17

Natürlich war Jamie nicht einfach so gegangen. Jamie würde niemals einfach so gehen. Er würde erst gehen, wenn er sich sicher ist, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu haben. Denn dann können sie schließlich auch seine erhobenen Mittelfinger sehen.

Aber nur ich hatte seine verdammten Mittelfinger gesehen. Sein einer Mittelfinger war mit den anderen zu einer Faust geballt und der andere hatte der Waffe in seiner Hand Halt gegeben, als er gegangen war. Vielleicht wollte er sicher gehen, dass ich ihm nicht folgte, oder er wollte genau das erreichen – ich weiß es bis heute nicht.

Damals jedoch, bevor Jamie verschwunden war, hatte ich die schönste Zeit meines Lebens mit ihm verbracht. Und irgendwie hoffe ich, dass er das auch behaupten würde, wenn er jetzt hier wäre. Es wäre nämlich irgendwie gut, sich sicher zu sein. Aber bei Jamie kann man sich sowieso nie sicher sein, also ist das einerlei.

Vielleicht war die Zeit, einmal im Nachhinein betrachtet, ein wenig zu kurz. Vielleicht hatten wir sie auch nicht ausreichend genutzt. Aber meiner Meinung nach hatten wir die Zeit, die uns nach dem letzten Märztag zusammen blieb, genossen, genau wie die davor. Nur dieses Mal noch ein wenig mehr, wenn das überhaupt ging.

Unsere Zukunft hatten wir uns ja selbst verbaut, also fingen wir in den zwei Monaten, von denen ich damals nicht wusste, dass sie unsere letzten gemeinsamen sein würden, nichts mehr an. Wir blieben einfach in unserer kleinen, immer noch nach Rauch riechenden Wohnung und lebten, wie es uns gerade in den Kram passte.

Möglicherweise hätten wir einen zweiten und dritten Mord begehen sollen, so als krönenden Abschluss. Als Vorbereitung darauf, dass ich bald ohne Jamie auskommen müsste. Die Vorbereitung, die mich davor bewahrt hätte, wie ein begossener Pudel vor mich hin zu vegetieren. Aber Vorbereitung hätte da wohl auch nicht viel dran verändert, schätze ich.

Jetzt glaube ich, dass ich die Zeichen hätte bemerken müssen; dass ich hätte wissen müssen, was Jamies Plan gewesen war. Aber obwohl ich es inzwischen weiß, treibt mir der Gedanke an diesen Mistkerl immer noch Tränen in die Augen, die ich nicht verdrängen kann – und die ich auch gar nicht verdrängen möchte. Er gehörte schließlich eine kurze Zeit zu meinem semi-perfekten Leben und hatte es wie eine Matratze gedreht und gewendet.

In den letzten Monaten hatten Jamie und ich immer weniger miteinander gesprochen. Nicht, weil wir nicht sprechen wollten oder konnten, sondern weil es nichts mehr gab, über das wir reden konnten. Eines der Zeichen, im Übrigen: Es wurde still zwischen uns. Klar, dass man nicht ewig im Schweigen leben konnte, vielleicht wäre ich dann an seiner Stelle auch gegangen. Aber nicht, ohne ein Wort über die kausalen Zusammenhänge von seiner Flucht und unserer Beziehung zu verlieren.

Ich verstehe mich selbst nicht, wenn ich weinen muss, sobald ich an ihn denke. Aber ich glaube, dass das das ist, was die erste und einzige große Liebe mit einem anstellt. Manchmal muss man ihretwegen eben auch heulen. Nur wäre es mir viel lieber gewesen, wenn er jetzt bei mir wäre, als dass ich ihn vermissen muss. Denn, um die Tatsachen einmal beim Namen zu nennen: Es ist beschissen jemanden zu vermissen, der nie wieder zurück kommen wird.

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