Der Geplagte
In dieser Nacht nahmen die Albträume ein anderes Ausmaß an. Sie blieben mir ausnahmsweise allesamt im Gedächtnis, so dass sie mich am nächsten Morgen weiter quälten.
Ich träumte davon im Rennen, das mir mein heutiges Leben ermöglicht hatte, gegen den Knappen mit der Krähe, innerhalb der roten Sonne auf dem Wappenrock, zu verlieren. Als Nächstes wurde mein Anwesen von einem Blitz getroffen und brannte bis auf die Grundfesten herunter. Dann sah ich einen Bediensteten, der mich verließ und wie ihm nach und nach alle folgten. Während ich im Traum in den Spiegel blickte, erkannte ich, dass mein Gesicht eingesunken war. Die Tränensäcke hatten das untere Ende der Nase erreicht. Dann zerfloss die Fratze und der Nachtmahr mündete in einem anderen.
Die Welt der Träume bestrafte mich, warf Verlustfantasien und obskure Kreaturen nach mir, doch ich rannte vor ihnen davon. Matsch füllte meine Stiefel, während sich die Jahreszeiten wandelten und dieser gefror. Der Boden war zu Eis geworden, über das ich schlitternd hinwegging, bis es einbrach und die Kälte eines Sees mich umgab. Das Licht verkümmerte vor mir, während etwas an meinen Füßen zog. Der Ruck zerrte mich in die Tiefen einer Grotte, die dunkler war als jede sternenleere Nacht. Da hastete eine Laterne auf mich zu und während ich vor Schreck stolperte, landete ich in einem Bett, das unter meinem Gewicht zusammenbrach.
Äste gruben sich in mein Fleisch, während die Bäume des Henkersforsts versuchten, nach mir zu greifen. Unsanft kam ich am Boden an und war umgeben von ineinander verwobenen Stämmen. Nirgendwo hin konnte ich fliehen. Plötzlich brach der Untergrund auf und ein Kopf mit Würmern in den Augen presste sich durch den herabrieselnden Dreck. Ich schreckte auf und lag schweißdurchtränkt in meinem Schlafgemach.
Eine Gestalt mit einer beruhigenden Präsenz saß am Bettrand. Sie war in Schatten gehüllt, welche von den Vorhängen geworfen wurden. Ich blinzelte und versuchte meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Person drehte sich zu mir. Ihre Kleidung glich der meinen, mit den verzierten Stickereien einer förmlichen Tunika und dem dazu passenden Gürtel. Das Gesicht hingegen entstammte einer anderen Welt.
Was mich dort anstarrte, hatte sich dem Leichenkönig widersetzt und blieb im Leben verankert, obwohl es längst des Todes war. Das Gesicht mutete einem vergammelten Apfel an. Nur statt Schimmel an der Oberfläche zogen sich verkrustete Haut, Bläschen, Schwellungen und eiternde Hügel darüber. Haare existierten so gut wie keine mehr und wenn doch quollen sie dick, wie die Borsten eines Wildschweins aus Orten, an denen sie nicht hätten sein sollen. Die Hörmuscheln glichen aufgequollenen Lappen, die lose herabhingen. Unterhalb der Augen, von der rötlichen Nase aus, bis zu den Ohren, zogen sich an beiden Seiten weiße Fäden, genau wie unter der Lippe.
Das Fleisch war verrottet und Muskeln zeigten sich darunter. Als es zu sprechen begann, strafften sie sich am Hals und traten hervor. Der Anblick ließ mir das Blut gefrieren, machte mich völlig bewegungsunfähig.
„Du weißt, was du getan hast", sprach das gequälte Wesen, mit staubtrockener Stimme. Es war nicht dankbar für seine Erlösung oder erzürnt über das eigene Schicksal. Der Läufer mahnte mich. Falls das Gesicht zusätzlich zum Klang der Worte etwas ausgedrückt hätte, wäre es nicht zu erkennen gewesen.
Ein Lichtstrahl blendete mich und verschwand dann erneut hinter einer Wolke. Es war Tag. Die Sonne stand am oberen Rand des Fensters und die Kreatur war verschwunden. Der Schlafmangel hatte mir jedes Gefühl für Zeit und Wirklichkeit geraubt. Für mich war es nicht mehr zu unterscheiden, ob ich Erscheinungen im Hellen oder Dunklen sah, noch ob ich im wachen Zustand fantasierte.
Der Zustand hielt für einige Tage an, bis sich mein Ebenbild im Spiegel, dem aus den Träumen anpasste. Ich versuchte, meine Gemächer zu verlassen, etwas zu essen, durch den Garten zu streifen und sogar Gespräche mit den Dienern zu führen. Nutzlos. Nichts davon erfreute mich. Was nütze einem Reichtum, wenn man keine Empfindungen dabei spürte?
Wie durch ein trübes Glas betrachtete ich meinen Alltag. Die einst vorzüglichen Gerichte waren fad geworden, doch so oft ich veranlasste sie nachwürzen zu lassen, fanden sie nie ihren vergangenen Genuss. Die Blumen rund um mein Anwesen wirkten trist, die Felder kahl, der Himmel war wolkenleer oder besäumt mit grauen, unförmigen Geschöpfen, die mich in ruhelosen Nächten jagten. Ich konnte mir bei meinem eigenen geistigen Verfall zusehen. Der Lebensmut tropfte mir aus den Armen, hinab in eine bedeutungslose Welt.
Ein mancher hätte sich an meiner statt an die Familie, alte Kumpanen, gute Freundinnen oder vergangene Liebschaften gewandt, zu denen man einen respektvollen Umgang beigehalten hatte. Ich ließ mir eine Priesterin rufen, einen Heilkundigen und einen Bader, der mich wusch und versuchte die Übel aus meinem Fleisch zu treiben, indem er mich exotische Dämpfe einatmen ließ.
Es war nicht gänzlich wirkungslos. Tatendrang kehrte in meine Glieder zurück, während mein Geist versuchte, mit der Vergangenheit abzuschließen. Ein Krampf im Rücken, anschließend im Bein, das Keuchen, das ich von mir gab, wenn ich die knarzenden Treppenstufen erklomm und das entspannte Ausatmen, wenn ich mich in einen Sessel niederließ, wirkten dem entgegen.
Das Alter machte sich bemerkbar. Mit dem, was ich besaß und erwirtschaftete, brauchte ich es nicht zu fürchten und dennoch quälte mich der Gedanke. Für mich war es, als ob ich die Freiheit verlor, mit der schwindenden Fähigkeit zu laufen.
Der Winter bracht herein und während die Morgen düster, die Mittage trostlos und die Abende frostig wurden, saß ich am Feuer und starrte auf die Glut. Ein Gedanke bohrte sich in meinen Kopf. Während ich mit dem Schürhaken das brüchige Holz teilte und mich durch die Asche grub, leuchtete etwas Rotes durch das Weiß.
Meine Ahnung hatte sich bestätigt. Völlig unversehrt von den Flammen lag dort ein purpurner Fetzen Stoff. Er war an einem Ende gerissen und gehörte zu einem längeren Stück. Die Dicke und Form deuteten auf eine Art Band hin. Bei genauem betrachten, befanden sich unter den dunklen Farben, auch hellere Rottöne. Ein Muster.
Ich ließ es durch meine Finger gleiten und das weiche Material schmiegte sich an diese. Es hatte etwas von Samt und glänzte im Mondlicht. Die Formen der miteinander verwobenen Fasern hatten eine hypnotische Wirkung auf mich und egal wie lang ich sie anstarrte, gelang es mir nicht auszumachen, was sie abbildeten.
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