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Das Verlassen der Lagerhalle lief ohne Eile und ein einziges Wort ab. Den Leichnam ließen wir liegen, am Tatort veränderten wir kaum etwas. Die Waffe, die nicht mal zugelassen gewesen war, wie Jamie mir auf dem Weg zurück erklärte, ließ er, unter großem Protest meinerseits, an Ort und Stelle, da es wohl ein Anfängerfehler sei, die Waffe mitzunehmen. Wir waren damals Anfänger, Jamie!
Auf dem Weg zu seiner Wohnung, die wir dieses Mal anpeilten, weil meine Mutter inzwischen aus dem Büro zurückgekehrt sein müsste und ich keinen blutbesudelten Jamie mit nach Hause bringen konnte, redeten wir viel miteinander, abgesehen von den kurzen Passagen, in denen Fußgänger an uns vorbeikamen. Das Gute war, dass die Polizei das 'Drogenviertel' überwachte, alle anderen Stadtteile aber nicht so sehr, weshalb wir, als wir außerhalb der Sichtweite der letzten Verkehrskamera waren, unsere Masken abnahmen.
Das Glück lag auf unserer Seite, da uns, bevor wir die Masken abgenommen hatten, niemand entgegenkam. Und selbst wenn da jemand gewesen wäre, hätten wir beruhigt schlafen können, da die Person entweder high gewesen wäre oder sich von dem Blut auf Jamies Jacke hätte ablenken lassen. Diese verdammte Jacke, die alles zerstörte.
Ich hatte Jamie gesagt, er solle sie loswerden. Aber er erwiderte nur, dass er sie am Tag nach unserem Verhör in der Schule tragen würde. Ich hielt ihn damals für verrückt, wollte ihn aber abhalten, weil ich wusste, dass er das wirklich durchziehen würde. Er war eben ein verdammter Sturkopf. Aber er ging auch davon aus, dass wir nicht verhört werden würden. Zumindest dachte ich, dass er das tat.
In Jamies Wohnung angekommen, hatte ich es immer noch nicht geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass er einen Fehler begehen würde, wenn er die Jacke behielte, aber das war mir dann auch wieder egal, als er mich erneut überfiel. Nur diesmal nicht mitten in einem Hausflur, sondern im Schlafzimmer unter Verlust unserer Oberteile und meiner Hose.
Dann stoppte er sich jedoch – seine Kontrolle schien er nicht so einfach ablegen zu können, wie sein T-Shirt – und wies auf die Uhr, die über dem Stirnbrett des Bettes hing und vor sich hin tickte. "Merk dir diese Zeit", flüsterte er an meinen Hals, der komplett freigelegt war, da ich meinen Kopf nach oben legte, um die Uhr lesen zu können. Kurz nach halb zwölf in der Nacht.
"Warum?", fragte ich, als er das nicht weiter kommentierte und stattdessen meinen Hals mit Küssen übersäte. Er hob dann jedoch trotzdem den Kopf und sah mich unter gesenkten Lidern hervor an. Anschließend leckte er sich demonstrativ über seine Lippen, statt mir eine Antwort zu geben, und küsste mich kurz.
"Ich will nur sichergehen, dass wir beim Verhör die gleiche Aussage tätigen. Nämlich dass wir genau jetzt Sex haben." Er zuckte leichtfertig mit den Schultern, aber ich erinnere mich gut daran, wie in diesem Moment mein Herz stehen blieb. Verhör? Warum redete er ständig davon, dass wir irgendwann verhört werden würden?
Er musste die Panik in meinem Blick gesehen haben, weil er mir beruhigend über die Wange strich und dann aufstand. Ich folgte ihm auf Verdacht und fand mich schließlich im Bad wieder, wo Jamie auf dem Badewannenrand saß, eine elektrische Zahnbürste im Mund.
Eine Weile war nur das Geräusch der Zahnbürste zu hören und unangenehm berührt verschränkte ich die Arme vor der Brust. Noch heute überzieht meinen Körper eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, was an diesem Abend passiert war. Und dabei meine ich noch nicht einmal unbedingt den Mord.
Denn als die Zahnbürste verstummte, setzte ich mich nicht nur neben ihn, sondern hielt ich es auch nicht mehr aus und sprach einfach die angeblich magischen drei Worte aus, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie einem Jungen gegenüber äußern würde. Von denen ich nicht gedacht hätte, dass ich sie überhaupt irgendwem gegenüber äußern würde. "Ich liebe dich."
Jamies Kopf legte sich schief und ich spüre bis heute noch die Angst, die damals mein Blut zum Kochen gebracht hatte. "Es gibt so viele Arten das auszudrücken."
Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe, aber ich versuchte, das Ganze mit Humor zu nehmen. "Erwidere es doch einfach und denk nicht weiter darüber nach." Ich verdrehte die Augen und grinste, innerlich war ich aber ein unsicheres Lämmchen. Was, wenn er es gar nicht erwidern wollte?
Er schaute einen kurzen Augenblick verwirrt, dann eher nachdenklich, als würde er wirklich darüber überlegen, ob er meine Worte erwidern konnte. Das Rätsel, welches Jamie darstellte, konnte ich bis heute nicht lösen. "Nun, ich kann dir so viel sagen: Ich hasse dich weniger, als mich selbst."
"Erklär das", forderte ich ihn auf. Meine Lippen müssen gezittert haben, aber er hatte es nicht kommentiert, sondern einfach das Gespräch fortgeführt, wofür ich ihm unendlich dankbar war.
Wieder kam ein Schulterzucken von seiner Seite. "Ich hasse Menschen prinzipiell. Mich selbst dabei sogar noch am wenigsten. Also anders gesagt: Du bist der Einzige, den ich weniger hasse, als mich selbst. Interpretier das, wie du willst."
Jetzt grinste ich wieder wie blöd und auch heute muss ich noch lächeln, wenn ich mir seine Worte ins Gedächtnis rufe. "Ich male mir einfach aus, du hättest lediglich 'Ich liebe dich' gesagt. Wozu hat man Fantasie?"
Jamie musterte mich eine Weile, ohne auf meine rhetorische Frage einzugehen. "Ich finde es interessant, dass wir in zwei Nächten zusammen und an achtunddreißig Tagen dazwischen nicht zusammen waren, uns jetzt aber trotzdem die Liebe gestehen können." Irgendwie hätte ich ihn gern darauf hingewiesen, dass er nicht gesagt hatte, dass er mich liebte, aber einerseits wäre das gemein und andererseits würde er mich wahrscheinlich eh wieder ignorieren.
"Außerdem: Bin ich der einzige von uns beiden, der es zusätzlich dazu komisch findet, dass ich eben vor deinen süßen Augen jemanden erschossen habe und wir jetzt trotzdem tun, was wir gerade tun?" Er fuhr mit seinem Zeigefinger sanft über meinen Nasenrücken und musterte mich weiter. Ich wünsche mir, auch heute seine Blicke auf mir zu spüren, selbst wenn ich weiß, dass das nicht möglich ist.
Damals war an ein Ende nicht zu denken. Damals wurde ich einfach nur aufgrund seiner Worte rot, wie ein Marienkäfer. "Bin ich der Einzige, der es unangenehm findet, wenn du meine Augen süß nennst?"
"Ja, da bist du der Einzige", war das, was er darauf erwiderte und dabei beließen wir es dann auch.
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