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Jamies Hand umfasste die meine, wie die Scheide das Schwert. Ich fühlte mich benommen, aber das musste am Alkohol liegen. Wohin er mich führte, war mir dadurch vollkommen egal. Hauptsache weg von allen anderen, irgendwo hin, wo wir zu zweit allein waren. Bei dem Gedanken daran muss mir ein dämliches Kichern über die Lippen gekommen sein, denn ich habe Jamies Blick noch sehr gut vor Augen – Belustigung und Genugtuung, die zart wie Karamellcreme über mein Gesicht wandern. Ich schauderte und musste dann hicksen, wodurch das Lachen, das schon die ganze Zeit in ihm geschlummert haben musste, herausbrach und auf beiden Seiten auf den gefärbten Beton der Häuser traf.

Die Hand um meine eigene war kalt im Gegensatz zu meiner erhitzten Haut, aber irgendwie ließ das ein weiteres dämliches Grinsen auf meinen Lippen erscheinen. Jamie sah das zum Glück nicht, da er nach seinem Ausbruch vor mir lief und mir so den Rücken zugedreht hatte, trotzdem versuchte ich natürlich, das Lächeln so schnell es ging einzustellen. Er musste mich ja nicht direkt für einen Psycho halten, auch wenn er das wahrscheinlich schon längst tat.

Ähnlich wie seine Hand war auch die Luft außerhalb des Gebäudes, das als Veranstaltungsort für die Gala diente, relativ kalt. Jamie hatte keine Jacke, die er mir anbieten konnte, ich selbst war zu egoistisch, um seinetwegen zu frieren, und sowieso war keiner von uns der Typ für diese kleinen Höflichkeiten.

Unweit vom Veranstaltungsort hielten wir schließlich vor weiteren Altbauwohnblöcken an und stiegen einige, hinter einer weißen Aluminiumtür zum Vorschein gekommene Treppenabsätze nach oben, ehe Jamie letztlich die Tür zu einer kleinen, nach Rauch und zu starkem Kaffee riechenden Wohnung öffnete. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, dass ich diesen Geruch je vermissen könnte. Stattdessen machte sich ein warmes Gefühl in mir breit, das sich nur mit einem Wort beschreiben lässt: Zuhause. Warum ich das damals gedacht habe, weiß ich nicht mehr, vielleicht, weil mir eine persönliche, dafür aber kleine Wohnung besser gefiel, als das zu große und schier komplett sterile Haus, in dem ich noch wohnte.

Jamie hielt noch immer meine Hand und führte mich in einen winzigen Raum, der allem Anschein nach sein Schlafzimmer darstellen sollte. Dort zog er mich auf sein Bett, sodass wir direkt nebeneinander saßen und unsere Knie sich berührten, da das Zimmer wirklich sehr wenig Platz bot.

Er drehte mir den Kopf zu und sah mir lange in die Augen. Vielleicht erwartete ich einen Kuss, ich war mir nicht sicher. Ich hatte noch nie einen Jungen geküsst, oder so sehr gewollt, wie ich Jamie an diesem Abend wollte. Es war fast unheimlich, wie alles, was mit ihm zu tun hatte. Auf eine verwirrende Art und Weise unheimlich.

"Ich brauche deine Hilfe", flüsterte er und beugte sich ein wenig zu mir. Das war, wie mir schließlich auffiel, das erste Mal, dass ich seine Stimme hörte. Sie klang belegt und er näselte ein wenig, wodurch ich mich fast für meinen Egoismus schämte. Jetzt würde er meinetwegen krank werden.

Seine Lippen waren den meinen so nah, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Warum sprach er auf einmal mit mir? Wobei brauchte er meine Hilfe? Warum war ich hier, in seinem verdammten Schlafzimmer? Diese und weitere Fragen schwirrten in meinem Kopf umher, weshalb meine Antwort sehr verzögert kam und eher wie eine willkürlich ausgewählte Zusammensetzung an Buchstaben wirkte.

"Wie kann ich dir helfen?" Da ich ja einfach eine zufällige Frage herausgepickt hatte, achtete ich in diesem Moment nicht auf die Formulierung, die ein wahnsinnig sinnliches Grinsen auf Jamies Lippen erscheinen ließ, das wiederum dafür sorgte, dass ein leichter Rotschimmer auf meinen Wangen auftauchte, der wie der letzte Pinselstrich eines Künstlers an seinem Gemälde wirken musste.

Seine nächsten Worte schien er so lange herauszögern zu wollen, bis ich es nicht mehr aushielt und das bekam er wirklich gut hin. Quenglig wie ein kleines Kind zappelte ich umher und biss mir sogar auf die Unterlippe, was ich mir eigentlich vor ein paar Jahren abgewöhnt hatte.

Dann küsste er mich einfach aus dem Nichts heraus, was mich verunsicherte, jedoch sagte ich nichts dazu und erwiderte den Kuss, im Hinterkopf behaltend, dass das mit Sicherheit nicht der letzte sein würde.

Als er sich wieder von mir löste, fragte er schließlich: "Hast du schon mal einen Mord begangen?"

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