4
Wenn es nicht Jamie gewesen wäre, der diese Frage gestellt hätte, dann hätte ich denjenigen ausgelacht. Oder für verrückt erklärt. Oder die Polizei gerufen.
Aber als ich ihm in diesem Moment fest in die Augen sah, realisierte ich, dass er es ernst meinte. Sowieso war Jamie niemand, der damit scherzen würde. Glaubte ich zumindest, auch wenn ich ihn streng genommen nicht kannte. Nur wirkte er ganz und gar nicht so.
Ich schüttelte geschockt den Kopf. "Nein, habe ich nicht. Noch nie." Meine Augen waren weit aufgerissen und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Kinnlade kurz vor dem Herunterklappen gewesen sein muss. Dass ich die Frage nicht zurück stellte, ist mir auch heute noch lieber, da es manchmal besser ist, die Antwort auf bestimmte Fragen gar nicht zu wissen.
"Na dann wird es eindeutig Zeit." Seine rechte Hand wanderte an meinem Hals entlang, sodass sein Daumen auf der einen Seite meines Adamsapfels und seine restlichen Finger auf der anderen Seite landeten. Wenn er nur ein bisschen mehr zudrücken würde, könnte er meine Luftzufuhr ganz einfach zuschnüren.
Ich schluckte, als er mir intensiv in die Augen sah, da ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun können. Dann nahm er mir die Entscheidung ab und küsste mich nochmal, diesmal so, dass er über mir lag und mich vollkommen unter Kontrolle hatte.
Jedoch löste er sich plötzlich von mir und sah auf mich herab. Ich hätte mich normalerweise nicht unterdrücken lassen, aber bei Jamie hatte ich einfach keine Chance. Allein die Art wie er mich ansah, machte mich vollkommen fertig. Irgendwann wäre er mein Tod, da war ich mir damals schon sicher. Und ich hatte ja recht gehabt.
"Was?", fragte ich erstickt und leise, von unten zu ihm hinaufschauend, da er mich immer noch mit einem undefinierbaren Blick betrachtete. Haare hingen ihm in die Stirn, aber ich traute mich nicht, sie wegzustreichen. Weil wir ja kein Paar waren und ich außerdem nicht über die Sicherheit verfügte, dass er das zulassen würde.
Ein Grinsen, das mich vollkommen aus der Bahn warf, schlich sich auf seine Lippen und ich war hin und weg. Wie konnte man so schön und böse zugleich sein? Wobei Jamie vielleicht gar nicht böse war, sondern nur kaputt. Aber das glaube ich bis heute nicht wirklich.
"Weißt du, was das Genialste ist, das ein Mörder tun kann?", wollte er wissen, seine Beine angewinkelt links und rechts von meinem Bauch, seine Hände auf meiner Brust. Wieder musste ich schlucken, die Antwort auf seine Frage kannte ich natürlich nicht.
"Nein, was ist es denn?" Ehrliche Neugierde packte mich in diesem Moment und meine Augen müssen geglitzert haben, als ich ihn ansah. Er malte währenddessen Kreise und Linien auf den Stoff des Unterhemdes, das ich unter dem Anzug, den ich inzwischen schon ausgezogen hatte, trug.
"Sich schnappen lassen." Ich holte Luft, um ihm zu widersprechen, aber er legte mir einen schlanken Zeigefinger auf die Lippen, sodass ich den Mund hielt. Was dieser Zeigefinger später anstellen würde, lasse ich an der Stelle noch unerwähnt – es nimmt alles erst langsam seinen Lauf. "Lass mich das erklären." Leicht gestikulierend stand er von meinem Oberkörper auf und lief auf dem winzigen Platz herum, den man vom Boden noch sehen konnte. "Stell dir einen Mörder– stell dir mich vor. Stell dir vor, wie ich eine lange Zeit damit verbringe, einen Mord zu planen, um ihn letztlich innerhalb von Sekunden mit Perfektion, wie sie im Buche steht, durchzuführen. Und dann laufe ich weg. Man findet mich nicht und gibt mir einen Codenamen, einen, unter dem ich dann bekannt bin.
Da ich Blut geleckt habe – nicht unbedingt wörtlich, wer weiß, was für Geschlechtskrankheiten mein Opfer hatte –, töte ich wieder. Und dann wieder. Immer noch untergetaucht begehe ich immer und immer wieder perfekte Morde. Aber irgendwann wird mir langweilig. Langweilig, weil man meine Arbeit nicht anerkennt. Weil die Leute von der Polizei ja nicht wissen, wer ich bin. Und dann kommt mir die Idee, noch einen Mord zu begehen. Den letzten in einer Reihe. Und der wird dann nicht mehr perfekt. So gar nicht. Sie schnappen mich und ich werde verhaftet. Aber sie wissen nicht, dass ich das gewollt habe. Weil es beim Töten nicht ums Töten geht. Es geht ums Gesehenwerden."
Ich starrte ihn an und konnte nicht fassen, was er mir da gerade erzählt hatte. Natürlich ergab es irgendwo Sinn, dass man gesehen werden wollte, aber dann musste man doch keinen Mord begehen, oder? So dachte ich damals zumindest. Aber dann waren da seine Lippen auf meinen und ich war wieder vollkommen verwirrt, sodass ich nicht weiter darüber nachdenken konnte.
Im Nachhinein betrachtet: Ich glaube, ich hätte in dieser Nacht so oder so mit ihm geschlafen, egal, ob er mich nun eingeweiht hätte, oder nicht. Dafür hatte er mich einfach zu sehr fasziniert.
Und in meinem Fall reichte diese Faszination sogar aus, um einen Mord für ihn zu begehen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top