Der Entzünder

Hastig trat ich ins Licht. Mit zugekniffenen Augen stolperte ich weiter, bis meine Sandalen den Pfad verließen und auf Gras trafen. Ich stoppte. Zögerlich öffnete ich meine Lider und blinzelte heftig. Als die Sicht aufklarte, wandte ich mich um und blickte zum Höhleneingang. Er sah so aus, wie am Morgen des Tages. Für zwei, drei Herzschläge verlor ich mich in der undurchdringlichen Dunkelheit, dann löste ich meine Augen und ließ den Schrecken hinter mir.

Ohne die hohe Anspannung gelang es mir, den Pfad zu finden, der aus dem Wald führte und ich machte mich auf einen ereignislosen Rückweg. Während diesem traf ich eine folgenschwere Entscheidung, deren volles Ausmaß sich mir erst jetzt erschließt. Ich verdammte den Läufer zum Tode.

Zurück in meinem Anwesen ließ ich mich verarzten und wechselte meine Kleidung. Ich erzählte niemandem, was mir zugestoßen war, egal wie oft die Bediensteten danach fragte. Dann ritt ich zur nächstgrößeren Stadt und forderte einen Gefallen bei einem Lehnsherrn an, der mir ein Gespräch mit dem Ortsvorsteher verschaffte.

Lang und breit erklärte ich diesem den Vorfall, beschrieb in einer emotionalen Rede, was mir zugestoßen war und entblößte meinen Rücken, um die frischen Verletzungen zu zeigen. Jede Bewegung schmerzte mich, doch Entschlossenheit ließ mich dies aushalten. Während ich geflohen war, hatte mein Körper die Schmerzen ausgeblendet, doch sobald die Gefahrensituation vorbei gewesen war, setzten sie erneut ein.

Ich nutzte alle Mittel, die mir zur Verfügung standen. Mit Erfolg. Nur zwei Tage später, nach einer Absprache mit dem Stadtrat und dem Wachvorsteher, wurde ein Dutzend Wachleute bereitgemacht und in den Henkersforst geschickt. Mit Laternen ausgestattet und einer Verkünderin, welche die Anklage vorm Eingang der Höhle verlas, marschierten sie ein.

Entweihung des Friedwalds, Leichenschändung, Tötungsversuch, Verletzung des Fleisches und Geistes, sowie abnormale, unkirchliche Praktiken wurden dem Läufer vorgeworfen. Was mit ihm passierte weiß niemand so genau. Als die Truppe zurückkehrte, kamen die Wachen ohne einen Gefangenen.

Manche erzählen davon, dass es sich bei dem Mann um keinen Hemnan gehandelt hatte, wieder andere schwören auf eine Krankheit des Geistes und Körpers, doch alle Berichte sind sich darüber einig, dass etwas zutiefst Verstörendes in seiner Natur lag. Was in der Höhle passierte, wird von Wache zu Wache unterschiedlich erzählt. Manche berichten davon angegriffen worden zu sein, wieder andere behaupten er wollte fliehen, manche sind sich sicher, er sei nur unbeweglich dagestanden.

Es war Chaos ausgebrochen, Lampen erloschen, manche waren gestolpert, wieder andere vor Angst aus der Grotte geflohen. Der Leichnam war mit Lampenöl übergossen und verbrannt worden. Niemand vom Trupp war dabei draufgegangen und schwere Verletzungen ausgeblieben. Sie sahen dennoch verstört aus, als sie zurückkehrten.

Die Geschichte sprach sich herum und es erhoben sich Stimmen, die behaupteten bei dem Mann handle es sich um einen Shaipur. Ich wusste es besser. Dies war keine wild um sich wütende Sagengestalt oder eine gestörte Bestie. Das erfuhr ich aus dem Buch, welches ich mitgenommen hatte. Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine Art Tagebuch. Genauer war es verfasst, um an eine Frau weitergereicht zu werden, die nur als „meine Teuerste" bezeichnet wird.

Er war einst ein Hemnan gewesen. Ein begabter Läufer dazu. Für einen Fürsten aus dem Norden hatte er ein Rennen nach dem nächsten gewonnen. Dies war, bis er sie kennenlernte. Ihre Mutter war ebenso von hohem Stand und hatte sie bereits an einen anderen Mann versprochen, um die Bande der Familie zu stärken. Als Jüngste hatte sie dabei kein Mitspracherecht.

Der Läufer forderte darauf ihren Anwerber zu einem Wettrennen heraus und da dieser die Provokation annahm, kam es dazu. Was der Herausforderer zuvor nicht gewusst hatte, war, dass sein Widersacher ein ehemaliger Bote der Königsfamilie war. Da er es nicht verkraften konnte seine Geliebte an den Adligen zu verlieren, suchte er daher einen Alchemisten auf, der ihn mit einem Wundermittel versorgte, dass die körperlichen Fähigkeiten verstärkte.

Schlussendlich kam es zum alles entscheidenden Wettlauf und gerade, als der Läufer vorn lag, brach er zusammen. Das Mittel stellte sich als eine Art Gift heraus und er beschuldigte den Alchemisten, ihn betrogen zu haben. Im Tagebuch stand genauer, dass er vermutete, dass der Anwerber den Mixturenmischer bestochen hatte.

Ob dies stimmte oder nicht änderte nichts am Ausgang: Der Läufer verlor die Liebe seines Lebens. Die tragische Geschichte fand hier jedoch kein Ende. Besessen von dem Gedanken noch schneller zu werden, begann er wie ein Wahnsinniger zu trainieren. Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich das Geschriebene und wurde undeutlicher, wie hastig auf die Seiten geschmiert.

Die letzten Seiten waren nur noch ein einziger Satz, den er immer wieder geschrieben hatte.

„Ich muss schneller werden. Ich muss schneller werden. Ich muss schneller. Ich muss schneller. Schneller. Schneller. Schnell. Schnl. Sch. Ssssss."

Die Feder hatte das Papier durchstochen und auf dem verbliebenden Gekritzel schien ein Tintenfass ausgelaufen zu sein. Der einstige Mann war gelaufen, bis er kein Fett mehr im Körper hatte, seine Haut aufriss und die wunden Stellen anschwollen, eiterten, das Fleisch verzehrten. Selbst dann hatte er nicht angehalten.

Das Bizarre daran war nicht, was er getan oder zu wem oder was er geworden war, sondern, dass ich mich mehr in ihn hineinversetzen konnte, als mir lieb war. Seinen Antrieb wusste ich nicht zu verstehen, den Willen eine weitere Strecke in kürzerer Zeit hinter sich zu legen hingegen schon.

Die ganze Nacht hindurch saß ich am Feuer des Kamins und blätterte, bis mir die Augen schmerzten. Ich las es in seiner Gesamtheit in etwa sieben Mal, bis ich es in einem Anflug von aufschäumender Wut gegen mich selbst und um mich davon abzuhalten, weiter daran zu denken, in die Flammen warf. So trocken, wie es war, brannte es lichterloh. Nur eines blieb im Feuer zurück. Ein rotes Stück der Bandage, das als Lesezeichen gedient haben musste.

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