Der kleine Tannenbaum
Im Herzen des tiefverschneiten Waldes, wo der Schnee sanft wie eine weiche Decke über die Äste der Bäume lag, stand ein kleiner Tannenbaum. Rund um ihn prahlten die hohen, kräftigen Tannen mit ihren breiten, grünen Zweigen. Ihre Spitzen strebten majestätisch in den Himmel, während sie sich leise Geschichten zuflüsterten - von prächtigen Festen, bei denen ihre Äste mit goldenen Kugeln, glitzernden Lichtern und schimmernden Sternen geschmückt waren. Der kleine Baum stand etwas abseits, eingeklemmt zwischen den mächtigen Riesen, deren schattige Äste ihn beinahe erdrückten.
„Siehst du den da? ", fragte eine prächtige Tanne und neigte ihren Stamm leicht in Richtung des kleinen Baumes. „So ein kümmerlicher Anblick. Wer würde sich je für ihn entscheiden? "
„Viel zu dünn und krumm. Kein Mensch würde solch einen Baum in sein Zuhause holen", lachte eine andere.
Der kleine Baum senkte traurig seine Äste und spürte, wie sich ein tiefes Kummergefühl in ihm ausbreitete. Er hatte nie den Wunsch gehegt, riesig zu sein, aber er sehnte sich doch nach einem Hauch der Wärme und des Glanzes, den die großen Tannen erlebten. Er wollte nicht der Unscheinbare bleiben, der immer übersehen wurde.
„Ich wünschte, ich könnte auch einmal leuchten", flüsterte er leise für sich hin. „Ich möchte, dass jemand mich für etwas Besonderes hält. "
---
Die Tage zogen vorbei, und der Winter machte sich immer kälter und stiller im Wald breit. Eines Abends, als der Wind heftig um die Bäume peitschte und der Schnee in dichten Flocken fiel, hörte der kleine Baum plötzlich Schritte. Ein Mann mit einem dicken Mantel kämpfte sich durch den Schnee. Hinter ihm trottete ein kleines Mädchen, das sich mit einem Schal bis über die Ohren wickelte. Die beiden sahen aus, als hätten sie ihren Weg verloren.
„Papa, es wird immer schlimmer", rief das Mädchen mit zitternder Stimme. „Wir finden nie eine Unterkunft. "
„Bleib dicht bei mir, mein Schatz. Wir müssen einen Unterschlupf finden", erwiderte der Mann, doch auch seine Stimme klang unsicher.
Plötzlich entdeckte das Mädchen den kleinen Tannenbaum. „Papa! Schau mal! Dieser Baum ist genau richtig für uns. Er ist klein, aber er wird uns Freude bringen, ich weiß es! "
Der Mann schaute den kleinen Baum an und zögerte für einen Moment. „Er ist wirklich winzig... Aber du hast recht. Er ist schön. Vielleicht bringt er uns etwas Licht in diese dunkle Nacht. "
Langsam und vorsichtig zog der Mann seine Axt. Der kleine Baum vernahm das leise Klacken, als sein Stamm durchtrennt wurde. Nie hätte er gedacht, dass man ihn jemals so behutsam behandeln würde. „Ich danke euch, dass ihr mich nicht einfach wie einen Zweig abgebrochen habt", dachte er dankbar.
Die Reise zur Hütte war kurz, doch der kleine Baum erfüllte sich mit Stolz. Der Schnee umhüllte ihn sanft und in der stillen Nacht konnte er das leise Klirren des Windes und das Knistern des Schnees hören, während das Mädchen und der Mann über den gefrorenen Boden schritten.
Als sie die bescheidene Hütte erreicht hatten, stellte der Mann den Baum in einen schlichten Topf und füllte ihn mit Erde. Das Mädchen holte voller Begeisterung ihre kleine Kiste mit Bastelmaterialien hervor. „Ich werde ihn zum schönsten Baum machen! ", rief sie mit funkelnden Augen.
Zuerst wickelten sie bunte Wollfäden um die Zweige und hängten getrocknete Orangenscheiben und rote Beeren an die Äste. Dann kamen die kleinen Papiersterne hinzu, die das Mädchen in der Schule gebastelt hatte. Schließlich zündeten sie einige kleine Kerzen an, deren warmes Licht sanft flackerte und die Schatten fröhlich an die Wände tanzen ließ.
Der kleine Baum nahm seinen Platz in der Ecke ein und betrachtete sein Spiegelbild im Fenster. Sein Herz war warm vor Freude. Nie zuvor hatte er sich so besonders gefühlt. Zwar war er nicht groß und mächtig, doch hier, in dieser kleinen Hütte, war er der Mittelpunkt des Geschehens. Das zarte Kerzenlicht und der Duft von Zimt und Orangen erfüllten den Raum.
Als der Abend anbrach und der Schnee leise weiter auf die Erde fiel, saßen der Mann und das Mädchen gemütlich, eingehüllt in warme Decken, vor dem strahlenden Baum. Sie sangen Weihnachtslieder, und in ihren Augen funkelten die flimmernden Kerzenlichter. Der kleine Baum hatte das Gefühl, er könne selbst leuchten.
„Weißt du, Papa", sagte das Mädchen nach einer Weile, „dieser Baum ist wirklich der schönste, den wir je hatten. "
„Ja, er ist perfekt für uns", erwiderte der Mann und zog das Mädchen sanft in seine Arme. „Er bringt Licht, selbst in der dunkelsten Nacht. "
Plötzlich fühlte sich der kleine Baum größer als je zuvor. Die Schatten, die ihn einst ängstigten, wurden nun von seinem eigenen Licht erhellt. In der Stille des Winters kamen die Tiere des Waldes näher und betrachteten den Baum durch das Fenster. Ein Hase, ein Reh und sogar ein kleiner Fuchs, der vorsichtig aus dem Dickicht trat, schienen von dem warmen Licht angezogen.
„Ich bin wichtig", dachte der kleine Tannenbaum und seine Zweige schienen stolz zu erstrahlen. „Ich bin vielleicht nicht der Größte oder der Schönste, aber genau hier und jetzt bin ich der Baum, den man braucht. "
---
Ende
---
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top