hätten die Orks nur auf einen Fehler seinerseits gewartet, um ihn, ohne Strafe zu fürchten, umzubringen. Cugulim hatte es zwar geschafft, ohne Fehltritt zu bleiben und die Orks nicht weiter gegen ihn aufzuhetzen, doch ihm war bewusst, dass er einen schweren Stand bei seinen Untergebenen hatte. Ein falsches Wort, eine falsche Entscheidung und ihm würden dutzende Messer im Rücken stecken, dessen war sich Cugulim sicher. Für ihn, der er in einer behüteten, friedlichen Welt aufgewachsen war, bedeutete dies nach dem Trubel der vergangenen Monate einen weiteren Verlust an Sicherheit. Es schien ihm, als stünde er in dieser Welt vollkommen allein da.
Endlich hatte er das Tor des Thronsaales erreicht. Die Wachen regten sich nicht, als er die Flügel des Tores aufstieß und in die düstere Stille eintrat. Kälte schlug ihm aus dem dunklen Raum entgegen und er spürte sein Zittern. In den vergangenen Wochen war der Winter in Mittelerde eingekehrt, doch dadurch, dass Cugulim sich bei Tag und Nacht draußen aufgehalten hatte, machte ihm diese Kälte nicht mehr viel aus. Im Saal jedoch war es noch einmal einige Grad kühler, das dicke Gemäuer hielt die frostige Luft davon ab, nach außen zu dringen. Zusammen mit der Dunkelheit, die ihm hier stets entgegenschlug, verursachte diese Kälte bei Cugulim eine Gänsehaut. Kurz gewöhnte er sich an die Bedingungen der neuen Umgebung, dann setzte er seinen Weg in den hinteren Bereich des Saales fort. Túranto stach wie immer aus dem weiten Raum heraus. Seine schwarze Rüstung, die er nie abzulegen schien, verschluckte auch einen Großteil des noch vorhandenen Lichtes und ließ den Raum noch düsterer wirken. Seine aufragende Gestalt wirkte bedrohlich wie immer und selbst jetzt noch konnte Cugulim sich nur schwer beherrschen, ehrfurchtsvoll zurückweichen. Schließlich hatte er das Ende des langen Saales erreicht und trat vor Túranto hin. Dieser saß erneut auf einem Stuhl auf den Treppen vor dem Thron, an der Stelle, an der stets die Truchsessen Gondors ihren Dienst getan hatten. Cugulim verneigte sich knapp, dann begann er zu sprechen.
"Der Auftrag ist erfüllt."
Túranto, der bis gerade eben den Blick gesenkt hatte, sah auf. Seine Augen blitzten glühend aus dem schwarzen Visier seines Helmes und stachen direkt in Cugulims Gesicht.
"Ich bin zufrieden, Cugulim", antwortete Túranto mit ungewohnt harter Stimme. "Ihr habt eure Treue unter Beweis gestellt."
"Ich danke euch", antwortete Cugulim und sah den Maiar starr an. Er spürte, dass dieses Gespräch noch längst nicht vorbei war.
"Seid ihr auf irgendwelche Unannehmlichkeiten gestoßen?", fragte Túranto und sah ihn durchdringend an.
Cugulim überlegte kurz. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet und er spürte, dass sich dahinter mehr verbarg.
"Sprecht!", forderte Túranto ihn harsch auf. Offenbar hatte er Cugulims Zögern als ja interpretiert.
"Es gab durchaus... einige Probleme", sagte Cugulim zögernd. "Der Wintereinfall hat uns hart zugesetzt."
"Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr auf eurer ersten Mission als Diener Morgoths keine Probleme mit euren Untergebenen hattet", sagte Túranto scharf.
Diener Morgoths? Cugulim schnaubte innerlich auf, doch hütete er sich, Túrantos schlechte Laune weiter zu erhöhen. "Es lief durchaus nicht alles perfekt."
"Was nicht anders zu erwarten war", entgegnete Túranto nun etwas ruhiger. "Eine durchaus wichtige Information für die kommenden Monate."
"Was meint ihr?", fragte Cugulim verwirrt.
Langsam erhob sich Túranto aus seinem Stuhl, um die Stufen des Thrones hinabzuschreiten. Mit schweren Schritten ging er an Cugulim vorbei zum Eingang des Saales. Cugulim eilte ihm hierher, während seine Verwirrung mit jedem Schritt, den Túranto in Richtung des Tores tat, wuchs. Wuchtig öffnete der schwarze Maiar den rechten Flügel des Tores und trat hinaus. Ein scharfer Wind schlug Cugulim entgegen, als er ebenfalls ins Freie trat. Rasch überquerte Túranto den Vorplatz des Thronsaales und ging bis zur Brüstung des steinernen Keiles, der sich von unten bis an die Spitze durch Minas Tirith zog. Cugulim blieb in respektvollem Abstand hinter ihm stehen, während Túranto seine Hände auf die Brüstung legte. Schweigend beobachtete er den Maiar, der seinen Blick über die umliegenden Länder schweifen ließ. Es war ein ruhiger und schöner Tag, das Strahlen der Sonne war durch die dichte Wolkendecke zu erahnen. Der Tag war heller als die meisten vergangenen und Cugulim konnte sogar die feurigen Überreste des Orodruin in der Ferne erahnen.
"Mittelerde ist in der Hand Morgoths und dennoch ist die Treue seiner Untergebenen nicht ungeteilt", sprach Túranto, den Blick weiterhin nach vorne gerichtet. Cugulim schluckte. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass Túranto ihn in diesen Satz mit einschloss.
Der Maiar drehte sich zu Cugulim um und fuhr mit harter Stimme fort: "Eine solche Treulosigkeit werde ich nicht dulden."
Er machte eine kurze Pause, die Cugulim beinahe um den Verstand brachte. Der Mensch musste sich beherrschen, nicht ängstlich wegzulaufen.
"Ich werde in den Osten reisen, in die Lande von Rhûn und Khand. Arnasûl, der Fürst, den mein Herr für diese Völker eingesetzt hat, ist ein schwacher Herrscher und nicht würdig, Diener Morgoths genannt zu werden. Ich werde seiner Herrschaft ein Ende setzen", erklärte er, dann sah er Cugulim direkt an. "Ich werde auch nach Umbar und Harad gehen müssen, auch von dort hört man immer wieder schlechte Kunde. Es wird wohl einige Monate dauern, bis ich zurückkehre. In dieser Zeit wirst du den Oberbefehl über Minas Tirith erhalten."
Cugulim zögerte kurz, dann nickte er. Wenn er Túrantos Vertrauen behalten wollte, musste er diese Rolle weiterspielen.
“Was ist mit dem Problem, von dem ich euch erzählte?“, fragte er deshalb. “Es wird schwer für mich, diese Gegend zu verwalten, wenn ich nicht einmal meinen höchsten Untergebenen vertrauen kann.“
Túranto nickte bloß. “Ich werde euch Menschen aus Umbar und Harad zur Seite stellen. Sie werden euch unterstützen.“
“Ich danke euch“, antwortete Cugulim und verneigte sich. Auch wenn ihm diese neue Situation nicht ganz geheuer war, bildete sich in seinem Kopf ein Plan. Vielleicht hatten die Istari recht und seine Position könnte ihm bei der Rettung Mittelerdes noch äußerst nützlich werden.
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