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Wie jeden Morgen wurde ich wach, bevor mein Wecker klingelte und kroch im Morgengrauen aus dem Bett. Albträume hatten mir wie immer einen unruhigen Schlaf beschert. Schuldgefühle erschwerten mir das Atmen. Selbsthass ließ mich nervös und unruhig werden.

Es war kalt in meiner Wohnung. So, wie es mir am besten gefiel. 

Wärme führte zu Gemütlichkeit und Geborgenheit. So etwas stand mir aber nicht zu und deswegen war ich sehr darauf bedacht, möglichst davon Abstand zu nehmen.

Mein Morgen bestand aus einer festen Routine, die ich nie abänderte. Nie.

Ich machte die Kaffeemaschine an, schob ein Brot in meinen Toaster und ging ins Bad. Zwei Minuten und zweiundvierzig Sekunden brauchte ich, um mich mit kaltem Wasser zu duschen. Jeden Tag.

Halb angezogen, aber mit noch nassen Haaren, ließ ich mir die erste Tasse Kaffee des Morgens durchlaufen, gab dem Brot noch eine Runde im Toaster und sah aus dem Fenster. 

Es regnete. Die Bäume wurden von einem starken Wind hin und her gepeitscht. Der graue, wolkenverhangene Himmel lag bleischwer über der Stadt.

Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit, als ich einen brühwarmen Schluck von meinem Kaffee nahm, die Tasse wieder abstellte und ins Bad ging. Ich putzte meine Zähne, rasierte mich, föhnte meine Haare, kämmte sie und wie jeden Tag gelte ich sie nach hinten.

Ich mied es dabei, mich im Spiegel genauer zu betrachten. Meine Mutter hatte immer gesagt, dass ich gut aussah. Dass mein schön geschwungener Mund sinnlich und hart zugleich wirkte. Dass meine dunklen Augen etwas Geheimnisvolles hatten. Dass mein Kiefer männlich wirkte. Dass ich eine aristokratische Aura versprühte. Dass ich der Traum jedes Mädchens, jeder Frau wäre.

Doch das war eine glatte Lüge.

Und spätestens wenn diese Mädchen in meine tiefschwarze Seele geblickt hatten, würden sie mich verachten. Mein Aussehen wäre ohne Bedeutung.

Ich zog mein Hemd an und band mir meine Krawatte, wieder ohne mein Gesicht im Spiegel zu genau zu betrachten. Es würde mich nur an all das erinnern, was ich nie hatte und nie haben würde.

Ich ging wieder in die Küche, band mir im Gehen meine Uhr um und trank von meinem Kaffee. 

Ich nahm mein Brot aus dem Toaster und aß es so, ohne etwas darauf zu tun. Fünf trockene Bisse später leerte ich meine Tasse und sah auf die Uhr. 

Auf die Minute exakt – wie jeden Morgen.

Ohne große Lust zog ich mir mein Jackett über und versuchte, mich auf einen neuen Tag in der Hölle vorzubereiten. 

Ich hasste meine Arbeit. Ich hasste meine Kollegen. Ich hasste es, mich aus meiner Wohnung begeben zu müssen. Ich hasste es, mit anderen Menschen Kontakt zu haben. Ihre Dummheit über mich ergehen zu lassen. Zu versuchen, mich auch nur ein wenig zu beherrschen.

Ich wollte keinem gegenüber nett sein. Ich war es auch nie. 

Denn im Endeffekt war es mir egal. Sollten sie mich halt nicht mögen. Sollten sie mich doch feuern. Dann war ich wenigstens diesen Scheiß Job los.

Abteilungsleiter der Verwaltung. 

Pff. Das war ja wohl die größte Verarsche der menschlichen Geschichte. Noch erbärmlicher als mein ohnehin schon beschissenes Leben.

Mir war immer noch nicht klar, welcher Idiot entschieden hatte, genau mich zu befördern. Mr. Hunter hatte es mir mitgeteilt, gleich nachdem er als Geschäftsführer beigetreten war. Doch wahrscheinlich hatte der alte Chef noch sein Vermächtnis genau geplant.

Und wie dumm alle meine Kollegen doch waren. Sie verstanden nichts. Rein gar nichts.

Erzählten hinter meinem Rücken, dass ich eifersüchtig auf meine Kollegin Hayley war, weil sie in so jungen Jahren einen bedeutungsvolleren Posten hatte als ich.

Aufgebracht schüttelte ich den Kopf, als ich mir meinen Mantel überzog, einen Regenschirm zur Hand nahm und die Wohnung verließ, nachdem ich alle Lichter und Küchengeräte ausgeschaltet hatte.

Sie schnallten einfach nichts. Gar nichts. Sie wussten nichts über das Geheimnis, das ich mit mir rumtrug. Verstanden nicht, dass ich keine Verantwortung wollte, die mich dazu zwang, noch sozialer sein zu müssen.

Und dumm wie sie alle waren, würde sich das in Zukunft wahrscheinlich so schnell auch nicht ändern.

Es war ein hoffnungsloser Fall.

Ich war ein hoffnungsloser Fall.

Die Wut baute sich immer mehr in mir auf. Mein Selbsthass begann wie jeden Morgen auf alle anderen über zu gehen. 

Die Fußgänger, die mir über den Weg zur U-Bahn liefen. Die Autofahrer, die so viel schneller als ich vorankamen. Sogar diese scheiß weiß und braun gestreifte Katze, die ihre Pfoten abschleckte, als wäre das Leben die reinste Freude.

Vielleicht sollte ich diese Kreatur einmal vor ein Auto werfen. Dann würde sie schon sehen, was dabei herauskam. 

Wie üblich begann ich zu zittern, als ich das Gebäude des Verlages "Desmond" sah. Groß und bedrohlich ragte es vor mir auf. Strahlte diese naive Weltanschauung aus, von wegen mit Geld und Erfolg und einem guten Ruf würde man glücklich werden. 

Ich hasste mein Leben. Es war die reinste Hölle.

Als ich den Verlag betrat und die Treppe nach oben in die Verwaltung ging, überlegte ich, wie ich heute wieder auch das Leben aller anderen zur Hölle machen konnte.

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