20 | Zusatzmaterial: Was danach passierte

Elian Draling starb am 26. September, zwei Jahre nachdem er den Mord an Theodore H. Valton gestanden hatte, durch einen sauberen Kopfschuss - einen, durch den auch Letztgenannter das Zeitliche gesegnet hatte. Da er des Geständnisses und der folgenden Verurteilung zu dreimal lebenslänglicher Haft wegen in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht wurde, ist es den Ermittlern unmöglich, eine Erklärung für den vermeintlichen Selbstmord zu finden, denn offen bleiben die Fragen, woher er die Waffe hatte, die eindeutig diese war, mit der sich auch sein Freund, James K., das Leben genommen hatte, und warum er sich umbrachte. Des Weiteren wurde kein Abschiedsbrief gefunden und da Draling durch einen Zwischenfall in der Cafeteria des Gefängnisses kurz vor seinem Tod in Einzelhaft saß, gibt es auch keinen Zellengenossen, der seine letzten Worte hätte preisgeben können. Sowieso ist man sich nicht sicher, ob anhand der kriminellen Energie, die von ihm ausging und die einige der Sicherheitsleute beschrieben, nicht hätte festgestellt werden können, dass Draling vorher noch seinen Zellengenossen erschossen hätte, wenn es denn jemanden gegeben hätte, mit dem er sich zwangsmäßig die Zelle teilen musste.

Seine Zeit vor dem Gefängnis, vom Geständnis auf der Polizeiwache in der Stadt, in der er sein vermutlich erstes Opfer getötet hatte, bis zur Verurteilung, hatte er die meiste Zeit abgeschieden in einer kleinen Wohnung verbracht, in der er, laut Aussagen der Polizei, mit seinem Freund gelebt hatte, bevor dieser in selbiger gestorben war. Man vermutet, dass ebendieser Freund der Grund für den Selbstmord des Verurteilten war, jedoch ist man sich da nicht ganz sicher. Neben seinem toten Freund beschränkt sich Dralings Familie auf seine Mutter, die vollkommen fassungslos über das Verhalten ihres Sohnes war und einem Journalisten erzählte, dass 'dieses Monster von einem Schwiegersohn' - womit sie vermutlich James K. gemeint hatte - ganz eindeutig daran Schuld sei.

In der Schule, die Draling vor seiner Tat besuchte, erklärte man, er sei ein vernünftiger, ruhiger und relativ beliebter Schüler gewesen, weshalb die Schulleitung keine Erklärung für das zuletzt an den Tag gelegte Verhalten auf Lager hatte. Insgesamt wird viel daran gezweifelt, dass Draling Valton wirklich umbrachte, aber da beide nichts mehr dazu sagen können, wird das für eine lange Zeit ungeklärt bleiben, bis der Fall in Vergessenheit gerät. Seine ehemaligen Mitschüler äußerten sich kaum zu dem Tod, es ist ein großer Schock für alle gewesen, dass ihr wirklich geschätzter Mitschüler plötzlich einen Mord begangen haben soll.

Auf Dralings Beerdigung waren seine Mutter und sein Vater anzutreffen. Im Nachhinein äußerte sich seine Mutter dem Auftauchen von Dralings Vater gegenüber kritisch; kannte er doch seinen Sohn überhaupt nicht und konnte so auch nicht einschätzen, ob dieser dazu befähigt war, einen Mord zu begehen. Ansonsten herrschte eine bedrückte, für eine Beerdigung übliche Stimmung. Der Spruch, den augenscheinlich Dralings Mutter ausgesucht hatte, lautete: Er hat sich umgedreht und nicht mehr zurückgeschaut. Da sie sich dazu nicht äußerte, kann niemand so richtig nachvollziehen, was das für ein Licht auf ihre Beziehung zu ihrem Sohn wirft.

Als man Dralings Wohnung ausräumte, fand man nicht mehr viel. Nur ein dunkelgrauer Pullover, ganz hinten im Kleiderschrank, in den ein Edelstahlfläschchen eingewickelt war, und eine halb aufgebrauchte Schachtel Zigaretten. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob der Verurteilte etwas damit ausdrücken wollte, nur geht man davon aus, dass Draling möglicherweise nach – oder vielleicht sogar schon vor – seinem Geständnis die gesamte Wohnung leergeräumt und absichtlich diese Dinge hinterlassen hat.

Das Mysterium um Dralings Geschichte klärte sich erst einigermaßen auf, als man ein Tagebuch fand, in das er in kaum lesbarer und eindeutig verschlüsselter Handschrift die gesamte Geschichte von ihm und seinem Freund festgehalten hat – zumindest wird das vermutet. Denn inzwischen sind ausgebildete Forscher dabei, die Schrift zu entziffern, jedoch wird es voraussichtlich einige Monate dauern, bis man herausfindet, was Draling der Nachwelt zu vermitteln hatte. Laut Aussagen der örtlichen Polizeidirektion habe man schon Kryptoanalytiker engagiert, die sich das Tagebuch anschauen werden.

Psychologen gingen, als ihnen das Tagebuch vorgestellt wurde, von einer psychischen Störung aus und hätte Dralings Mutter seinen Freund James nicht gekannt, wäre man davon ausgegangen, dass dieser nur in Dralings Kopf existierte, denn als man ehemaligen Klassenkameraden nach dem Namen fragte, kannten sie diesen nicht und auch keine der Lehrkräfte sagte, dass der junge Mann auf der Schule gewesen war. Möglicherweise könnte man also meinen, dass Dralings Mutter sich von ihrem Sohn hatte einreden lassen, James K. würde existieren, sodass sie im Nachhinein felsenfest davon überzeugt ist. Jedoch sind das alles nur Spekulationen, die man jetzt, wo Draling tot ist, nicht mehr beweisen kann und die insgesamt unschlüssig sind, zumal man die Leiche von James K. in der Wohnung gefunden hatte, die unter seinem Namen lief.

Verschwörungstheoretiker glauben, sowohl Draling als auch sein Freund wären noch am Leben und seien für die Mordserie ein paar Städte von ihrer Heimatstadt entfernt verantwortlich, jedoch beschwichtigt die Polizei die Bevölkerung mit der Aussage, dass beide Leichen in Särgen tief unter der Erde begraben lägen und ein 'Fan' von Draling mit der gleichen Manier wie sein Vorbild töten würde, der aber alsbald unter Kontrolle gebracht werden würde. Man habe eine sichere Spur, heißt es in der Polizeidirektion. Außerdem hatte Draling bei seinem Geständnis darauf bestanden, die alleinige Schuld zugeschrieben zu bekommen, weshalb der Detective, der in Dralings Fall ermitelte und auch sein Verhör geleitet hatte, in einer Pressekonferenz darauf aufmerksam machte, man solle bitte Respekt gegenüber James K. an den Tag legen, der sich, laut Dralings Aussagen, nur das Leben genommen hatte, weil er keinen anderen Ausweg gesehen hatte, um von dem 'Monster', womit Draling sich vermutlich selbst meinte, wegzukommen.

Mit Dralings Tod starb ein Mann, dessen eigene Mutter auf seiner Beerdigung sagte, dass es so wohl besser ist. Es starb ein Mann, der einem anderen mittels einer unregistrierten Handfeuerwaffe das Leben nahm. Jedoch war Draling dadurch keineswegs ein Verbrecher, auch wenn er von vielen, vielen Leuten so dargestellt wird. Denn um einmal das Opfer, Theodore H. Valton, zu betrachten: Genannter hatte auch so einige Leichen in seinem Keller. Und, auch wenn es niemand zugeben würde, vielleicht ist es doch besser, wenn beide Männer für immer schweigen.

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