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Schon seit Wochen hatte sich der kleine Nasenbär auf die Klassenfahrt gefreut, und jetzt war es endlich soweit. Die ganze Klasse hatte die Köpfe zusammengesteckt, um sich ein tolles Programm auszudenken, und rausgekommen war eine Fahrt ins Grüne, mit Übernachtung im Freien, und sogar ein Lagerfeuer war geplant.
Seinen Rucksack hatte der kleine Nasenbär seit Tagen gepackt, der kuschelige Schlafsack stand bereit und er hatte eine Menge Süßigkeiten dabei.
Frau Spitzmaus hatte eine tolle Wiese zum Übernachten ausgesucht, das Gras war richtig weich und es gab einen kleinen Bach, der so richtig zum spielen und spritzen einlud. Die Sonne stand hoch am Himmel und brutzelte munter vor sich hin, so dass alle die Gelegenheit nutzten und sich ins kühle Nass stürzten.
Nur Frau Spitzmaus stand schmunzelnd daneben und beobachtete die Tollerei - na gut, vielleicht hatte sie zwischendrin auch mal eine Pfote ins Wasser gestreckt. Für manche Sachen wurde man eben nie zu alt.
Sie merkten alle kaum, wie die Zeit verging, soviel Spaß hatten sie. Plötzlich ein Grummeln. Huch, war das etwa der Bauch des kleinen Nasenbärs? Wie peinlich! Gott sei Dank hatten die anderen auch Hunger und so war es schnell ausgemacht - ein paar sammelten Holz, ein paar Steine, und ein guter Platz zum Übernachten war auch bald ausgesucht.
Kurz danach saßen auch schon alle gemütlich ums hell lodernde Lagerfeuer, brieten die mitgebrachten Würstchen und fingen schon mal heimlich mit den Süßigkeiten an - natürlich nur, wenn Frau Spitzmaus gerade nicht hinschaute. Die meinte nämlich, man solle erst mal was "Vernünftiges" essen. Pff, Erwachsene! Bis die Würstchen endlich fertig wären, wäre so ein kleiner Nasenbär schließlich schon halb verhungert.
Hinterher kuschelten sich alle in ihre Schlafsäcke und machten es sich im Kreis ums Feuer gemütlich. Das Holz glühte mittlerweile nur noch, und hin und wieder knackte es, wenn ein Ast zerbrach und neue Funken aufstoben. Der Mond ging gerade auf und stand groß und rund am Nachthimmel, mit ein bisschen Fantasie konnte man sogar sein Gesicht erkennen.
"Lasst uns eine Gruselgeschichte erzählen!", schlug da der kleine Waschbär vor. "Au ja!", riefen die anderen begeistert.
Der kleine Nasenbär fand die Idee ja gar nicht so cool, immerhin sind Gruselgeschichten ganz schön gruselig, aber er wollte vor seinen Freunden auf keinen Fall als Feigling darstehen. Also sagte er mal lieber nichts, sondern kuschelte sich nur noch tiefer in seinen Schlafsack.
"Ich weiß eine tolle Geschichte, und die ist auch sogar wahr", begann der kleine Waschbär auch schon mit dem Erzählen. "Das ist nämlich der Nachbarin von der Cousine von dem Kollegen von meinem Vater passiert." "Whow", bewunderten ihn die anderen. Der kannte sich ja wirklich aus!
"Vor ein paar Jahren, vielleicht so vor einem Jahr, war hier mal eine Klasse wie wir unterwegs, genau auf dieser Wiese hier. Und die haben ein Lagerfeuer gemacht, genau wie wir, und tagsüber im Bach gespielt. Und abends haben sie sich dann hingelegt und sich Geschichten erzählt. Aber als sie sich dann hingelegt hatten und eingeschlafen waren", der kleine Waschbär hielt kurz inne für den dramatischen Effekt. "Da kam ein total gruseliges, riesiges Monster und hat sie alle ... gefressen!"
Ein erschrockenes Aufkeuchen ging durch die versammelten Bären. "Keiner kam zurück, und man hat nie wieder etwas von ihnen gehört", fuhr der kleine Waschbär mit seltsam hohl klingender Stimme fort, "aber ihre Geister sollen immer noch hier spuken, und das Monster haust auch hier in der Nähe."
"So, genug mit den Gruselgeschichten", unterbrach da Frau Spitzmaus, "Augen zu und eine Runde schlafen, damit ihr morgen wieder fit seid."
Waas, schlafen? Jetzt?? Hier?? Der kleine Nasenbär konnte es nicht glauben. Hier gab es Geister und Monster, wie sollte man denn da schlafen? Er zog sich den Schlafsack bis zur Nasenspitze hoch und versuchte, mit seinen Nasenbärenaugen durch die Dunkelheit zu sehen. Nasenbären können im Dunkeln nämlich ganz gut sehen, wenn sie sich mal dran gewöhnt haben.
Misstrauisch lugte der Nasenbär ins Dunkel und versuchte seine Ohren so spitz zu machen wie es irgendwie ging. Hatte sich der Schatten da hinten bewegt? Und was war das eigentlich für ein Geräusch? Waren das nicht Schritte? Hilfe, das war das Monster! Es kam bestimmt, um ihn zu fressen!
Der Nasenbär erstarrte in seinem Schlafsack. Vielleicht, wenn er sich totstellte, übersah ihn das Monster? Allerdings pochte sein Herz so laut und schnell, dass das Monster schon taub sein müsste, um es nicht zu hören. Vielleicht sollte er sich lieber verstecken? Nur wo, auf der Wiese gab es kein gutes Versteck und bis zum Wald konnte er bestimmt nicht rennen, bevor ihn das Monster einholte. Gegen das Monster zu kämpfen traute er sich nicht, immerhin war er nur ein kleiner Nasenbär und kein ausgewachsener Braunbär. Irgendwie schien keine dieser Möglichkeiten erfolgsversprechend.
Verzweifelt schlug sich der Nasenbär die Hände vors Gesicht.
Huch! Was war denn das schon wieder in seinem Gesicht? Eine Brille? Die Erkenntnis ließ ihn kurz innehalten und durchatmen. Als er merkte, wie die Brille sich auf seiner Nase ein bisschen lockerte, atmete er gleich noch einmal bisschen tiefer durch. Vielleicht half das Atmen und die Wackelpuddingarme auch bei dieser Brille und nicht nur bei der Wut-Brille?
Es funktionierte! Vorsichtig hielt der Nasenbär die Brille so, dass der Feuerschein sie soweit erhellte, dass er den Namen lesen konnte. Angst-Brille. Hm, vielleicht hatte er die bei der gruseligen Geschichte aufgesetzt, ohne es zu merken.
Ohne die Brille auf seiner Nase sah die Welt plötzlich ganz anders aus, merkte der Nasenbär. Er sah die anderen Bären und Frau Spitzmaus, die schon tief schlummerten, er hörte den Bach friedlich plätschern und das Rascheln des Windes im Gras.
Jetzt wo er sich wieder etwas beruhigt hatte, konnte der kleine Nasenbär auch wieder richtig denken. Ist schon komisch, dass keiner zurückkam und man trotzdem weiß, was passiert ist. Das passt doch nicht zusammen. Außerdem, das wusste der Nasenbär ganz genau, gab es ja gar keine Geister, und auch keine Monster.
Mittlerweile war der Nasenbär ganz sicher, dass die Geschichte Quatsch war, und schämte sich fast ein bisschen, dass er sie so einfach geglaubt hatte. Besser, ich hebe mir die Angstbille für Situationen auf, die wirklich gefährlich sind, dachte sich der kleine Nasenbär. Wenn mich zum Beispiel ein wildes Tier angreift oder ...
Doch da! Was war das? Das klang ja wie ... ein Knurren? Ohje, das war ganz eindeutig ein wildes Tier, das kam, um ihn zu holen. - Wo kam denn der Gedanke jetzt schon wieder her? Ein bisschen von sich selbst genervt nahm der kleine Nasenbär die Brille wieder von der Nase. Dass er die aber auch ständig aufsetzte ... Jetzt merkte er auch, dass das Geräusch einfach nur der kleine Waschbär war, der ziemlich laut und ziemlich schief schnarchte. Hihi, damit konnte er ihn am nächsten Morgen ärgern.
Ganz über die Vorstellung amüsiert, wie er den kleinen Waschbären aufziehen könnte, drehte sich der kleine Nasenbär auf den Rücken.
"Wahnsinn!" Plötzlich riss der kleine Nasenbär die Augen wieder weit auf. Über ihm leuchteten Abermillionen Sterne und funkelten um die Wette. Glücklicherweise hatte er die Angst-Brille abgenommen, sonst hätte er diese wunderschöne Nacht gar nicht genießen können.
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